Das grüne Wowereit-Syndrom

Schwaches Ergebnis für Künast als Spitzenkandidatin

VON STEFAN ALBERTI

Was bedeutet es, wenn bei einem Parteitag jeder vierte die eigene Spitzenkandidatin für den Bundestag nicht unterstützt? Ganz einfach: dass die Berliner Grünen am Wowereit-Syndrom leiden. Wie die Genossen von der SPD sind sie nicht mehr richtig von ihrer langjährigen, aber angeschlagenen Führungsfigur überzeugt. Aber sie haben für Renate Künast keinen Ersatz.

Ja, gewählt ist gewählt, und sei’s mit nur einer Stimme Vorsprung. Künast selbst erinnerte beim Parteitag in anderem Zusammenhang an Konrad Adenauer, der 1949 so Kanzler wurde. Er hatte aber auch einen respektablen Gegenkandidaten. Künast war die einzige Bewerberin um Platz 1 der Landesliste.

Natürlich sind Wahlergebnisse Auslegungssache. Sie sind aber vor allem vergleichbar. Und der Vergleich zeigt, dass Künasts Ergebnisse immer schlechter werden. Im Jahr 2005 machten die Grünen sie noch mit 88 Prozent zur Spitzenfrau, vier Jahre später waren es noch 77 Prozent.

Wahlschlappe wirkt nach

Parteitage sollen nicht nur Kandidaten produzieren, sondern auch das Bild einer Partei vermitteln, die sich hinter einer Führungsfigur sammelt. Das Ergebnis vom Wochenende zeigt: Es hängt Renate Künast trotz aller Versöhnungsversuche weiter nach, dass sie die letzte Abgeordnetenhauswahl vergeigte. Bei 30 Prozent lagen die Grünen, als sie Künast zur Anwärterin fürs Rote Rathaus machten. Sie landeten bei kaum mehr als der Hälfte und in der Opposition.

Bis zur Abgeordnetenhauswahl 2016 ist noch ein wenig Zeit. Verkrachen sich SPD und CDU, könnte es auch viel schneller gehen. Das Wochenende mahnt die Grünen, das Wowereit-Syndrom zügig zu überwinden.

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