Überraschungstrip nach Europa

ARBEITSSIEG Mit einem 1:0 gegen Mönchengladbach dringt der HSV erstmals in die Europapokal-Plätze vor

„Wir nehmen das Wort Europapokal nicht in den Mund“

HSV-TRAINER THORSTEN FINK

Überraschungsteams gibt es in der Fußball-Bundesliga einige. Den SC Freiburg und Eintracht Frankfurt etwa hatte kaum jemand im ersten Tabellendrittel erwartet. Mit dem Hamburger SV ist dort nun ein dritter Club unerwartet angekommen.

Wobei der Überraschungscharakter in diesem Fall weniger mit den bescheidenen Mitteln zu tun hat, mit denen der Erfolg errungen wird: Der HSV hat trotz drückender Schuldenlast zu Saisonbeginn noch einmal kräftig eingekauft. Panikkäufe, so schien es, nachdem der HSV dem Abstieg knapp entronnen war. Jetzt zeigt sich, dass es Trainer Thorsten Fink gelungen ist, ein konkurrenzfähiges Team zu formen.

Nachdem der HSV vergangene Woche überraschend Meister Dortmund zerlegt hatte, reichte am Samstag eine disziplinierte Leistung zum 1:0-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach.

„Wir haben geahnt, dass die Gladbacher sich danach heute auf die Defensive konzentrieren würden“, sagte Dennis Aogo, eigentlich Außenverteidiger beim HSV, nach überstandener Virusinfektion aber ins Mittelfeld versetzt und seitdem so präsent wie lange nicht. „Deshalb wussten wir, dass wir Geduld haben müssen – und dass es vielleicht nicht schön wird.“ Damit hatte er das Spiel treffend beschrieben. Die Borussia hatte keine echte Torchance herausgespielt – und der HSV eigentlich auch nicht. Wenn da nicht Rafael van der Vaart wäre. Der hob nach 23 Minuten kurz den Kopf und zog aus 25 Metern einfach mal ab, in den linken Torwinkel – eine böse Überraschung für Marc-André ter Stegen im Gladbacher Tor, aber keine für die HSVer: „Heute schieß ich ein Tor“, hatte der Niederländer vor dem Spiel getönt. „Solche Leute braucht man“, sagte Hamburgs Trainer Thorsten Fink.

Dass Fink den Eindruck hatte, sich rechtfertigen müssen, hatte mit Gästetrainer Lucien Favre zu tun: Mit den Worten, man habe „unverdient verloren“, hatte der seiner Mannschaft ein Kompliment für ihren Kampfgeist 41 Stunden nach dem 3:3 gegen Lazio Rom gemacht. Von dem feinsinnigen Schweizer kann man sich kaum vorstellen, er meine im Umkehrschluss, dass der HSV unverdient gewonnen habe. Aber Fink wollte das lieber noch mal klarstellen: „Wir haben dies wunderschöne Tor gemacht und es dann auch verteidigt“, sagte er mehr als einmal. „Dann ist der Sieg für mich auch verdient.“

Und der sechste Platz, der zur Teilnahme an der Europa-League berechtigt? Ist der auch verdient? „Wir spielen nicht um die Europapokal-Plätze“, sagt Fink tapfer, nur um dann zu präzisieren: „Wir nehmen das Wort nicht in den Mund.“ Aogo bekräftigt: „Das wär’ auch Schwachsinn.“ Dies Tabu macht vor allem eines deutlich: Wie dringend der Club auf Geld aus Europa angewiesen ist. Egal, ob es am Ende überraschend kommt.  JAN KAHLCKE