piwik no script img

Medien in OsteuropaComeback der Zensur

Ukrainische Journalisten kritisieren die neue Regierung: Nach sechs Jahren Pressefreiheit versuche die Politik jetzt wieder, den Medien ihre Berichterstattung vorzuschreiben.

Berichte über die Ehefrau unerwünscht: Präsident Wiktor Janukowitsch versucht, die ukrainischen Medien zu beeinflussen. Bild: ap

BERLIN taz | Ukrainische Journalisten schlagen Alarm. In zwei Briefen, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurden, beklagen die Mitarbeiter der Nachrichtenprogramme "Vikna" (Fenster) und TSN der beiden privaten Fernsehsender STB und 1+1, dass seit einigen Monaten wieder eine systematische Zensur stattfinde. Damit könnten Presse - und Meinungsfreiheit - eine der wichtigsten Errungenschaften der orangenen Revolution von 2004 - bald wieder der Vergangenheit angehören.

So seien einige Themen wieder vollständig tabu oder würden einfach aus dem Programm genommen, heißt es in den Schreiben. Dazu gehöre unter anderem der Holomodor, die große Hungerkatastrophe der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts, oder die nationalistische Ukrainische Befreiungsarmee (UPA), die zwischen 1942 und 1949 im Westen der Ukraine gegen Nazi-Deutschland und die Sowjetunion kämpfte. Aber auch Kritik an den Behörden, Berichte über die finanzielle Situation von Politikern und über die Ehefrau von Staatspräsident Wiktor Janukowitsch stehen auf dem Index.

"Meinungsfreiheit ist nicht nur eine leere Hülle, sondern die Grundlage unseres Berufes. Das ist der Grund, warum wir uns dem Druck kategorisch widersetzen, der auf uns ausgeübt wird. Wir fordern ein sofortiges Ende der Kontrolle über TSN und der schändlichen Praxis von Anweisungen und Befehlen", heißt es in dem Schreiben der Journalisten des Senders 1+1. Zu den neuen Entwicklungen passt, das die Kommission zur Durchsetzung der Pressefreiheit, die beim Büro des Präsidenten angesiedelt war, unlängst durch ein Dekret von Janukowitsch aufgelöst wurde.

Die Kritik der Medienmacher erinnert an die finstersten Zeiten vor 2004. Damals wurden die Sender mit sogenannten Tjemniki unter Druck gesetzt - genaue Vorgaben der Regierung, über welche Themen und wie sie darüber berichten mussten. Darüber hinaus waren auch tätliche Übergriffe auf Journalisten - bis hin zu Mord, wie an dem regimekritischen Journalisten Georgi Gongadse 2000, an der Tagesordnung. Auch derartige Fälle häufen sich wieder seit der Wahl von Janukowitsch zum Präsidenten im vergangenen Februar.

So wurde Andrej Vey, der Herausgeber der Lemberger Tageszeitung Express, im April kurzzeitig verhaftet. Als seine Kollegen in der Polizeistation nähere Informationen über den Vorfall verlangten, wurden sie geschlagen und ihre Kameras zerstört. Der Express ist für seine investigativen Recherchen bekannt.

Auf Nachfrage der Anwälte des Blattes beim Innenminister hieß es, Vey sei von der Steuerfahndung festgenommen worden, weil Express seine Steuern nicht ordnungsgemäß gezahlt hätte. Anfang Mai protestierten sechs Journalisten des Express in Lemberg gegen die Einschränkungen der Pressefreiheit, indem sie sich an den Zug von Budapest nach Moskau ketteten. Das Motto: "Wohin gehen wir?"

Viktoria Syumar, Direktorin des Instituts für Information in Kiew, sieht in dem neuen repressiven Kurs der Besitzer von privaten TV-Sendern den Versuch, ihr Business vor den Machthabern zu schützen. Der Lemberger Journalist Juri Durkot bezeichnet die jüngsten Entwicklungen als beunruhigend. Sollten sich die Tendenzen fortsetzen, werde sich die Medienfreiheit bald wieder auf einzelne Inseln im Internet und wenige Blätter beschränken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • M
    Mel

    Willkommen in Russland! Ich verstehe allerdings nicht, wieso sich die ukrainische Bevölkerung so einen Maulkorb aufdrängen lässt. Wo sind Proteste? Und: Wo sind die selbsternannten Mahner aus dem Westen, die beim Thema Zensur immer gleich aufschreien? Ist die Angst, dass Russland beim Thema Gas wieder Druck machen könnte zu groß?

  • I
    Iru

    Ein schöner Artikel zu einem besorgniserregnenden Thema. Allerdings verstehe ich nicht, warum in der Überschrift "Medien in Osteuropa" geschrieben ist. Der Artikel befasst sich doch mit der Ukraine im Speziellen und diese ist für Osteuropa ebenso wenig repräsentativ wie für ganz Europa.