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Debatte Rücktritte in der PolitikMutti ist schuld

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Einer Mutter kann man auch als Mann gehorchen - solange sie sich mütterlich verhält. Merkels Minister fühlen sich nicht genug umsorgt und machen sich so selbst zu Opfern.

D ie ehemals tapferen Parteisoldaten der CDU, sie wollen nicht mehr, sie sind erschöpft. Und was macht ihre Chefin? Nichts, wie immer. Ungerührt bleibt Merkel ihrem weitgehend konzeptneutralen Pragmatismus treu: Wenn ihr nicht mehr wollt, so strahlt sie aus, oder wenn die Wähler euch nicht mehr wollen, dann werdet ihr eben ersetzt. Na und?

Warum nun ist diese Coolness von Merkel ein Affront? Woher kommt die Rede zumal in den Medien, dass Merkel sich nicht zu wundern brauche, wenn ihr die mächtigen Männer wegliefen, wenn sie mit diesem ihrem Machtgebaren bald ganz allein (in Klammern: nur mit Frauen) dastünde? Erinnern wir uns: Noch vor Kurzem wurde Merkel von Parteikollegen als "Mutti" geschmäht. Seehofer soll der erste gewesen sein, der die mächtige Frau auf diese Weise in sein Weltbild eingepasst hat.

Der Mutter kann man auch als Mann gehorchen, aber keiner anderen Frau. Nun jedoch verhält sich "Mutti" nicht mütterlich. Sie schützt und stützt nicht ausreichend, heißt es empört, die Männer, die ihr die Führung überließen, warten vergebens auf eine Gegenleistung für ihre Gefolgschaft. Entsprechend sinkt ihre Motivation, einer solchen Rabenmutter weiter zu dienen. Die denkt ja doch nur an sich selbst.

taz

Ines Kappert leitet des Meinungsressorts bei der taz.

Die hingebungsvolle Klage über die unmütterliche Mutti zeigt, dass es offenbar für weiße, heterosexuelle Männer opportun ist, sich als Opfer einer weiblichen Vorgesetzten zu gerieren. Dieses Eingeständnis überrascht. Denn bisher hatte man angenommen, Männer dürften ihre Schwächen nicht öffentlich machen, weil sie dies ihre Privilegien koste - wer unterstützt schon eine Memme? Gerade feministische Kreise gingen davon aus, dass männliche Dominanz abgesichert wird, indem über Männlichkeit geschwiegen wird.

"A mans got to do what a mans got to do", wer kennt nicht diesen Spruch von John Wayne? Im Klartext: Ein Mann handelt, er muss sich nicht erklären. Da sich der weiße Mann darauf verlassen kann, selbstverständlich als das Maß der Dinge zu gelten, obliegt es allen anderen, mithin Frauen, Schwulen, Lesben, Migranten und Politikerinnen, ihre Identität in Worte zu fassen und ihre Handlungen zu rechtfertigen.

Tatsächlich hat die Tabuisierung von Männlichkeit bis vor Kurzem viele weiße Männer davon enthoben, über ihr Verhältnis zu Geschlecht und Macht nachzudenken oder sich gar öffentlich dazu zu äußern. Doch inzwischen ist die Situation komplizierter geworden. Auch die nicht enden wollende Diskussion über Merkels demotivierenden Führungsstil zeigt, dass sich die Kommunikationsstrategien verändert haben.

So hat es für brüskierte (Minister-) Präsidenten verschiedene Vorzüge, Merkel als unzuverlässige Schutzpatronin anzurufen. Der offensichtliche: Niemand fragt mehr nach der eigenen Verantwortung, sondern Mutti ist schuld. Sie hat die Zügel zu sehr angezogen. Gleichzeitig lässt sich mit dem Mutti-Narrativ die eigentlich drängende Frage deckeln: Wie könnte ein zeitgemäßer Konservativismus aussehen? Mithin ohne offenen Rassismus (ohne Koch), ohne Bestechung (ohne Rüttgers), ohne Egowahn (ohne Althaus). Die WählerInnen nämlich goutieren derartige Auswüchse nicht mehr. Das ist das eigentliche, ungelöste Problem.

Mit dem Mutti-Narrativ bewältigen die gekränkten, überlasteten Herren aber nicht nur ihr ernüchterndes Karriereende - sie ebnen sich durch die Aneignung des Geschlechterdiskurses geschickt den Weg in ein Leben jenseits der Politik. Ziel der Sehnsucht ist die Wirtschaft, denn dort ist die Welt anerkennungstechnisch noch in Ordnung, weil dort ein Mann noch vor jeder Leistung als Mann zählt und bezahlt wird. Frauen sind hier, anders als in der Politik, in den Führungsetagen kaum zu finden.

Und so lassen die Expolitiker das verdutzte Publikum in ihren Abschiedsreden wissen: Wir können auch anders, wir haben Geld und Beziehungen. Die Wirtschaft liebt uns immer noch, und zwar schon deshalb, weil wir keine Frauen und auch keine MigrantInnen sind. Seht euch nur die Statistiken an. Wir sind dann mal weg.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

15 Kommentare

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  • D
    Djdeutschland

    Zweiter Kommentarversuch:

    Die Frau in Führungsposition, bei gleicher Bezahlung ist gar keine 'Mutti'! Vielleicht läßt sie auch deshalb jeglichen Mut zur Veränderung und jegliche gesellschaftspolitische Vision vermissen.

  • EG
    Early Grey

    Die Geschichte von den bösen Jungs und der Kanzlerin hat ja zugegeben einen gewissen Unterhaltungswert.

     

    Vermutlich will Kappert nur ein wenig provozieren, Beissreflexe auslösen. Und die (männlichen) Leser gehen ihr auch auf den Leim.

     

    Kapperts Idee, dass die zurückgetretenen CDU-Politiker in ihrer Eigenschaft als weisse, heterosexuelle und männliche Wesen „Mutti“ Angela Merkel ihren vermeintlichen Abstieg in die Schuhe schieben, ist allerdings schon wieder so schräg, dass sie einen Ehrenplatz auf der Wahrheitsseite verdient hätte.

     

    Die Interpretation einer Medieninterpretation, leider nicht auf der Basis von Recherchen, Fakten. Meinung halt. Bei Männern würde man sagen: typisch Stammtisch.

     

    Schade, dass sich so wenig Frauen zu diesem Kommentar äußern!

  • D
    Djdeutschland

    Die Frau in Führungsposition, bei gleicher Bezahlung, ist gar keine 'Mutti'!

    Sie hat vielleicht auch deshalb, mit und ohne Mann, jegliche gesellschaftspolitische Vision, jeden Mut zur Veränderungen vermissen lassen liebe Frau Kappert.

  • AK
    Agnieszka K.

    ...wahrscheinlich jemand, der das Wort "Bereich" richtig schreiben kann ;)

     

    In dieser ganzen Merkel-Diskussion wundert mich am meisten, dass der Frau soviel Macht-Wille vorgeworfen wird, ausgedrückt als "Macht-Geilheit". Da möchte ich gerne wissen: welcher männliche (hoch gestellte) Politiker ist NICHT Macht-Geil? Und warum wirft man das den Frauen in der Politik (Merkel, Ypsilanti, von der Leyen...) besonders vor?? Da ist das menschliche Gehirn ganz schön stereotypisch vorbelastet - und selbst klüge Köpfe merken das nicht.

  • A
    Anne

    schöner artikel und gut auf den punkt gebracht. da schleicht mann nun hin, dort, wo mann noch das sagen hat und unter seines/gleichen ist: in die nächste `wirtschaft` - volltrunken ob der macht wird mann mit ego wundenleckend (sich) wieder kritiklos brüsten können..

  • B
    Brot

    Wie originell, ein Artikel in der taz, in dem über Männer hergezogen wird...*gähn*

    Wie kommt es eigentlich, dass hier jeder Rücktritt einer Frau in Führungsposition als Sternstunde der Emanzipation gefeiert wird, selbst wenn diese wie Frau Jepsen den Missbrauch an Kindern schweigend hingenommen hat, Männern aber sofort niedere Motive und "Mutti-Neid" unterstellt werden?

    Man muss nicht gleich aus allem die große Gechlechter-Debatte machen.

    Aber mit unreflektiertem Männerbashing bekommt Frau ja zuverlässig frenetischen Applaus aus dem Lager der emanzipierten Frauen, die nichts von GLEICH(!)berechtigung halten, sondern die Frau grundsätzlich als überlegenes Lebewesen betrachten. Selten so einen Schwachsinn in dieser Zeitung gelesen.

  • LB
    Linus Blau

    „Weiße heterosexuelle Männer“

     

    Da haben sich einige CDU-Politiker aus unterschiedlichsten Gründen von ihrem Ämtern verabschiedet.

     

    Der Kommentar von Ines Kappert übernimmt zunächst scheinbar das Deutungsmuster der Mainstream-Medien: „Mutti wars“.

     

    Dann aber erfahren wir: Mutti ist nur vorgeschoben.

    Die Autorin deckt das hinter der Schuldzuweisung stehende Verhaltensmuster auf: In Wirklichkeit geht es um „weiße heterosexuelle Männer“, die sich mit vorgeschobenem Grund zum Opfer stilisieren.

     

    Stimmt: unter den zurückgetretenen Ministerpräsidenten etc. ist kein einziger Farbiger. Sie sind auch - soweit bekannt - weitgehend heterosexuell. Und, ebenfalls zu 100%, Männer! Was ist daran aber überraschend? Und was ist daran in irgendeiner Weise relevant?

     

    Man kann nur mutmaßen, welche Mechanismen zum tragen gekommen wären, wenn eines der zurückgetretenen Landesoberhäupter farbig oder eine Frau gewesen wäre. Vielleicht hätte es auch dann genug Anlässe und Gründe gegeben, die Rücktrittsursache bei Merkel zu finden. Oder auch nicht.

     

    Kappert dürfte es nicht entgangen sein, dass einer der Aussteiger homosexuell war. Wie andere gab auch er nicht Merkel, sondern seine persönlichen Präferenzen als Grund für seinen Rücktritt an. Mit solchen Kleinigkeiten gibt Kappert sich nicht ab: Jedenfalls weiß und männlich ist der Kerl, genauso wie die anderen Herren! Und das Merkel die Männer fertig gemacht hat, das wusste doch jede Kreiszeitung, von Ost bis West, rechts bis links, das braucht doch nicht hinterfragt zu werden! Dann ist doch logisch, dass die jetzt Mutti alles in die Schuhe schieben. Auch wenn sie uns was anderes erzählen.

     

    Kappert will wissen, dass die amtsmüden Politiker jetzt in die Wirtschaft streben, weil sie da dann unter sich, den weißen Jungs sind. Kann es sein, dass die Expolitiker – wenn sie denn überhaupt in die Wirtschaft gehen! - , z.B. einfach nur Kohle machen wollen? Dass es ihnen ziemlich schnuppe ist, ob der Chef eine Frau, ein Ausländer oder Homosexueller ist? Das es viel zu wenig Chefinnen gibt, steht doch auf einem völlig anderen Blatt.

     

    In einer in der Tat männlich, heterosexuell und „weißhäutig“ dominierten Politik und Wirtschaftswelt lassen sich nicht alle Vorgänge ursächlich mit diesen Faktoren erklären. Die Welt ist erfreulicherweise etwas komplexer. Da gibt es Männer, die tatsächlich keinen Bock mehr auf Politik oder Wirtschaft haben (meistens gut abgesichert). Da gibt es Frauen, die nach ihrer Politikkarriere als Beraterin in die Wirtschaft gehen.

     

    Aber um eine Meinung zu haben, darf man natürlich ein wenig vereinfachen. Und in die Schublade Frauen-, Homo- und Migrantendiskriminierung wird sich ja wohl irgendwie auch der Rücktritt der Ministerpräsidenten quetschen lassen. Denn die waren ja weiß, heterosexuell und Männer. So einfach ist das.

  • R
    rugero

    Mutti merkelt gar nichts. Wichtig ist ihr einzig ihr persönliches politisches Überleben. Dazu darf man keine innerparteilichen Konkurrenten haben und muß sich so weit wie möglich vor unbequemen Einscheidungen drücken.

  • GC
    gerd coelfen

    soso, für weiße, heterosexuelle männer ist es opportun,

    sich als opfer weiblicher vorgesetzter zu gerieren.

    was ich noch nicht ganz verstanden habe, ist, warum das

    für farbige schwule nicht gelten soll.

    je tiefer man das ganze durchdenkt, desto eher ist man geneigt, den ganzen artikel für bockmist zu halten,

    tschuldigung, ziegenmist.

  • A
    anke

    So what? Vielleicht wird Politik ohne Muttersöhnchen endlich das, was sie werden könnte. DIE Wirtschaft jedenfalls ist selber Schuld, wenn sie sich mit Typen behängt, die fürs An-die-Hand-genommen-werden auch noch bezahlt werden wollen. Schade nur, dass DIE FDP nicht Recht hat, wenn sie behauptet, jeder und jede könnte selbständig überleben.

  • V
    vic

    Verzeihung, aber man muss nicht mit jeder Mutti zwanghaft solidarisch sein.

    Speziell nicht mit dieser.

  • A
    atypixx

    "Und so lassen die Expolitiker das verdutzte Publikum in ihren Abschiedsreden wissen: [...] Die Wirtschaft liebt uns immer noch, und zwar schon deshalb, weil wir keine Frauen und auch keine MigrantInnen sind"

     

    Was für eine abenteuerliche, gekünstelte Schlussfolgerung.

  • M
    Meinungsmache

    Das ist Volksverhetzung übelster Sorte.

  • PM
    Peter Mueller

    "A mans got to do what a mans got to do" muesste eigentlich lauten "A man's got to do what a man's got to do". Das Apostroph ist wichtig, da das "a man's got to" fuer "a man has got to" steht.

  • PM
    Peter Mueller

    "Ines Kappert leitet des Meinungsressorts bei der taz" Und wer leitet dem Grammatikberiech?