Reinhard Jirgl: Büchners !Preisträger

Mit Ausrufezeichen strukturiert er seine Sätze, seine Texte drehen sich um Inzest, Unschuld und gespaltene Ost-West-Existenzen. Dieses Jahr gewinnt Jirgl damit den Büchner-Preis.

Sprachgewaltiger Buchhalter: der diesjährige Büchnerpreisträger Reinhard Jirgl. : dpa

Harter Stoff sind seine Romane. Reinhard Jirgl schreibt mit einer Verve, als wolle er (mit seiner eigensinnigen Interpunktion) Arno Schmidt überbieten und (mit seiner apokalyptischen Weltsicht) Heiner Müller gleich mit. So ist die Sprachmächtigkeit dieses so buchhalterisch aussehenden Autors immens, kann einem mit ihrem ungebrochenen Pathos aber gelegentlich auch auf die Nerven gehen: Als seien in dieser Prosa alle Regler nach rechts gedreht. Aber was man ihm immer attestieren muss, ist ein absolutes Gehör für Spracheffekte. "!Wahrheit - du redest tat!sächlich von Wahrheit, du dummer Laffe - und hast !Nichts begriffen - gar !nichts hast du verstanden. Nicht die !Bohne weißt du & redest von Wahrheit." ("Die atlantische Mauer")

Toll, wie die Ausrufezeichen die Sätze strukturieren! Schade, dass man bei Reinhard Jirgl solche Effekte nicht haben kann, ohne immer gleich die ganze Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts mit einzukaufen.

Gestern wurde bekannt, dass Reinhard Jirgl den diesjährigen Büchnerpreis bekommt, die schwergewichtigste literarische Auszeichnung hierzulande. Das ist eine Entscheidung für ein Schreiben, das sich noch kunstreligiös als Außenseitertum in einem schrecklichen Ganzen definiert. In der DDR führte Jirgl, 1953 in Ostberlin geboren, eine "intellektuelle Gegenexistenz": Foucault lesen in Prenzlauer Berg, Texte für die Schublade schreiben. Mit dem Roman "Abschied von den Feinden" wurde er 1995 bekannt - allerdings zieht sich dieser Abschied seitdem in seinen Büchern noch hin. Gespaltene Ost-West-Existenzen, grausam in eins gesetzte Körper- und Gesellschaftsbilder, Familiengeschichten, die in die Gewalterfahrungen des 20. Jahrhunderts mit seiner Zentralkatastrophe des Nationalsozialismus verstrickt bleiben, Inzest, Schuld, Untergang, Traumata und Blutverschmiertheit - das ist Jirgls Material bis heute geblieben, das er in seine Sprachmaschine packt. Keine Frage, dass die einen großen !Sog entwickeln kann.

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