„Ein Schritt weiter und du bist tot“

AUSSTELLUNG Der Street-Art-Künstler und Fotograf Just war im Dezember eine Woche lang im syrischen Aleppo. Im Stattbad Wedding sind seine Bilder und auch die Briefe, die er aus dem Kriegsgebiet geschickt hat, zu sehen

■ 30, heißt bürgerlich Boris Niehaus und ist in Essen aufgewachsen. Seit acht Jahren lebt der Urban-Art-Fotograf in Berlin. In Syrien war er vom 15. bis 22. Dezember vergangenen Jahres.

INTERVIEW JENS UTHOFF

taz: Just, wie kommt ein Fotograf und Street-Art-Künstler dazu, nach Syrien in die Bürgerkriegsgebiete zu fahren?

Just: Das hat mich schon immer gereizt, in ein Krisengebiet zu fahren. Dass es nun Syrien war, hatte zum einen den Grund, dass ich den Arabischen Frühling interessiert verfolgt habe – aber eben nur in den Medien. Außerdem hat meine Familie syrischstämmige Freunde. Thomas Rassloff, ein anderer Fotograf, war schon mal da und hat mich an die Hand genommen.

Worin lag der Reiz?

Es gab eine Art journalistische Neugier. Krieg kennt man durch Fernsehen oder Filme. Aber es ist ein diffuses Bild, was man da hat. Ich bin nicht mit einem konkreten Ziel hingefahren, ich wollte sehen, wie es dort zugeht. Es war wie eine Selbsterfahrung. Dass ich dann die Briefe schreiben würde, war vorher nicht klar.

Was ist in der Ausstellung zu sehen?

In einem Teil werden meine Fotografien und meine Briefe gezeigt, im anderen Teil Graffiti. Und dann gibt es noch einen Soundscape zur Ausstellung. Thomas Rassloff hat viele Tonaufnahmen in Aleppo gemacht. Das Gefühl vor Ort soll so erfahrbar gemacht werden.

Eine moderne Form der Kriegsberichterstattung?

Weiß ich nicht. Kommt drauf an, was man darunter versteht. Viele, die ich dort kennengelernt habe, wollten sich gar nicht als Kriegsberichterstatter sehen, weil die an der Frontlinie seien. Embedded Journalists und so. Die, die ich getroffen habe, haben eher wie ich Reportagen aus Syrien geschrieben.

Als Sie gehört haben, dass die freie Syrische Armee (FSA) einen Ortsteil befreit, sind Sie aber sofort hin, schreiben Sie.

Ja, in dem Sinne ist es dann schon Kriegsberichterstattung.

Wie war Ihr Kontakt zur FSA?

Der erste Kontakt bestand, um überhaupt ins Land reinzukommen. Man kann nur über die Grenzübergänge rein, die von der FSA eingenommen sind. Die freuen sich, wenn Journalisten ins Land kommen.

Wie wurde der Kontakt hergestellt?

Thomas Rassloff hatte bereits die Kontakte. Es gibt aber auch Netzwerke unter Journalisten, da hilft man sich, wenn es etwa um Kontakt zu Übersetzern und so geht – solange der eine dem anderen nicht die Story klaut. Und an der Grenze gibt es Leute, die sich auf das Einschleusen von Leuten spezialisiert haben. Wir hatten unsere „Fixer“ – das sind die, die Kontakte oder Übersetzer klarmachen und die dir bei allem helfen.

In einem Ihrer ersten Briefe schildern Sie einen Bombenangriff, bei dem Sie dabei waren. Reines Glück, dass Sie jetzt hier sind und nicht tot?

Ja, mit etwas mehr Pech wäre ich jetzt tot. Wir haben da an einer Militärakademie Halt gemacht, die wurde gerade eingenommen. Daraufhin haben die Assad-Flieger blind gebombt. Es kam einfach runter. Es ist unglaublich. Und dass du die ganze Zeit Schüsse, Panzer und Explosionen hörst, daran gewöhnst du dich. Das ist so ein Grundrauschen.

Was ging bei dem Angriff in Ihnen vor?

Erst mal Todesangst, die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit, die man da während dieser Einschläge spürte. Dir wird schlagartig bewusst, was du eigentlich für ein kleines Würmchen in dieser Situation bist. Der Luftangriff kam aus heiterem Himmel. Es war ohrenbetäubend laut. Danach war nur noch Hektik und alle Leute sind kreuz und quer gerannt. Das Ziel war nur noch, sich in Sicherheit bringen. Ein Minibus fuhr vorbei und wir konnten reinspringen. Wir lagen da alle übereinander in dem Bus. Und aus Erleichterung haben wir einen Lachanfall bekommen.

Wo haben Sie sich in Aleppo aufgehalten?

Wir waren viel im Aleppo Media Center (AMC), der Anlaufstelle für Journalisten. Da war etwa ein oppositioneller Englischlehrer, der sich um die Journalisten gekümmert hat. Der Strom ist die meiste Zeit in der Stadt ausgefallen. Wir hatten aber einen eigenen Stromgenerator. Das Internet hing an Lkw-Batterien, damit das immer funktioniert.

Das AMC hätte ja auch ein strategisches Ziel von Assads Truppen sein können.

Den Gedanken hatte ich auch. Aber das wäre natürlich die schlechteste Presse für Assad überhaupt, wenn da ein Mediencenter bombardiert worden wäre. Aber wenn der auch Krankenhäuser bombardiert, wäre natürlich auch das möglich. Und da in Aleppo, ach nee, das darf ich jetzt nicht sagen …

weil irgendjemand Rückschlüsse ziehen könnte, wo das AMC ist?

Ja, genau. Es war ein besetztes altes Wissenschaftszentrum, wo es keine Heizung und nichts gab. Es war kalt, als wir dort waren. Ich hatte da meinen dünnen Schlafsack und hab immer gefroren. Die syrische Bevölkerung ist ja nicht nur von Hunger, sondern auch von Kälte bedroht. Die Leute fangen an, die Bäume auf den Straßen für Brennholz zu fällen. Oder sie stehen Schlange an der Bäckerei, wenn es Gerüchte gibt, es gäbe Brot. In deren Leid kann ich mich sowieso nicht reinfühlen. Du hast deinen Pass in der Tasche und deine US-Dollar – im Gegensatz zu denen.

Gab es in Aleppo normales städtisches Leben?

Ich kannte Aleppo vorher nicht. Du siehst schon noch Obststände und so auf den Straßen und die Stadt ist auch reich an Kulturschätzen. Aber man wusste nie, wo man sicher war. Das haben uns immer die Fahrer vor Ort gesagt. Da ist man dann Slalom durch die Straßen gefahren, weil die Straßen zerschossen waren. Die Häuser waren auch kaputt. Da ist definitiv kein Leben mehr. Das ist eine Trümmerstadt. Und es wimmelt von Snipern oder Scharfschützen.

■ Die Ausstellung „Letters from Aleppo“ im Stattbad Wedding kombiniert Bilder, die der Fotograf Just im Dezember des vergangenen Jahres in Syrien gemacht hat, mit Briefen, die er während seines Aufenthalts in dem kriegsgebeutelten Land geschrieben hat. Dazu kommt noch eine Klangspur, die den Betrachter bei dieser „narrativen Installation“ helfen soll, sich in die beschriebene Situation hineinzuversetzen.

■ In einem zweiten Teil der Ausstellung sind Bilder zu sehen, die Just als vertrauter Beobachter der Street-Art – seinem eigentlichen fotografischen Schwerpunkt – in Berlin, Bangkok und anderen Städten gemacht hat.

■ Parallel zur Ausstellung sind die „Briefe aus Aleppo“ in dem Schweizer Magazin Reportagen veröffentlicht worden. Ausstellungsdauer im Stattbad Wedding, Gerichtstr. 65, bis 2. März, Donnerstag bis Samstag, 17–20 Uhr.

Was hatte es mit den Snipern auf sich?

Das war gängige kriegerische Strategie auf beiden Seiten. Ein einfacher Weg, um Leute umzulegen. In Aleppo gibt es diese alte Zitadelle, diese Burg mit mittelalterlichem Markt drumherum. Die ist nicht befreit und da sitzen die Scharfschützen oben. Man achtet immer auf die Sichtbahnen der Sniper, da schaut man hoch. Ein Schritt weiter und du bist tot. Ich wollte auch mal eine Panoramaaufnahme vom Dach machen, das hat mir keiner der Fixer erlaubt.

Wissen Sie, wie der Stand in Aleppo heute ist?

Nein. Nicht genau. Die haben uns nur immer gesagt, „bleibt noch bis morgen, dann nehmen wir die Stadt ein“. Man bekommt einiges über Facebook mit. Ich habe da jetzt auch einige Seiten geliket. Mein Eindruck vor Ort war, dass es nach einem möglichen Fall von Assad noch religiöse Kriege geben würde. Da sind so viele verschiedene Gruppen, auch unter den Kämpfern. Dann würde es vielleicht noch mal richtig losgehen.

Sie waren nur sechs Tage dort. Fühlten Sie sich wie ein privilegierter Kriegstourist, als Sie gingen?

Ich seh mich auf keinen Fall als Tourist, der sich das mal anschaut. Ich war dort, um zu fotografieren – irgendwie in journalistischer Mission. Es war saugefährlich. Als ich dann abreiste und eine Stunde später in meinem komfortablen türkischen Hotel war, war das schon komisch. Es gab einen Supermarkt dort, das war ein unfassbares Gefühl, ein krasser Schnitt.

Haben Sie von dort aus auch schon Fotos verkauft?

Nein. Ich war auch aus Fotografenperspektive etwas überfordert. Ich hätte alles fotografieren können. Ich fühlte mich erst nach ein paar Tagen überhaupt in der Lage, professionell zu fotografieren in Syrien.

Würden Sie noch mal nach Syrien fahren?

Ich werde in irgendeiner Form auf jeden Fall weitermachen.