die wahrheit: Zurück zu den Wurzeln
Mit Heribert Lenz ist es von Anfang an steil aufwärts gegangen: Abi, Fahrtenschwimmer, Kunsthochschuldiplom, Titanic, FAZ - eine beispiellose Karriere, ...
... in deren Verlauf der überzeugte Atheist mehr erlebt hat als so mancher fromme Buddhist in dreihundert Inkarnationen. Seinen Memoiren, die im Herbst im Verlag Antje Kunstmann erscheinen werden, hat er mit gutem Recht einen klangvollen Titel gegeben: "Schöne Aussicht von hier oben. Lebensstationen einer europäischen Persönlichkeit". In diesem opulenten Werk berichtet Lenz, dass er einmal sogar die Gelegenheit gefunden habe, eine Partie Skat mit dem seinerzeitigen Bundespräsidenten Johannes Rau zu spielen. Dritter im Bunde war selbstverständlich Achim Greser, die andere Hälfte des berühmten-berüchtigten Zeichner-Duos Greser & Lenz.
Jetzt aber, auf dem Gipfelpunkt seiner glanzvollen Laufbahn, will Heribert Lenz einen radikalen Kurswechsel vornehmen. "Ich habe doch alles erreicht, was man auf Erden erreichen kann", sagt er und deutet von der Gartenhängematte aus gelassen auf das luxuriöse Herrenhaus, das er in Aschaffenburg gemeinsam mit Achim Greser, zwei zahmen Leoparden, zahlreichem Gesinde und einem ganzen Harem knuspriger Busenwunder bewohnt.
"Wonach andere sich vergeblich sehnen, das habe ich im Überfluss: Immobilien noch und nöcher, eine Kunstsammlung von Weltrang, erstklassige Kontakte zum internationalen Jet-Set, eine 140-Meter-Yacht an der Côte dAzur, Freikarten für die VIP-Lounge im Frankfurter Waldstadion, Geld wie Heu und Macht und Sex, so viel ich will. But its time for a change! Als Künstler muss man sich bisweilen neu erfinden. Back to the roots, das ist meine Devise. Ich will ganz unten wieder anfangen …"
Mit "ganz unten" meint er die Redaktion der Online-Schülerzeitung Stachelschwein.de, die in einem Mehrzweckraum des Aschaffenburger Peter-Härtling-Gymnasiums fabriziert wird. Dort begrüßen die Redakteurinnen Uschi (17), Mona (17), Pamela (17), Viola (18) und Melinda (16) ihren neuen Kollegen Lenz bei seinem Eintreten mit frenetischem Applaus, stürmischen Umarmungen und nicht enden wollenden Zungenküssen, bevor sie auf die jüngsten Machenschaften der Direktion zu sprechen kommen: Sowohl das Schülerbegehren nach einer Wiedereinführung der Raucherlaubnis auf allen Toiletten als auch der Antrag auf eine Umbenennung der Schule in Heribert-Lenz-Gymnasium sind abgeschmettert worden. Grund genug für den unerschrockenen Zeichner, augenblicklich seine sprichwörtlich spitze Feder zu zücken und den halsstarrigen Direktor in Karikaturen von ätzender Schärfe zur Kenntlichkeit zu entstellen - mal als Esel, mal als Schwein und mal als Ratte. Die Mädchen vergelten es Heribert Lenz mit Jubelrufen, Champagner, Delikatesshäppchen und Nackenmassagen.
Mit wohligem Behagen nimmt er die Belohnungen entgegen und erläutert dabei die Grundzüge seiner Lebensphilosophie. "Wer als Mensch und auch als Künstler vor dem eigenen Gewissen bestehen will, der muss hart an sich arbeiten. Und der muss gegebenenfalls die Courage besitzen, seinen Elfenbeinturm zu verlassen und sich mit dem einfachen Volk zu solidarisieren. Was glauben Sie, was für ein tierischer Druck auf den Mädels hier lastet! Eine Klausur nach der andern, jede Menge Hausaufgaben, Stress mit den Eltern, Mobbing auf dem Pausenhof, und keiner schaut hin. Aber ich bin anders! Für mich ist das einfach ne Selbstverständlichkeit, mich hier rückhaltlos einzubringen …"
Inzwischen haben sich auch die sonnengebräunten Schlussredakteurinnen Pauline (17), Evi (17), Viola (17), Nicola (17) und Rosalynn (17) in dem Mehrzweckraum eingefunden, der seinem Namen von Minute zu Minute gerechter zu werden scheint. Wie es aussieht, wird so etwas wie ein kleines Pfänderspiel mit Flaschendrehen vorbereitet.
"Ich glaube, Sie können dann gehen", sagt Heribert Lenz. "Wir haben hier noch alle Hände voll zu tun. Aber richten Sie der Welt bitte meine Botschaft aus: Selbstzucht und Disziplin, das sind die Tugenden unser Zeit!"
Was hiermit geschehen ist.
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