„Der Gaza-Abzug hat Scharon rehabilitiert“

Der Politologe André Eshet aus Haifa sieht in dem Abschied Scharons aus dem Likud eine Chance für den Frieden

taz: Herr Eshet, welchen Nutzen erhofft sich Premierminister Ariel Scharon von seinem Abschied vom Likud-Block?

André Eshet: Scharon hatte offensichtlich die Sorge, dass er, solange er mit der Opposition innerhalb der eigenen Partei konfrontiert ist, politisch wenig ausrichten kann. Deshalb entschied er sich, die Partei zu teilen und vielleicht 14 der Parlamentarier mitzunehmen. Vorläufig steht allerdings noch nicht einmal fest, ob es überhaupt Neuwahlen geben wird. Es gibt noch immer die Möglichkeit, dass eine parlamentarische Mehrheit von 61 Abgeordneten Ersatz für den Premierminister findet und ohne Scharon weiterregiert. Der Likud versucht jetzt, die Orthodoxen und die National-Religiösen dafür zu gewinnen.

Glauben Sie, dass es Scharon gelingt, mit seiner neuen Liste die Wahlen zu gewinnen?

Er wird sich mit seiner Partei auf den Konflikt mit den Palästinensern konzentrieren, und zwar von der ideologischen Mitte der politischen Landkarte aus, rechts von der Arbeitspartei und links vom Likud. Ich vermute, dass es ihm gelingen wird, eine der großen drei Parteien zu stellen. Scharon selbst geht mit Sicherheit davon aus, noch Mitglieder aus den Reihen der Arbeitspartei für sich gewinnen zu können. Dort ist er nicht mehr länger tabu, wie er es so lange Jahre seit dem Libanon-Feldzug war. Der Abzug aus dem Gaza-Streifen hat ihn in gewisser Sicht rehabilitiert. Sein Umdenkungsprozess wird wahrgenommen. Er hofft nun vermutlich darauf, dass seine Liste im Parlament den Ausschlag geben wird und dass keine der großen Listen ohne ihn regieren kann.

Könnte Israel heute durch die neue Partei Scharons dem Frieden nähergerückt sein?

Das werden wir nach den Wahlen sehen. Möglich wäre, dass die Arbeitspartei mit der neuen „Nationalen Verantwortung“, mit der (liberal und antireligiösen) Schinui und vielleicht sogar der Meretz (linkes Bündnis Meretz-Jachad) zusammengeht. Das würde dem Frieden ohne Zweifel neuen Schwung geben. Scharon ist in seinem Umdenkungsprozess recht konsequent, spricht von einem Palästinenserstaat und dem Ende der Besatzung. Die kommende Koalition könnte dem Friedensprozess und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas eine politische Konjunktur bringen, die durchaus für Überraschungen gut ist.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL