EIN KIND WECHSELT DIE SCHULE – EIN GRUND MEHR, WIEDER MAL AUSZURASTEN
: Die Preußen in uns

Maik Söhler

Wetten, dass … ich mit verbundenen Augen sämtliche Westberliner Oberschulen am Kuchenbuffet ihrer Fördervereine unterscheiden kann? Wetten, dass … ich nur mit dem Gehör erkenne, zu welchem Gymnasium in Berlin-Schöneberg der in Physik von Schülern selbst gebastelte Lego-Roboter gehört? Wetten, dass … ich nur am Geruch feststellen kann, welcher Chemie-Klassenraum in Berlin-Tempelhof zu welcher weiterführenden Schule gehört?

Ein Kind wird im Sommer die Superschule verlassen. Eine neue Superschule muss her, noch superer als die erste, schließlich soll hier das Super-Abitur gemacht werden. Seit Wochen drängeln wir uns also zusammen mit Hunderten anderer Eltern zu Tagen der offenen Tür, in Infoveranstaltungen und Schnupperunterrichtseinheiten. Wir stehen am „Eltern“-Buffet, durchwandern Klassenräume, prüfen Pausenhöfe, inspizieren Cafeterias und tun so, als ob wir mal müssten, um auch den Zustand der Schultoiletten in Augenschein zu nehmen.

Wir sprechen mit Lehrern, Schülern, Eltern, holen uns Informationen vom Rektor, dem Sekretariat und dem Hausmeister ein, zu Hause debattieren wir dann auf dieser Grundlage weiter. Mal mit Kind, mal ohne. Mal zielführend, mal abschweifend. Die letzten Sätze am Abend kreisen um Leistungskursangebote, die ersten am Morgen um die zweite Fremdsprache, in der Mittagspause wird schnell noch ein Intensivkurs im Berliner Schulrecht gemacht.

Es nervt. Aber es muss halt sein. Unser familiärer Mikrokosmos wird noch enger. Aber es muss sein. Ein monothematischer Sog entsteht. Aber es muss sein. Anmeldetermine müssen eingehalten, Listen ausgefüllt, Fristen beachtet werden. Zwänge sind scheiße. Aber es muss sein. Der Mandarinen-Käsekuchen in einer bestimmten Oberschule ist grandios. Einer geht noch rein. Auch das, gerade das muss sein.

Denn die Schulsuche fördert das Schlimmste in uns zutage: Pünktlichkeit, Ordnung, Disziplin, Fokussierung, Wagenburg-Mentalität. Die Schulsuche ist das Preußen unter den Suchen, der Pietismus unter den Anstrengungen. Sie verwandelt weltoffene Menschen mit vielfältigen Interessen in gehetzte Neidbeißer, die nur noch ein Thema haben. Wer hier cool bleibt, hat schachtelweise Diazepam dort, wo andere Nervenbahnen haben.

Dienstag Julia Seeliger Alles bio

Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe

Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei

Freitag Jürn Kruse Fernsehen

Montag Martin Reichert Back on the Scene

Kinder haben es da besser. Sie nehmen die Dinge, wie sie kommen. Ein guter Schnupperunterricht und die Sache ist entschieden. Eine zweite Fremdsprache? Wird am Tag der Anmeldung geregelt. Aber wird denn in der Oberstufe das Leistungskursangebot den eigenen Wünschen gerecht? Sehen wir dann. Tage der Hektik prallen auf ein Kind, das sie gleichmütig abwehrt. Gut gelaunt hopst es durchs Treppenhaus einer Schule. Genauso fallen Entscheidungen. Wer diese glückliche Hopserei sieht, weiß sofort: Diese Schule ist es.

Dabei können wir viel lernen. Beim nächsten Bewerbungsgespräch einfach mal wild durch die Flure des neuen Arbeitgebers hüpfen. Wieder mal Beziehungskrach? Schnupperunterricht schafft Abhilfe. Midlifecrisis? Wird am Tag der Anmeldung entschieden! Wetten, dass … ich alle künftigen Herausforderungen trotzdem nicht gleichmütig meistern werde?