Bundesliga: Ein Sieg der Philosophie

Ein schlichtes 1:1 reicht Werder Bremen, um den Hamburger SV für ein Jahr abzuhängen: Werder darf sich wieder mit europäischen Spitzenclubs messen, der HSV muss sich auf den Bundesliga-Alltag beschränken.

Unser Mann für die WM? Am Samstag jedenfalls hielt Bremens Torwart Tim Wiese das Unentschieden fest. : dpa

„Wer nicht feiert, hat verloren“ - klingt wie ein Gemeinplatz im Fußball. Am Samstag im Bremer Weserstadtion hatte der Satz aber höhere Bedeutung. Er war die zweite Hälfte eines langen, grün-weißen Transparents. Die erste lautete: „8. Mai – 65 Jahre Befreiung vom Faschismus.“ Die Werder-Fans wollen die Position als Vorzeige-Antifaschisten der Fußball-Bundesliga nicht kampflos an Aufsteiger St. Pauli abtreten. Und sie können es mit dessen Anhängern auch in Sachen Witz aufnehmen.

Denn natürlich hatte der Satz, „wer nicht feiert, hat verloren“ zumindest eine fußballbezogene Nebenbedeutung: Am Schluss feierten die Bremer; den Hamburgern war einfach nur Elend zu Mute. Dabei hatten sie das Spiel gar nicht verloren. Aber das 1:1 in Bremen reichte dem HSV nicht, um wie im Vorjahr am letzten Spieltag auf Platz sechs zu springen. Die Qualifikation für die Europa League ist perdu.

Ebenfalls besiegelt ist damit vorerst, dass für den HSV kein Weg an Werder Bremen vorbei führt, obwohl der sportliche Direktvergleich – anders als in der unter HSVern immer noch als „das Trauma“ bezeichneten Vier-Spiele-Serie im Vorjahr – sogar zu Gunsten der Hamburger ausfällt: Das Hinspiel hatte der HSV gewonnen. Am Samstag dominierten die Bremer zwar lange, versäumten aber, mehr Tore zu erzielen als Claudio Pizarros Hackentreffer (58.). Die Hamburger hielten gut dagegen. Als Interimstrainer Ricardo Moniz zur Schlussphase den Rekonvaleszenten Eljero Elia brachte, bekam man eine Ahnung davon, wie die Saison für den HSV auch hätte laufen können, ohne die Verletzungsmisere: Plötzlich hatte das Spiel des HSV Überraschungsmomente, plötzlich wirbelten Elia, Jonathan Pitroipa und Zé Roberto Werders rechte Seite durcheinander, und plötzlich kreierte jener Elia auch die Situation, aus der Ruud van Nistelrooy das 1:1 gelang (82.).

Wollten die HSV-Spieler doch noch die Antwort geben auf die Frage, die ein Banner in der Werder-Ostkurve aufwarf: „Was könnt ihr eigentlich?“ Aber alles, was der HSV noch versuchte, verwandelte sich in eine Werbeveranstaltung für Werders Nationaltorhüter Tim Wiese, wegen seiner Lautsprecherqualitäten Lieblingsfeind der Hamburger Fans. Er rettete gegen Jérôme Boateng und Ruud van Nistelrooy in den Schlussminuten spektakulär und stellte so unter Beweis, dass er in „Top-Verfassung“ ist, wie Werder-Geschäftsführer Klaus Allofs sagte. Wiese selbst, der einmal mehr eine „fehlende Lobby“ in der Nationalelf beklagte, versuchte sich nach dem Spiel schon mal in jener Diplomatie, wie sie beim DFB gern gesehen wird: „Der HSV hat eine sehr gute Mannschaft“, sagte er in die Kameras, „und ...“, an dieser Stelle konnte er sich den Anflug eines Grinsens nicht verkneifen, „tolle Fans.“

Fehlte nur noch, dass er auch den Trainer der Hamburger gelobt hätte. Interims-Coach Ricardo Moniz ist es in den zwei Wochen seit der Entlassung von Bruno Labbadia immerhin gelungen, ein demoralisiertes Team wieder aufzurichten – auch wenn ihm der Einzug ins Finale und die neue Saison der Europa-League schließlich nicht gelungen ist. Die Pressekonferenz nach dem Spiel nutzte er, den Vereinsbossen Grundsätzliches ins Stammbuch zu schreiben: „Die Bremer haben Stabilität im Verein, Struktur und Philosophie“, sagte er. „Das zahlt sich immer aus.“ Implizit sagte er: im Unterschied zum HSV. Es klang wie Abschiedsworte von dem Mann, der sich zuletzt hatte anmerken lassen, dass er gern bleiben würde, obwohl er beim abservierten HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer und dessen Red Bull Salzburg im Wort stehen soll. Aber der HSV ist schon wieder auf der Suche nach einem international renommierten Top-Trainer. Für eine in Auflösung begriffene Mannschaft, die in Europa nicht dabei ist. Derzeit scheint beim HSV nur gewiss, was Bremer Fans den Hamburgern mit einem weiteren Transparent unter die Nase rieben: „Hoffmann bleibt!“ Es war als Drohung gemeint.

Die Bremer dagegen können sich nun in zwei Qualifikationsspielen zur Champions League an die europäischen Fleischtöpfe machen und mit zusätzlichen Millioneneinnahmen den einzigen Rückstand auf den HSV verkürzen: den ökonomischen. Auch die Verhandlungen über eine vorzeitige Vertragsverlängerung mit Mittelfeld-Star Mesut Özil dürfte das erleichtern. Und im Pokalfinale am kommenden Samstag können entspannte Bremer gegen Bayern München sogar einen Titel holen. Wenigstens einen. Denn vor dem HSV-Spiel hatte Klaus Allofs wehmütig gesagt, wo die Bremer stünden, hätten sie sich nicht im Herbst eine rätselhafte Auszeit genehmigt: Ganz oben.

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