EU-Rettungspaket für den Euro: "Jetzt kommt Ruhe in den Karton"
Mit 750 Milliarden Euro stabilisieren EU und IWF den Euro. Doch die Maßnahmen sind kompliziert, und die EU begibt sich damit rechtlich auf Neuland.
BRÜSSEL taz | Die Börse in Tokio hatte bereits geöffnet, als die europäischen Finanzminister in der Nacht zum Montag gegen halb drei ihre Verhandlungen beendeten. Das erklärte Ziel, noch vor Börsenbeginn zu einer Entscheidung zu kommen, hatten die Teilnehmer der Runde also nicht erreicht. Dennoch wirkte Währungskommissar Olli Rehn erstaunlich gelassen, als er den wartenden Journalisten die neuen Finanzinstrumente zu erklären versuchte. "Die EU trifft ihre besten Entscheidungen immer nachts", sagte er selbstbewusst.
60 Milliarden Euro würden nun von allen EU-Staaten gemeinsam als Stabilisierungsinstrument bereitgestellt. Man stütze sich auf Artikel 122,2 des Lissabon-Vertrags, der solche Solidarmaßnahmen erlaubt, wenn ein Mitgliedsland unverschuldet in Not geraten ist. Weitere 440 Milliarden speisen sich aus bilateralen Kreditgarantien der Eurozonenländer. Der Internationale Währungsfonds, mit dessen Chef Strauss-Kahn der Währungskommissar die ganze Nacht über in telefonischem Kontakt stand, hat zugesagt, noch einmal 50 Prozent der Gesamtsumme draufzulegen. Damit umfasst das gesamte Notpaket 750 Milliarden Euro.
Die neben Rehn sitzende spanische Finanzministerin Elena Salgado sah zwar nach elf Stunden Gesprächsmarathon zerrupft und müde aus, doch auch sie schien zufrieden mit dem Ergebnis. Aus spanischer Sicht waren zwei Zeilen besonders wichtig, die von der EU-Kommission zunächst in die Schlusserklärung hineingeschrieben worden waren und im Lauf der Nacht auf spanischen und portugiesischen Druck wieder herausfielen: Beide Länder hätten sich noch in der Nacht dazu verpflichten sollen, ihre Sparanstrengungen im laufenden Jahr um ein halbes Prozent und im kommenden Jahr um ein Prozent aufzustocken. Doch Salgado beharrte darauf, konkrete Zahlen erst am Mittwoch im spanischen Parlament vorzulegen. Im Abschlusstext verpflichtet sich das Land, das derzeit den Ratsvorsitz innehat, nur auf "bedeutende zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen."
Die Finanzminister standen unter enormem Druck. Allen war klar, dass sie sich im Eiltempo dazu durchringen mussten, für den Notfall zusätzliche riesige Kreditbürgschaften bereitzustellen. Um die Spekulation zu stoppen und die Finanzmärkte nachhaltig zu beeindrucken, musste die Summe deutlich höher sein als alle Zahlen, die zuvor die Runde gemacht hatten.
Doch die Instrumente, die nun zum Einsatz kommen, sind kompliziert, und die EU begibt sich damit rechtlich auf Neuland. Die deutsche Bundesregierung muss damit rechnen, dass es weitere Klagen beim Bundesverfassungsgericht geben wird. Die ganze Nacht liefen zwischen Brüssel und dem Berliner Kanzleramt die Drähte heiß. Kanzlerin Merkel holte sich in einem Telefonat mit US-Präsident Obama Rückendeckung aus Washington.
Zur gleichen Zeit wurde Innenminister Thomas de Maizière nach Brüssel eingeflogen, weil sich Finanzminister Wolfgang Schäuble wegen einer allergischen Reaktion auf ein Antibiotikum in ein Brüsseler Krankenhaus begeben musste. Die Sitzung, die ursprünglich schon nach drei Stunden um 18 Uhr hätte enden sollen, verzögerte sich dadurch zusätzlich.
Als de Maizière dann in den frühen Morgenstunden vor die Presse trat, wirkte aber auch er recht entspannt und gelassen. "Die hohe Summe von insgesamt 500 Milliarden dient dazu, dass - wie man so schön sagt - jetzt Ruhe in den Karton kommt", erklärte er. Zudem werde bei der Regulierung der Finanzmärkte nun mehr Tempo gemacht. In der Schlusserklärung allerdings ist diesem Thema nur ein kurzer Absatz gewidmet. Darin heißt es, die Finanzmarktregulierung und -überwachung müsse vorankommen, besonders was Derivate und die Rolle der Ratingagenturen betreffe. Erwähnt wird auch eine Stabilitätsabgabe für Banken und "die Möglichkeit" einer Transaktionssteuer.
Seit der Wirtschaftskrise tauchen derartige Forderungen regelmäßig in EU-Beschlüssen auf. Geschehen ist bislang wenig.
Erst kürzlich geißelte der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Udo Bullmann die wankelmütige Haltung der Bundesregierung: "An einem Tag buhlt sie um den Stammtisch, am zweiten stimmt sie laut in Nicholas Sarkozys Forderung nach europäischer Wirtschaftsregulierung ein, am dritten Tag, wenn wieder Ratssitzung ist, sorgt sie mit den Briten zusammen dafür, dass sich nichts bewegt."
An eine Wiedergeburt europäischer Solidarität glaubt hingegen der konservative französische Abgeordnete Alain Lamassoure, der dem Haushaltsausschuss des Europaparlaments vorsteht. "Mit Amüsement nehme ich zur Kenntnis, das die Mitgliedstaaten plötzlich den Artikel 122 entdecken, der die finanzielle Solidarität in außergewöhnlichen Umständen erlaubt. Er wurde noch nie angewandt - aber er existiert. Daran kann man sehen, dass wir alle nötigen Instrumente in der Hand haben, dass aber bislang der politische Wille fehlte." Weitere Tabus müssten nun fallen. So brauche die EU endlich eine EU-Steuer und einen europäischen Haushalt, der vom Parlament genehmigt und von der EU-Kommission verwaltet wird. Das sei keine Utopie - bis Freitagabend sei es schließlich auch Konsens gewesen, dass die EU keine Kredite vergeben dürfe. Schon drei Tage später sehe die Welt von Brüssel aus ganz anders aus.
Leser*innenkommentare
lelue
Gast
Warum werden die Spekulanten und banken, die hier weiter fleissig unbehelligt auf unser kosten abzocken nicht von der taz recherchiert. noch in ftd zu suchen etc. ist zu mühsam , euer job , oder?
Gerhard B.
Gast
Die möglichen Auswirkungen lassen Übles erwarten:
http://www.faz.net/s/Rub3ADB8A210E754E748F42960CC7349BDF/Doc~E451941B7954A4F1ABC25D6169095DF3C~ATpl~Ecommon~SMed.html
Der hessische Meineidbauer stimmt schon mal darauf ein
the fnord
Gast
Jaja, da marschieren wir gerade wieder lachend und jubelnd in den Abgrund. o_O
Georg Friedrich Knapp
Gast
Functional Finance, das beschreibt nun die neue Art, wie in Europa Geld zur Verfügung gestellt wird. Im Prinzip wird damit der Druck zu ausgeglichenen Haushalten weggenommen und wie in den USA pragmatisch Geld erzeugt. Denn nichts anderes sind die Garantien der Spezialgesellschaft. Vermutlich darf die Spezialgesellschaft aufgrund der Staatsgarantien Geld bei der EZB und anderen Instituten gegen Sicherheiten (Staatsanleihen) aufnehmen. Ist aber fraglich, wieso das nicht gleich alles über die EZB abgewickelt wird, die hätte ja auch alle Instrumente in der Hand. Sound Finance hat abgewirtschaftet. Fraglich nur, wem das nützt. Im schlimmsten Fall den Bossen, Kapitalisten und sonstwie Mächtigen, die ja seit 20 Jahren den Staat nach Gutdünken ausnehmen können.
Zaibatsu
Gast
Wie ich hörte muss Deutschland mit 100 Millionen bürgen wenn es zum Ernstfall kommt.
Wo kann ich die EU abwählen?
Mal eine andere Frage, wer hat eigentlich den EU-Präsidenten gewählt?
Niemand?
Das riecht nach Faschismus...
Aufgewacht
Gast
Statt den Patienten zu heilen wurde eine langsames Sterben eingeleitet
Die EU-Finanzminister haben einen Trick angewendet, sich für ein komplexes, technisches Konstrukt eines Hilfsfonds entschieden. Nicht die EU-Kommission, also die EU-Regierung darf den Mitgliedern direkt Geld leihen, sondern eine Zweckgesellschaft, die in den nächsten Tagen gegründet wird. Diese wird Eurobonds auflegen, die an den Finanzmärkten gehandelt werden. Wenn ein Land Hilfsgelder beziehen will, muss es mit dieser Zweckgesellschaft verhandeln. Nur, wie jeder Zaubertrick ist er nicht echt, sondern nur eine Illusion.
Wenn Unrecht zu Recht wird - wird Widerstand Pflicht!
Franz Anneser
Gast
Eine Idee für eine EU-Steuer hätte ich schon: Steuer auf Flugbenzin! Längst überfällig und im nationalen Rahmen relativ sinnlos.
Juergen K
Gast
Welcher Punk noch am Freitag für ein paar lächerliche Milliarde abging.
Geht es heute schon um ganz Europa.
Weil irgendwelche Datenbanken automatisch funktionieren.
Josef Riga
Gast
Erstaunlich! Die Bundesregierung garantiert und verbürgt einige Hundert Milliarden Euro - ohne Garantie dafür, dass die betroffenen Länder ihre Wirtschaft in Ordnung bringen.
Andererseits scheuen sich die beiden "Volks"parteien, in NRW mit e i n e r Stimme Mehrheit zu regieren, oder sich gar -schlimm, schlimm!- von den 11 Linke-Abgeordneten tolerieren zu lassen. Das wäre ja viel zu unsicher. Wie passt das zusammen
A.Grech
Gast
Sind ja alle sehr euphorisch. Die Euphorie erinnert ein bisschen an die Ardennenoffensive der deutschen Wehrmacht 1944. Die hat sich dann aber - unter vielen Opfern - schnell erledigt, weil Anspruch und Wirklichkeit doch etwas zu weit auseinanderlagen.
Mal sehen, wie belastbar diese "Gegenoffensive" jetzt ist - das wird sich wohl schon in wenigen Tagen herausstellen.
harri
Gast
Rechtlich Neuland?
Ihr meint doch wohl Rechtsbruch?
Wieder mal.
Juergen K
Gast
Allerorten Kommentare.
" Geld vom IWF "
war sonst nur mit Wörtern wie
Haiti, Angola oder Bangladesh
in den Gazetten zu lesen.