Kolumne Blagen: Amoklauf? Schulpflicht!

Ich bin über 40 Jahre alt. Trotzdem schüchtern mich seltsame Autoritätspersonen noch immer ein. Selbst bei Lebensgefahr.

Okay, das wars. Ab Mittwochmittag ist sie aus der Schusslinie. Ein schöner Gedanke, sie für sechs Wochen Ferien in Sicherheit zu wissen. Über die letzten Wochen vor der Zeugnisausgabe konnte man das ja leider nicht sagen.

Es ist nämlich so, dass es am Kleinstadtgymnasium der Einssechzigblondine eine Amokdrohung gab. Ein Schüler, Typ Alleingänger, habe eine Abschussliste ausgetüftelt, die werde er demnächst mal abarbeiten. So ging das Gerücht, das durch die Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft unserer kleinen, friedlichen Kommune sickerte.

"Bitte!!!???", fragte ich die Einssechzigblondine, als sie mir an einem Sonntagabend davon berichtete. "Das kann doch nicht wahr sein, wer ist der Knabe, der dein Leben bedroht?" Die so Einvernommene reagierte genervt. Sie habe gleich gewusst, dass sie mir das besser nicht erzählen sollte, Mütter reagierten ja allgemein ausgesprochen uncool. Bei dem Amokläufer in spe handele es sich doch nur um den seltsamen Hans aus der Elften, und bewiesen sei gar nichts - das hätten auch die Schulpsychologen gesagt.

"Schulpsychologen???!!!", jaulte ich. Dass die zu euch kommen, ist ja wohl Beweis genug. Die Einssechzigblondine verdrehte die Augen und kündigte an, mir künftig gar nichts mehr aus ihrem Schulleben zu erzählen. "Untersteh dich", bellte ich, "ich bin immer noch deine Mutter!" (Nie hätte ich gedacht, dass ich einen derart bescheuerten Satz mal sagen würde, aber hier war Gefahr im Verzug und nicht der Moment, im Generationendialog eine gute Figur zu machen.)

Am nächsten Morgen, die Einssechzigblondine legte gerade das Make-up für einen weiteren perfekten Schultag auf, gebot ich ihr Einhalt. "Du gehst da nicht hin, bevor ich den Direktor gesprochen habe, der soll mir deine Sicherheit garantieren." Sie schien nicht unzufrieden mit dem Schulverbot. Ich wählte die Nummer. Niemand nahm ab. Ich wählte erneut. Nichts. Wieder und wieder - ohne Ergebnis. "Das könnte ein Zeichen sein", sagte ich, "womöglich streicht der seltsame Hans schon durch die Gänge."

Gegen neun erreichte ich die Schulsekretärin. "Guten Tag", sagte ich streng, "ich möchte gern wissen, ob ich meine Tochter zu Ihnen schicken kann?" - "Warum nicht?", kam die Gegenfrage. "Nun", sagte ich, "an Ihrer Schule soll es eine Amokdrohung gegeben haben." Die Sekretärin wirkte leicht ungehalten. "Hören Sie Schüsse?", fragte sie spitz. Ich war offenbar nicht die Erste, die in dieser Angelegenheit anrief, dennoch hielt ich den Ton der Frau für unangemessen. "Hören Sie", sprach ich, "hier ist die Rede von einem seltsamen Hans …" - "Ja, weiß ich", sagte sie, "aber soweit ich das sehe, unterliegt Ihre Tochter der Schulpflicht, und seit neunzig Minuten läuft ihr Unterricht."

Was soll ich sagen? Die Worte der Schulsekretärin bewirkten nicht weniger als ein Wunder. Ach so, funkte mir meine innere deutsche Untertanin, die Schulpflicht! "Alles klar", sagte ich zur Einssechzigblondine, "du kannst losgehen, jemand übernimmt die Verantwortung."

Vier Wochen ist das Telefonat her. Und dass sie ab kommendem Mittwochmittag endlich wirklich in Sicherheit ist, freut die verdammte obrigkeitshörige Duckmaus in mir dann doch.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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