Sommer im Museum (IV): Krabben - und wenig sonst

Das Büsumer Museum am Meer vertut die Chance, sich mit den interessanten Aspekten des Nordseetourismus zu befassen. Dafür gibts das Anlanden von Meeresgetier zu sehen.

Nach einer halben Stunde ist Ruhe: Blick in die Krabbensortierung neben dem Museum. Bild: Frank Keil

Das Beste gehört genau genommen gar nicht dazu: Es ist die Halle eines benachbarten Fischereibetriebes, bestückt mit einer fulminanten Krabbensiebanlage, die sich vom ersten Stock des Museums aus durch ein Bullauge betrachten lässt.

Da schütten Männer die frisch aus dem Meer geholten Krabben aus blauen Plastiksäcken auf ein rüttelndes Förderband, wo die Tierchen entsprechend ihrer Größe in drei verschiedene Behältnisse fallen, in weiße Plastikwannen umgeleitet werden, die wiederum gestapelt, zum Pulen in die Nachbarschaft gebracht werden - oder auch etwas weiter weg, nach Polen, wo das Pulen billiger zu haben ist.

Meist eine halbe Stunde dauert das Schauspiel. Dann tritt wieder Ruhe ein, nebenan - Ruhe wie draußen im Hafenbecken, wo die Krabbenfischer regungslos daliegen wie an einer Kette aufgezogen. Im ersten Moment tatsächlich ein malerisches Bild. Doch nur wenige von ihnen fahren noch regelmäßig raus; mit anderen fahren Touristen auf Ausflugsfahrten.

Kleine, feine und vor allem: unbekannte Museen des Nordens zeigen wir in dieser - in loser Folge erscheinenden - Reihe. Dazu zählen von Privatinitiativen gepflegte Gedenkorte, Museen zu zunächst abseitig erscheinenden Themen oder Häuser voller Preziosen inmitten idyllischer Landschaft.

Damit ist auch schon der Spagat beschrieben, den das private Museum am Meer in Büsum (Kreis Dithmarschen) bewältigen muss: Da sollen einerseits die Krabbe und der heimische Krabbenfang früher und heute dokumentiert und gewürdigt werden - und zugleich die Geschichte erzählt werden vom Nordseestädtchen Büsum als Heil- und Kurbad. Während die Ausstellungsexponate und Hinweistafeln im Falle der Nordseekrabbe, die streng genommen eine Garnele ist, aber solide, informativ und anregend ausfallen, bleibt das Haus bei der Betrachtung der Ortsgeschichte auf halber Strecke stehen.

Offenbar war der Drang, sich als eine Art Marketingeinrichtung für den heimischen Tourismus zu positionieren, doch stärker, als der, eine gewisse Eigensinnigkeit zu pflegen. Und das ist, wie so oft, daran zu spüren, das vornehmlich Heikles und Unangenehmes ausgespart bleibt: Wenig erfährt der Besucher hier über die Sozialgeschichte oder gar die politischen Umbrüche des Ortes, der sich über die Jahrhunderte immer mehr von einem Fischerflecken hin zu dem heute so bekannten Urlaubsort verwandelte. Besonders eklatant zeigt sich das auch in Büsum bei der Betrachtung der NS-Zeit - und das, obwohl sie sich hier geradezu aufdrängt.

Denn der Ort legte schon früh Wert darauf, ein rein "Deutsches Bad" zu sein, und wie in ganz Dithmarschen konnten sich seinerzeit die Nationalsozialisten von Anfang an der Unterstützung durch weite Teile der Bewohnerschaft sicher sein. So wurde im März 1933 der konservative Büsumer Bürgermeister gewaltsam durch SA- und SS-Männer vertrieben. Rasch erwählte die NS-Organisation Kraft durch Freude Büsum zu einem ihrer Stützpunkte und schon bald überstieg die Zahl der KdF-Urlauber die der normalen Kurgäste und machte den Ort reichsweit noch bekannter.

Umso weniger Interesse zeigten die Büsumer dann nach 1945 an einer Aufarbeitung dieser Geschichte: Bis Mitte der 60er-Jahre war eine wichtige Straße nach dem NS-Kulturpolitiker Adolf Bartels benannt, konnten Lehrer am örtlichen Nordsee Gymnasium den Holocaust leugnen - es bedurfte großen Drucks von Seiten der Kieler Landesregierung, mit beidem aufzuräumen.

Apropos 60er Jahre: Zwar ist im Museum als Ankerpunkt ein typisches Pensionszimmer aus jener Zeit nachgebaut, doch die Tür dazu ist seltsamerweise verschlossen. Der Blick ins Innere ist den Besuchern nur durch kleine Fenster möglich: Es zeigt sich ein ordentlich bezogenes, schmales Bett, ein Röhrenradio der Marke Nizza, eine Stehlampe.

Dabei beginnen jetzt die eigentlichen Fragen: Wie war das eigentlich, als die ersten Städter mit ihrem wachsenden Erholungshunger auf die Büsumer trafen? Wie hat sich vor Ort der Wandel vollzogen von der, nun, asketischen Nachkriegsgesellschaft hin zur offenen Freizeitgesellschaft? Und wie kamen etwa die ersten Langhaarigen an, die ersten Deutschtürken oder die ersten in wilder Ehe Lebenden, als sie in der Pension Seemöwe um Bett und Frühstück baten? Und was hat es überhaupt für Auswirkungen auf die Dynamik eines Städtchens von nicht einmal 5.000 Einwohnern, wenn es Jahr um Jahr von - mittlerweile - rund 150.000 Urlaubsgästen besucht und auch wieder verlassen wird?

All diese Fragen werden nicht oder nur kaum aufgegriffen; die Chance, sich ein wenig kulturgeschichtlich gepolt dem Nordseetourismus anzunähern: Sie wird in Büsum vertan. Ach, wäre doch die gleiche Sorgfalt, die das Museum am Meer für die Krabbe, ihren Lebenswandel wie ihre Verarbeitung aufwendet, auch den hier lebenden Menschen und ihren Gästen zu Teil geworden.

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