Zwangsarbeiter in Tempelhof: Die fast vergessene Geschichte
Bürger und Bezirkspolitiker befürchten, dass man die NS-Geschichte des ehemaligen Flughafengeländes bei der Planung vergisst - und fordern eine öffentliche Debatte.
Inlineskater treiben Sport, Familien gehen spazieren: Die meisten Besucher des ehemaligen Flughafens Tempelhof verbringen hier ihre Freizeit im Grünen. Kaum einer weiß, dass an diesem Ort Zwangsarbeiter für die deutsche Rüstungsindustrie schuften mussten und ganz in der Nähe am Columbiadamm politische Gegner der Nazis in einem KZ gefoltert wurden. Die Unkenntnis ist nicht überraschend, da von den Gebäuden des KZs und des Zwangsarbeiterlagers nichts mehr übrig ist.
Das Konzentrationslager Columbiahaus wurde 1933 errichtet. Es diente gleichzeitig als Gestapogefängnis. Viele der Inhaftierten waren prominente Nazigegner, wie etwa Erich Honecker und Ernst Thälmann. Im Gegensatz zu anderen frühen KZs wurde dieses nicht innerhalb kurzer Zeit wieder geschlossen, sondern wurde bis 1936 betrieben. Im Durchschnitt hatte es 400 Gefangene. Zudem gab es auf dem Flughafenareal ein Zwangsarbeiterlager. Die Gefangenen wurden für den Ausbau des Flughafens sowie für die Rüstungsindustrie gebraucht.
taz: Herr Coppi, warum brauchen wir am ehemaligen Flughafen Tempelhof eine Gedenkstätte?
Hans Coppi: Es geht darum, einen Gedenk- und Lernort zu schaffen. Das Columbia Haus war das einzige Konzentrationslager in Berlin, das noch bis 1936 genutzt wurde. Insgesamt wurden dort 10.000 Menschen inhaftiert und gefoltert. Wir brauchen eine Gedenkstätte, weil das KZ abgerissen wurde und es keine authentischen Spuren mehr gibt. Das Ganze ist in Vergessenheit geraten. Gleiches trifft für das Zwangsarbeiterlager zu. Von 4.000 Arbeitern in der Flugzeugproduktion waren 2.000 Zwangsarbeiter. Auch ihre Baracken sind verschwunden und es gibt daran keine Erinnerung mehr.
Und darum weiß heute kaum einer mehr von dem KZ?
Ja, das hängt mit dem Ausbau des Flughafens und dem Abriss der Gebäude nach dem Krieg zusammen. Außerdem bekam der Flughafen mit der Luftbrücke eine andere geschichtspolitische und erinnerungskulturelle Bedeutung und hat im öffentlichen Gedächtnis die früheren historischen Geschehnisse überlagert.
Warum wurde die Gedenkstätte bisher nicht in den Planungen für das Tempelhofer Feld berücksichtigt?
Ich hab den Eindruck, dass gegenwärtig eher in geschlossenen Zirkeln Gespräche stattfinden und dass es bisher keinen Entwurf dafür gibt, wie das Gelände insgesamt aussehen soll. Grade deswegen sollte zu diesem Zeitpunkt eine öffentliche Debatte stattfinden. Was birgt der Ort, was ist die Geschichte des Ortes?
Was wäre Ihnen an einer Gedenkstätte wichtig?
Zunächst sollten wir erst einmal damit anfangen, den historischen Ort ins öffentliche Bewusstsein zurückzuholen. Mit einer provisorischen Ausstellung, mit Veranstaltungen, vielleicht auch Grabungen, um zu zeigen, was da mal war. Und darüber die Debatte anzustoßen, wie der Gedenk- und Lernort aussehen könnte. INTERVIEW: K. RUCKSCHNAT
Hans Coppi, 67, ist Sohn des von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers Hans Coppi und Vorsitzender der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN).
Um dem Vergessen entgegenzuwirken, sprachen Experten, Bürger, Politiker und Vertreter der Senatsverwaltung am Dienstagabend im Kreuzberger Rathaus über die Errichtung einer Gedenkstätte. "Wenn die Pläne für das Tempelhofer Feld erst mal gemacht sind, ist es extrem schwierig, einen Fuß in die Tür zu bekommen", sagte Elvira Pichler, Vorsitzende der Grünen-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, die zu der Expertenanhörung geladen hatte.
Eine Zuschauerin wies darauf hin, dass bereits 1994 Klaus Wowereit, damals SPD-Volksbildungsstadtrat, versprochen habe, ein Mahnmal am authentischen Ort zu errichten. Bis heute sei allerdings nichts geschehen. Zudem wurde kritisiert, dass Projekte wie die Internationale Gartenschau 2017 bereits geplant würden, sodass für die Gedenkstätte am Ende kaum noch Platz sei. Auch Manfred Kühne von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung räumte ein, dass man sich nicht mehr nur abstrakt mit dieser Frage auseinandersetzen könne. Es sei aber ein langer Weg, bis das Konzept gefasst und die Finanzierung gesichert sei. "Wir nehmen das Thema sehr ernst. Wir würden gern auch kurzfristig Zeichen setzen." Als Beispiel nannte er eine Gedenktafel.
Viele Anwesende zeigten sich wenig begeistert von dieser Idee. "Es ist wichtig, dass ein Lernort, ein Ort der Kommunikation entsteht. Kommunikation ist Gespräch, Austausch. Es muss Platz für Zeitzeugen geben, um ihre Erinnerungen weiterzugeben", sagte Wolfgang Benz, Historiker vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU.
Das Resümee der Anhörung: Zuerst soll es eine öffentliche Debatte geben. Dann muss ein Gesamtkonzept ausgearbeitet werden, um die Informationen über KZ und Zwangsarbeit in die Geschichte des Tempelhofer Feldes zu integrieren.
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