Wotan schlägt sich durch

Brünnhilde in Springerstiefeln. Halbzeit im Dortmunder „Ring der Nibelungen“. Operndirektorin Christine Mielitz inszeniert Richard Wagners Bühnenfestspiel mit Bezügen zum Deutschen Herbst

AUS DORTMUND REGINE MÜLLER

Nach dem „Rheingold“ schmettert „die Walküre“. Damit ist Halbzeit in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ am Opernhaus Dortmund. Eine schwierige Bilanz ist zu ziehen. Die Großtat von Operndirektorin Christine Mielitz (bis 2007 soll das gesamte Bühnenfestspiel komplettiert werden) scheint bislang überregional wenig beachtet, ganz im Gegensatz zu ihrem spektakulären Provinz-Wagnis seinerzeit in Meiningen.

Auch nach zwei Abenden ist noch nicht klar, wohin die Reise gehen soll. Der Bruch zwischen Regiekonzept und musikalischer Leitung scheint unfreiwillig. Denn während die Regie von Mielitz eine Fülle von Verweisen einbaut und Motiv-Strukturen heraus präpariert, um die Abende zu verklammern, bleibt Arthur Fagen im Graben so stur auf der Spannungs-Bremse, dass es bröselt und Staub regnet. Fagen schafft es, dass der große Wagner-Atem in kleine Schnauferchen zerfällt und die gefühlte Temperatur nie über Zimmerwärme ansteigt. Womöglich hatte er einen kammermusikalischen Wagner im Sinn, tatsächlich dreht er ihm den Saft ab.

Auf der Bühne herrscht eine strenge, rein schwarze und weiße Farbenlehre. Die steht nicht nur für oben und unten von Göttern und Menschen, auch für Ambivalenz und Instabilität einer Welt auf der Kippe. Auf der Drehbühne ist ein mit sich kreuzenden Treppen bestückter Aufbau ruhelos in Bewegung (Bühne Stefan Mayer) und zeigt abwechselnd seine schwarze und seine weiße Seite. An den Seiten rotieren massive Drehtüren, vom Schnürboden fallen Seidenschals, die Technik ächzt, leider allzu hörbar und unpräzise im Timing. Dazu wird man den Verdacht nicht los, dass die Mätzchen des nervenden Technik-Gewitters nur inhaltliche Leerläufe kaschieren sollen.

Eine zweite Farbenlehre bringen die schwarz-rot-golden gewandeten Rheintöchter ins Spiel, die Mielitz auch in der Walküre auftreten lässt. So soll uns wohl eine deutsche Geschichte erzählt werden, auch wenn ein großer Vorhang die Straßenschluchten eines internationalen Finanzzentrums abbildet. Die Limousinen-Reste im Bühnenbild sind dagegen unschwer als Wrack des Herrhausen-Anschlags der RAF zu entschlüsseln. Die politischen Bezüge vom Barrikaden-Revolutionär Wagner zu Akteuren der späten RAF-Zeit wollen brisant sein, verpuffen aber im inzwischen allzu sicheren historischen Abstand. Wird aus der radikal-konsequenten Brünnhilde bis zur „Götterdämmerung“ noch eine Ulrike Meinhof?

Einstweilen jagt sie mit roter Mähne in schwarzer Kluft und Springerstiefeln ziemlich aufgescheucht über die Bühne und bezieht ihren Widerstand gegen Wotan vor allem aus der Wut über dessen rohe patriarchale Gewalt. Wotan schlägt Frau und Töchter und gibt zudem das sexuelle Alphatier. Mielitz misstraut der Version vom nachdenklichen Wotan mit edlen Seiten, sie lässt mit Phillip Joll ein schnaubendes Untier auf die Bühne wuchten. Dessen Gattin Fricka zeigt Annette Seiltgen als verhärmte Alte, deren klirrendes Gekeife durch Mark und Bein geht. Das Geschwisterpaar Siegmund (Edward Randall) und Sieglinde (Kirsten Blanck) singt und spielt erfreulich differenziert und bringt den Text vernehmlich über die Rampe. Leider liegen sich beide in Mielitz‘ Lesart viel zu früh in den Armen, so dass sich der Rest der verschleppten Liebes-Stürme doch arg hinzieht. Hunding (Vidar Gunnarsson) sieht Wotan verdächtig ähnlich, trägt zudem den gleichen roten Speer. Die beherrschende Figur aber ist Milena Butaevas Brünnhilde, die über immense stimmliche Durchschlagskraft verfügt.

Mielitz‘ Personenführung ist zwar gekonnt und solide, von einer großen Idee kann in Dortmund einstweilen jedoch noch keine Rede sein.

Der halbe Dortmunder Ring:Die Walküre02., Dezember, 19:30 UhrDas Rheingold04., Dezember, 18:00 UhrKarten: 0231-5027222