piwik no script img

Medienethiker über Loveparade-Berichte"So entsteht regelrechter Hass"

Die mediale Personalisierung im Fall der Loveparade reduziert komplexe Sachverhalte und schafft so einen Sündenbock, beklagt Medienethiker Christian Schicha.

"Journalisten wollten ihre Thesen mit Bildern bestätigen": auf der Pressekonferenz nach dem Desaster - OB Adolf Sauerland, Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller und Detlef von Schmeling, Vizepolizeipräsident von Duisburg (von rechts nach links) Bild: dpa
Interview von Karin Schädler

taz: Herr Schicha, es gab zur Berichterstattung nach der Loveparade über 200 Beschwerden beim Presserat. Hat Sie das überrascht?

Christian Schicha: Überhaupt nicht, denn es wurden massiv Persönlichkeitsrechte verletzt. Vor allem die Bild-Zeitung und der Express haben Bilder von Menschen gezeigt, die später ums Leben gekommen sind. Das ist ein Verstoß gegen den Pressekodex, denn ich nehme nicht an, dass Angehörige eine Genehmigung erteilt haben.

Warum wurden Bilder wie diese abgebildet?

Sie sollten personalisieren, damit man sich identifiziert und empathisch ist. Das ist natürlich in gewissem Maße auch legitim, aber man muss ja nicht zwingend den vollen Vor- und Zunamen und das authentische Bild verwenden. Denn für die Angehörigen hatte es katastrophale Folgen und der Wahrheitsfindung diente es überhaupt nicht. Ein zusätzliches Problem sind die Bilder, die von Beteiligten selbst gemacht wurden und ins Internet gestellt werden. Dass sie teilweise auch in Nachrichtensendungen gezeigt wurden, finde ich nicht richtig, denn die Menschen, die abgebildet sind, wurden nicht gefragt, ob sie gezeigt werden möchten.

Bild: privat
Im Interview: 

Christian Schicha, 46, forscht an der Mediadesign Hochschule in Düsseldorf unter anderem zu Medienethik, Bildmanipulation und politischer Kommunikation. Er lebt in Duisburg.

Betrifft Ihre Kritik auch die "seriösen" Medien?

Die überregionalen Medien haben sich große Mühe gegeben, die Geschichte einzuordnen und gründlich die Hintergründe zu recherchieren. Aber einen falschen Umgang mit Bildern sehe ich auch hier. Bilder werden häufig missbraucht, um die These eines Artikels zu bestärken. Zum Beispiel zeigte der Spiegel ein Bild des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland, in dem dieser seine Hände nach oben streckte. Das sollte symbolisieren, dass er sich für unschuldig halte, was er selbst gar nicht gesagt hat. Auch die Bilder von der Pressekonferenz mit Sauerland, anderen Vertretern der Stadt und dem Veranstalter Rainer Schaller wurden immer wieder in Zeitlupe und in Wiederholung gezeigt, um zu demonstrieren: Diese Menschen kamen mit der Situation nicht klar. Da wollten Journalisten ihre Thesen mit Bildern bestätigen. Durch solche medialen Darstellungen entsteht ein regelrechter Hass auf diesen Oberbürgermeister.

Viele würden sagen: zu Recht.

Er hat sicherlich in der Geschichte keine glückliche Rolle gespielt, aber es sind eine Vielzahl von Akteuren an dieser Loveparade, an der Konzeption und an der Umsetzung beteiligt gewesen. Insofern gibt es eine Vielzahl von möglichen Schuldigen. Durch die mediale Personalisierung reduziert sich das aber und man meint, über eine einzige Person die Verantwortlichkeit feststellen zu können.

Sind Journalisten dafür mitverantwortlich?

Journalisten stehen natürlich unter dem Druck, schnell zu berichten, auch wenn die Situation noch unklar ist. Man erwartet von ihnen, dass sie Geschehnisse einordnen und Antworten liefern. Seriöser Journalismus sollte aber auch öfter mal zur Kenntnis nehmen, dass man bestimmte Dinge noch nicht weiß.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • H
    hto

    Wo die gebildete Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche gepflegt wird, mit Konfusion in Überproduktion von Kommunikationsmüll, und die profitabel ausschlachtbare Basis eine GLEICHERMAßEN unverarbeitete / MANIPULIERBARE Bewußtseinsschwäche in Angst, Gewalt und "Individualbewußtsein" ist, da ist Hass doch kein Wunder - die Masse der so konditionierten Abhängigen sucht und findet Bewußtseinsbetäubung, u.a. in einer Parade die sicher nicht von Liebe beseelt ist!?

  • SF
    Steffen Flügel

    Ich finde es beachtenswert, welche Unterscheidung von Herrn Michels getroffen wurde:

    Schuld vs. Verantwortung.

    Ich würde gerne diese Unterscheidung unterstreichen, da sie eine höchst unangenehme Seite offenlegt, der ich mich gerade auch in meinem Blog (Stein 2.0)gewidmet habe.

    Die Frage nach Verantwortung ist noch scheinbar einfach zu klären und zugleich würde sie die Massen befriedigen, da Schuld und Verantwortung für gewöhnlich gleichgestellt wird (was nebenbei auch erklärt, warum eben diese Verantwortung zur Zeit keine Übernehmen möchte!).

    Mit der Frage nach der Verteilung der Schuld wird es dann allerdings unangenehm - Herr Sauerland hat sicherlich nicht mitgefeiert und versucht so schnell wie möglich zur anderen Bühne zu kommen...

    ...wer also hat alles Schuld? Und wer möchte schon gerne für diese Schuld verantwortlich sein?

  • S
    Susanna

    endlich sagt mal jemand was Sache ist... ich darf mir gar nicht vorstellen zu welchen Zwecken solche Manipulationen zur Hassentwicklung im "Notfall" benutzt werden könnten.

  • MM
    Marco Musumeci

    Die „Loveparade“ war genehmigt worden: aber nur für 250.000 Teilnehmer. Dass der Veranstalter Rainer Schaller (McFit), der ja mit der Sache massig Geld verdienen wollte, die Behörden betrogen und sich die Genehmigung mit falschen und geschönten Zahlen erschlichen hat, ging im Zuge der Hexenjagd auf Sauerland gänzlich unter. Im übrigen war auch interessant, dass alle, die es schon vorher gewusst hatten, direkt auf Duisburgs Oberbürgermeister losgingen, statt sich selbst zu fragen, warum sie denn die Veranstaltung nicht mit einer gerichtlichen Verfügung verhindert hatten, wenn sie doch alles vorher so genau gewusst hatten.

    Alle lassen sich von den Schlagzeilen der Boulevardpresse manipulieren, alle wissen laut und aggressiv, wer schuldig ist, nicht nur als seien alle selbst bei der „Loveparade“ dabei gewesen, sondern als hätten sie zusätzlich noch damals den Polizeifunk mitgehört und hätten an sämtlichen Stadtratssitzungen dazu teilgenommen. Alle sind sie Spezialisten in Jura und Moral, alle haben eine Meinung, und je weniger diese fundiert ist, umso lauter wird sie rausgeschrien. Und wenn die Bildzeitung vorrechnet, wie viel Pension Duisburgs Oberbürgermeister erhält, erwacht es wieder, was man mit dem schönen deutschen Wort „Neidhammel“ bezeichnet. Deutlich wird: „Politiker“ ist kein geachteter Beruf, und vielleicht weil man an die ganz Großen a la Schröder und wie sie alle heißen nicht rankommt, prügelt man eben auf den kleinen Bürgermeister ein.

  • M
    McMalcom

    Besonders dem letzten Kommentar kann ich nur zustimmen. Ein Großteil der Medien berichtet in einer Art, als ob sie das Wissen und die Weisheit gepachtet hätten und nach oberflächlicher Recherche gehen die Nachrichten samt moralinsaurem Zeigefinger auch schon online.

     

    Schade eigentlich. Denn seriöser Journalismus schaut anders aus.

     

    Guten Tag.

  • K
    Knut

    "Seriöser Journalismus sollte aber auch öfter mal zur Kenntnis nehmen, dass man bestimmte Dinge noch nicht weiß."

     

    einer der klügsten Sätze seit langem.

  • E
    erikius

    "Seriöser Journalismus sollte aber auch öfter mal zur Kenntnis nehmen, dass man bestimmte Dinge noch nicht weiß."

    Gestern auf TAZ-online: Haider und angebliche Schwarzgelder. Hat sich bisher nicht bestätigt, es wurde sogar via Liechtenstein dementiert (das wurde im Artikel allerdings auch berücksichtigt). Mir ist klar, das der Haider hier nicht gemocht wird (und ich habe auch nicht sonderlich für ihn übrig gehabt). Wenn ein Mensch aber schon zwei Jahre tot ist, dann hat man auch genug Zeit die Fakten zu sichten und wenn es sich als wahr erachtet dann gebt ihm meinetwegen volles Rohr aber unnötigerweise auf ein Grab zu pinkeln, das ist nicht seriös...

    Auf jeden Fall hat Herr Schicha recht, nur wird dieses Optimum noch nicht einmal von den "seriösen" Medien wie den öffentlich rechtlichen eingehalten. Sensationen sind eben wichtiger als Fakten...

  • RD
    Richard Detzer

    Wenn eine Vielzahl an Akteuren die Loveparade zu einem solchen Ergebnis bringt, im Nachhinein nicht einmal Zweifel aufkommen lassen will, dann ist was faul im Staat.

    Schon jetzt kommen die nächsten aus der Deckung die nur verlauten, das muß nur anders gesteuert werden, dann ist es wieder richtig.

    Die Frage der Einzelverantwortung stellt sich nicht. Es liegt in der Natur der Gesellschaft, den Einzelnen und das Besondere zu hassen.

    Das demokratische Spiel, das linke Bein stellt dem rechten eins und umgekehrt, ist keine hohe Form der Politik. Wenn das praktiziert wird, muß man sich fragen. Wozu sind wir eigentlich da.

    Ich frage mich, was soll nach der Sommerpause kommen. Dann sind alle die wieder, die uns diesen Staat einbrocken, wieder am Werk. Großer Gott!

  • V
    vantast

    Jetzt wird überflüssigerweise über Details geredet, dabei hätte man sich vor der Genehmigung nur die Frage stellen müssen, wie die Menge reagiert, wenn ein Idiot einige Knallfrösche zündet. Oder der vielfach gefürchtete Terrorist. Dann wäre diese Parade gar nicht genehmigt worden. Aber jetzt reden die "Experten".

  • J
    Jussuf

    Angenehm klare und immer wieder aktuelle Überlegungen. Berichterstattung sollte doch eigentlich immer unabhängig und unvoreingenommen erfolgen, sonst landen wir bei einem Ich-Journalismus, der für sich gesehen niemandem nützt.

  • J
    jeggert

    Betrifft Ihre Kritik auch die "seriösen" Medien?

    1) gibt es die?

    2) wenn ja, wie erkennt man sie oder wie lautet die definition?

    3) hält die taz sich für seriös?

  • D
    dax2010

    ich finde ausserdem das die medien mit der art und weise wie sie berichten, grade die zeitung mit den v großen buchstaben der gessllschaft einen sündenbock presentieren. das problem an daran ist, dass dieser von den konsumenten angenommen wird,was momentan bürgermeister sauerland zu spüren kriegt.

  • J
    Jürgen

    Es ist bedauerlich was passiert ist - es ist unfassbar schrecklich... Wie manche Medienmit den Schicksalen umgeganf#gen sind ist scheinheilig und nur dazu da die Auflagen zu steigern - hoffentlich geht dies Rechnung nicht weiter auf

     

    mfg

     

    JK

  • AM
    Alfred Michels

    Für den Hass bedarf es garnicht der medialen Personalisierung. Dazu genügt m.E. die Fakten und die mangelnde Bereitschaft aller Verantwortlichen für irgendwelche Fehler Verantwortung (nicht Schuld) zu übernehmen oder sie zumindest nicht anderen in die Schuhe zu schieben (während man zu sich selbst aus "ermittlungtechnischen Gründen" nichts sagen darf).

     

    Das der Bürgermeister zur Zeit vielleicht der grösste Sündenbock ist hängt ja auch mit der ihm zugedachten Rolle zusammen. Von einem Veranstalter kann man ja erwarten das der schon mal mit Hinblick auf die Knete beide Augen zudrückt. Von der Stadt erwartet man allerdings etwas anderes. Und ob die Polizei wirklich alles richtig gemacht hat bleibt noch zu klären. Ihr kann man aber zumindest zugute Halten das man in einer solcherlei "geplanten" Katastrophe auch nicht unbedingt viel retten kann.

     

    Und natürlich hat keiner der Verantwortlichen das Unglück gewollt. Wahrscheinlich genauso wenig wie etwa ein Betrunkender im Strassenverker sich einen Unfall wünscht bei dem andere Menschen sterben. Für vergleichbares Fehlverhalten sind allerdings schon Leute zurückgetreten ohne das irgendjemend zu Schaden gekommen wäre. Das nennt man dann wahrscheinlich Rückgrat oder so. So etwas soll es ja mal gegeben haben.

  • L
    liz

    Sehr guter Beitrag, endlich mal einer der zum Nachdenken aufruft, viel zu selten ist so etwas zu lesen!

  • RT
    Ralph Themar

    Nein, Herr Sauerland ist kein personalisierter Sündenbock, kein Hassobjekt Er soll lediglich die politische Verantwortung für das offensichtlich desaströse Verwaltungshandeln übernehmen. Davon unberührt ist die Frage nach seinem konkreten Anteil an der Schuld, die doch erst nach der sachlichen Aufklärung aller zu dieser Katastrophe führenden Umstände überhaupt zuweisbar wäre.

    So wie es sich jetzt darstellt, reduziert sich die derzeitige Diskussion auf seine künftigen Pensionsansprüche und das ist peinlich.

  • M
    Michael

    Sehr gut! Endlich bringt mal einer auf den Punkt, was mir in den letzten Wochen nicht nur in der TAZ auf die Nerven gegangen ist.

  • T
    T.V.

    "OB Adolf Sauerland, Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller und Detlef von Schmeling, Vizepolizeipräsident von Duisburg (von li. nach r.) "

     

    Eher von rechts nach links.

  • T
    Thomas

    Was die mediale Verwendung von Handy-Mitschnitten von Teilnehmern angeht, muss ich sagen: Hier die Einwilligung der Gezeigten zu fordern, ist naiv, weil das praktisch nicht möglich ist.

     

    Diese Menschen waren Teilnehmer einer öffentlichen Kundgebung und mussten zu jedem Zeitpunkt damit rechnen, gefilmt zu werden.

     

    Letztlich kann man sogar für die Abbildung der Gedränge-Situation inklusive Gesichter durch "Bild" argumentieren. Dass "Bild" allerdings die Porträts der Getöteten ohne Einwilligung veröffentlicht, ist nicht in Ordnung.

  • T
    tussydelite

    Soweit ich weiss, ist es erlaubt, Personen, die auf öffentlichen Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen teilgenommen haben, abzubilden, zumal, wenn es sich um ein so schwerwiegendes Unglück handelt und die Berichterstattung auch zur Auffindung von Teilnehmern und Zeugen dient.