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Sommer im Museum (I)Einhörner und sprechende Füchse

Leinen, in jahrelanger Arbeit bestickt: Eine der bedeutendsten Sammlungen kirchlicher Textilien lagert in einem Vorort von Lüneburg - im Kloster Lüne, dem würdigsten der "Heideklöster", mit seiner im Norden seltenen mittelalterlichen Atmosphäre.

Christusgestalt auf Leinenstoff: Restaurierungsarbeiten in der Textilwerkstatt des Klosters Lüne. Bild: dpa

Die Lüneburger Heide ist als Naturraum bekannt. In dem dünnbesiedelten Gebiet zwischen Hamburg und Hannover gibt es aber auch sechs bedeutende alte Klosteranlagen. Das würdigste dieser "Heideklöster" ist Kloster Lüne in einem Vorort von Lüneburg. Etwas im Abseits heutiger Zugänge zur alten Salzstadt scheint die Anlage von Autobahnzubringer und Bahngleisen wie zurückgedrängt.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die nahe Eisenbahnline dem Kloster zum Verhängnis: Den größten Schaden - abgesehen von Bränden im 13. und 14. Jahrhundert - erlitt es durch die Sprengung der Eisenbahnbrücke über die Ilmenau durch deutsche Soldaten am 18. April 1945: Große Teile des Dachs über der verwinkelten Anlage wurden ruiniert, die bis dahin erhaltene, spätmittelalterliche Glasmalerei weitgehend zerstört.

Es gibt viele Gründe, das restaurierte alte Backstein-Kloster heutzutage aufzusuchen: Das Ensemble mit seinen Gebäuden und Höfen verströmt eine im Norden nicht häufige mittelalterliche Stimmung, die auch schon für Filmaufnahmen genutzt wurde. Vielleicht locken auch besondere Veranstaltungen im Remter oder die Caféstube mit der Ausmalung von 1648. Eine Führung durch das Innere des Klosters sollte mitmachen, wer Interesse hat an der besonderen Geschichte eines schon 1170 gegründeten, erst 1562 auf Druck der Landesfürsten offiziell evangelisch gewordenen, heute noch von der einzigartigen Hannoverschen Klosterkammer verwalteten Konvents. Vor allem aber gibt es hier ein Museum mit einem der deutschlandweit bedeutendsten Bestände mittelalterlicher Textilkunst.

Die Serie

Kleine, feine und vor allem: unbekannte Museen des Nordens zeigen wir in dieser - in loser Folge erscheinenden - Reihe. Dazu zählen von Privatinitiativen gepflegte Gedenkorte, Museen zu zunächst abseitig erscheinenden Themen oder Häuser voller Preziosen inmitten idyllischer Landschaft.

Gemäß der Benediktinerregel "Ora et Labora" - bete und arbeite - haben einst die Nonnen Leinen gewebt und in mitunter jahrelanger Arbeit bestickt. Die frühesten erhaltenen Stücke sind Altardecken und sogenannte Fastentücher, mit denen in der vorösterlichen Fastenzeit die Altäre verhängt wurden. Sie sind weiß in weiß, gehen zurück bis 13. Jahrhundert und zeigen in streng mittelalterlichem, noch romanischen Vorbildern folgendem Bildaufbau vor allem Christus, die Dreifaltigkeit, die Evangelisten und Engel.

Berühmte Schauteppiche

Sind auch diese Arbeiten wegen ihres hohen Alters und der Stilisierung bemerkenswert, ist Kloster Lüne doch am ehesten für seine vier farbigen, bis zu fünf mal vier Meter großen Schauteppiche zu Advent, Weihnacht, Ostern und Himmelfahrt berühmt, die zwischen 1492 und 1505 gestickt wurden. Nur einer davon fehlt: Um die Kriegsschäden beheben zu können, verkaufte das Kloster 1949 den vielleicht bedeutendsten, den "Osterteppich", an die Stadt Hamburg. Im dortigen Museum für Kunst und Gewerbe wird der Teppich aus konservatorischen Gründen nur alle zwei Jahre zwischen Ostern und Pfingsten gezeigt.

Mit Fußbodenbelägen haben die Lüner Teppiche wenig gemein. Anders als die Orient-Teppiche sind sie nicht geknüpft. Einige wenige, wie die erstaunlich modern wirkenden Banklaken mit den allegorischen Pelikanen sind am Webstuhl gewirkt. Die anderen bestehen aus Leinen, das nach einer Vorzeichnung mit farbigen Garnen bestickt wurde. Die in eine Richtung parallel gelegten Wollfäden werden befestigt, nicht aber durchgenäht, und so ist dieser "Klosterstich" besonders sparsam - und der Effekt umso beeindruckender. In großer Komposition, in schriftumzogenen Medaillons oder auch in einer Abfolge von gotisch bekrönten Feldern mit Szenen zu Auferstehung, Erscheinung und Himmelfahrt wird darauf die christliche Heilsgewissheit verbildlicht.

Heute fasziniert die Phantasie und der Witz der Randbordüren mit all ihren Blumenornamenten und Fabeltieren. Da doziert ein Fuchs mit Bischofsstab vor eifrig "tat-tat" schnatternden Gänsen, eine Katze maunzt im comicartigem Spruchband "Maw Maw", ein Esel musiziert, und der Rattenfänger ist selbst ein Mäusetier. Solche Szenen wurden wohl im Kloster selbst entworfen, Vorbild waren vermutlich die Randfiguren ausgemalter Inkunabeln sowie christlich gewendete Legenden.

Die oft adeligen Häusern entstammenden Klosterfrauen müssen sich über das Religiöse hinaus blühenden Phantasien hingegeben haben. Zu den anekdotischen Darstellungen auf den großen Teppichen passt auch die Legende vom Klosteresel.

Esel mit silbernen Hufen

Der soll nach dem Brand von 1372 die Nonnen wunderbarerweise und unermüdlich mit Lebensmitteln und Baumaterial versorgt haben - zum Dank ließen die Nonnen ihm die Hufe versilbern. Damit allerdings brachen sie den Zauber, und der Esel ward nicht mehr gesehen: So wurde die Tatsache ausgeschmückt, dass auf einer Darstellung in einem Glasfenster ein Esel besonders hell scheinende Hufe hat. Historisch gesehen, handelt es sich schlicht um ein altes Wappen.

Geschichten aus alter Zeit erzählen noch heute die ehrenamtlich umherführenden Damen. Doch neben den schönen Textilien und den alten Mauern mit Resten von Fresken, dokumentiert das meiste, was sie zeigen, die nachmittelalterliche Geschichte des Ortes als evangelisches adeliges Damenstift. Im sinnenfrohen und machtbewussten Barock wurden die Klosterzellen mit Gartenlandschaften ausgemalt und die gewählte Äbtissin bekam im Kapitelsaal einen prunkvollen Thron: Sie saß dem großen Krönungsporträt von Georg II., Kurfürst von Hannover und König von Großbritannien und Irland gegenüber, der das Konvent 1729 besuchte.

So sehr sich die Lebensart dort änderte: Das Kloster wurde reformiert, aber niemals aufgelöst. Und so konnten die klösterlichen Textilien, meist eingerollt und mit Pfeffer geschützt, an verborgenem Ort die Zeiten überdauern. Schon lange nicht mehr zu liturgischen Zwecken genutzt, wurden sie zeitweise um den Tag des Schutzheiligen Bartholomäus, dem 24. August, herum zahlendem Publikum gezeigt. War die zeitweilige Ausstellung einst durch den Rhythmus des Kirchenjahres bedingt, wurde die Tradition fortgesetzt, um die empfindlichen Textilien vor dem Ausbleichen zu schützen. 1995 eröffnete ein neues Museum, in dem das technisch, historisch und künstlerisch wertvolle Erbe zugleich geschützt und zusammen mit zwei außerordentlich seltenen Prozessionsfahnen von 1410 gezeigt werden kann.

Die mit einem Hochaltar von 1524, barocker Kanzel und prunkvoller Orgel ausgestattete Kirche vom Beginn des 15. Jahrhunderts allerdings bleibt wegen Restaurierung bis mindestens bis Dezember 2010 geschlossen - eine kurze Zeit, bedenkt man das seit über 600 Jahren stete Strömen des Wassers im gotischen Bronze-Brunnen, der längst das Wahrzeichen des Klosters ist.

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