Kolumne Gerüchte: Ich kack dir auf den Tisch

Merz, von Beust, Köhler - Wir alle sind staunende Zeugen einer neuen christdemokratischen Befreiungskultur.

BERLIN taz | Unter all den Kindergeschichten, die Mütter gern zum Besten geben, gehört jene in die Kategorie: peinlich. Im Alter von drei Jahren sollte mein Widerstand gegen einen Mittagsschlaf dadurch gebrochen werden, dass die Türe des Kinderzimmers für die betreffende Zeit von außen abgeschlossen wurde. Aus Protest gegen diese Inhaftierung, so wird erzählt, soll ich daraufhin meine Notdurft auf dem Tisch des Zimmers verrichtet haben.

Ich schreibe "soll", da ich mich an diesen Vorgang nicht erinnere und ihn auch gar nicht glauben möchte. Allerdings wuchs bei mir mit jeder Wiederholung der Geschichte die Überzeugung, dass es am Ende vielleicht doch so gewesen sein könnte. Denn mit zunehmendem Alter spüre ich immer häufiger die Lust, zumindest symbolisch auf den Tisch zu kacken.

Dieser Drang ist vermutlich jener Lust vergleichbar, mit der Horst Köhler sein Amt aufgab. Er hat es zwar nicht gesagt, aber er hat es gemeint: "Leckt mich am Arsch!" Die Köhlers, die Lafontaines und die Beusts dieser Republik verhalten sich damit nicht anders als mein dreijähriges Ego im Kinderzimmer, nur dass es eben nicht so stinkt.

Die Freude, die es macht, etwas aufzugeben, was anderen als wertvoll erscheint, ist eine Erfahrung, die derzeit vor allem in der CDU Konjunktur hat. Von Merz bis Koch lassen sie gut gelaunt ihre "Häufchen" auf dem Tisch zurück. Gehen, verzichten, austreten - wir alle sind staunende Zeugen einer neuen christdemokratischen Befreiungskultur.

Nicht mehr dazu gehören zu müssen, das ist ein sehr schönes Gefühl. An jenen Tag, als ich aus der SPD austrat, kann ich mich jedenfalls noch gut erinnern, vor allem, weil ich innerhalb von wenigen Jahren gleich zweimal eingetreten und daher auch zweimal ausgetreten war. Unter Protest versteht sich und in der wahnwitzigen Hoffnung, mein Austritt würde den Parteivorstand zu einer Korrektur bewegen.

Zumindest eines hat sich geändert: Es schimpft sich leichter über die Politiker, wenn man keiner Partei angehört. "Wenn das alle so machen", sagte mir mein Freund Peter eines Tages, "dann gibt es bald niemanden mehr, der sich für die Demokratie engagiert." Ganz unrecht hat er nicht. Rechnet man den Mitgliederschwund der Volksparteien in Deutschland auf das Jahr 2050 hoch, reichen SPD und CDU für ihren Bundesparteitag das Nebenzimmer in der Bahnhofsgaststätte von Uelzen.

Jahrelang gärte es in mir, und ich beschloss, wieder einzutreten. Dieses Mal aber vielleicht in eine Partei mehr am Rand des demokratischen Spektrums, also entweder in die CSU oder bei den Linken. Beide Parteien sind mir in etwa gleich sympathisch, weil sie versuchen, sich unterscheidbar zu halten vom Gewusel in der Mitte. Mein Los fiel auf die Linke.

Kaum war ich eingetreten, fing ich an, mich über deren Politik noch mehr zu ärgern als vor meiner Mitgliedschaft. Und seit sich herumgesprochen hat, ich sei Mitglied der Linken, muss ich mich für meine zehn Euro Mitgliedsbeitrag im Monat auch noch von meinen Freunden beschimpfen lassen. Als "mein" Parteivorstand vor kurzem beschloss, eine eigene Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten aufzustellen und die Chance zu vertun, sich von der SED-Vergangenheit zu distanzieren, war es dann so weit: Ich sah wieder den Tisch und das Häufchen vor mir.

Philipp Maußhardt vertritt die urlaubende Barbara Dribbusch.

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Journalist, Mitbegründer der Zeitenspiegel-Reportageschule, hält Brandenburg für die neue Toskana.

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