Bereit für die nächsten 99 Jahre

SUBKULTUR Vor einem Jahr wurde der Schokoladen gerettet. In Mitte hat man einen Sonderstatus inne

Auf den ersten Blick hat sich nichts verändert: Die Hausfassade ist mit Transparenten behängt, bei Konzerten wird es meistens ziemlich voll, und das Bier kostet immer noch 2,50 Euro. Dennoch hat der Schokoladen in Mitte eine große Wandlung hinter sich: Vor genau einem Jahr stand die Räumung kurz bevor, eine Einigung war zunächst nicht in Sicht.

Doch dann kam alles anders: Kurz vor knapp einigte sich der Verein Schokoladen mit dem Eigentümer des Hauses sowie dem Land Berlin. Die Edith-Maryon-Stiftung erwarb für den Verein das Haus, der Eigentümer bekam dafür eine nahe liegendes Grundstück aus dem Liegenschaftsfonds – der Schokoladen war gerettet. Von da an wurden die Verträge ausgehandelt, die Verhandlungen dauern an. Ein langwieriger Prozess – aber dadurch entsteht Zeit für die BetreiberInnen und BewohnerInnen des Schokoladens.

„Das ist ein Umstrukturierungsprozess, der auch ganz banale Fragen einschließt: Brauchen wir jetzt eine Hausverwaltung? An wen überweisen wir die Miete?“, sagt Anja Gerlich, Sprecherin des Vereins. Denn zum ersten Mal in der Geschichte des Schokoladens geht es nicht mehr darum, gegen einen Eigentümer zu kämpfen – sondern darum, sich selbst als Eigentümer zu organisieren. Dabei muss einiges bedacht werden: Der im Dezember unterzeichnete Erbpachtvertrag mit der Stiftung hat eine Laufzeit von 99 Jahren. „Wir haben in der Ausgestaltung darauf geachtet, dass das Haus dauerhaft als unabhängiges Kulturprojekt erhalten bleibt“, sagt Gerlichs Kollege Chris Keller. Man wollte den Vertrag flexibel genug gestalten, damit sich die Location in diesen 99 Jahren auch verändern kann. Aber nur in bestimmten Grenzen: „Eigentumsbildung und Bereicherung wird es mit dem Vertrag nicht geben“, sagt Keller.

Der Schokoladen hat eine Sonderstellung innerhalb der Berliner Subkultur inne: Erst konnte die Räumung des Projekts, das aus einer Besetzung im Jahr 1990 heraus entstanden ist, kurzfristig verhindert werden, und nun hat das Wohn- und Kulturzentrum auch noch eine dauerhaft gesicherte Perspektive. Das passiert nicht oft in Berlin, und schon gar nicht in Mitte: Das Tacheles ist tot, das Hausprojekt in der Linienstraße 206 oder die Kirche von Unten in der Kremmener Straße sind von Räumungsklagen und Sanierungsplänen akut bedroht.

Dennoch will der Schokoladen nicht eine der „gentrifizierungsfreien Inseln“ sein, die Mittes Bürgermeister Christian Hanke letztes Jahr forderte. „Wir sind in der Nachbarschaft gut vernetzt“, so Gerlich. So unterstützt der Schokoladen jetzt intensiv andere Projekte – durch Soliabende, Infoveranstaltungen, aber auch durch ganz praktische Tipps, die Gerlich und Co. nun gesammelt haben. Sie betont allerdings auch immer wieder, wie viel Glück der Schokoladen gehabt habe: „Ohne die richtigen Rahmenbedingungen und günstige Fügungen hätten uns auch unser tolles Netzwerk und all das wohl nicht helfen können.“ Für Chris Keller ist nun jedenfalls klar: „Kämpfen lohnt sich.“ Auch wenn ein gewisses Grundmisstrauen gegen Versprechungen wohl nie ganz verschwinden wird, merkt man den beiden die Erleichterung noch an. Und die Lust, weiterzumachen: „Nun haben wir endlich wieder Raum und Kraft für Veränderungen und Entwicklungen im Schokoladen selbst“, so Gerlich. Viele junge Leute seien im letzten Jahr dazugekommen. „Stillstand bedeutet Tod, das wollen wir nicht“, sagt Gerlich.

■ 23. 2. Nichträumungsjahrestag-Party, live: BDYBLDNG + Blank Pages, danach Gewalt Disney DJ Team. Einlass: 19 Uhr. Beginn: 20 Uhr. Schokoladen, Ackerstr. 169