DEFTIGE MUSIKALISCHE KOST UNTER HIRSCHGEWEIHEN, FUNNY EIDGENÖSSISCHE FEMINISTS MIT HANG ZUM ABSURDEN, EXTREMMETALLER IM HINKEGANG UND TOTE AM SONNTAGABEND
: Von Fachbetrieben des Rock, die vergessen, den Roll mitzuliefern

VON THOMAS MAUCH

Das Vorspiel: Am Donnerstag bei den Diminished Men in der Jägerklause, dieser Berliner Bergbauernstube. Hübsch sind hier die Geweihe in der Hinterzimmerbühne arrangiert, in der man so Heilige wie Lemmy von Motörhead verehrt. Also eher Rock und deftig. Im Fernseher am Tresen laufen die Kicks der Europa League an dem Abend, mit abgedrehten Ton. Ein paar versprengte Gäste widmen sich der Bühne und damit dem Trio aus Seattle, das sich mit tiefergelegten Gitarren und streng instrumental in einen Doom-Country-&-Western-Surf hineinarbeitet, mit dem man genauso gut durch das Monument Valley kommt wie durch verlotterte Industrieanlagen. Eine beeindruckende Angelegenheit. Wahrscheinlich schon das Doom-Country-&-Western-Surf-Konzert der Saison.

Das Thank-Goddess-it’s-Friday-Programm dann im Festsaal Kreuzberg, mit Les Reines Prochaines. Funny feminists aus der Schweiz, seit 1987 unterwegs. Zwischendurch war auch mal die Videokünstlerin Pipilotti Rist dabei. Am Merchandisestand sind Strickwaren zu haben. Pussy-Riot-Mützen zum Solipreis von 50 Euro.

Muss man wohl als Musiktheater bezeichnen, was die nächstfolgenden Königinnen auf der Bühne inszenieren mit komischen Ausdruckstänzchen, von albern bis absurdistisch und auch ins Brechtische wechselnd mit Chansons, die manchmal wiederum ins Unheimelige drängen. Hingebungsvoll werden Träume besungen, doch mal Metzgerin sein zu wollen und sich daran zu freuen, wie das Hackebeil durch Fleisch und Knochen kracht. Gern singen Les Reines Prochaines über Themen, bei denen Männer nicht wirklich mitreden können. Menstruieren zum Beispiel. Der Saal ist bestens gefüllt, die Stimmung freundlich. Fast nur Frauen. Vereinzelt mal ein Mann. Es wird viel und einverständlich gelacht.

Nächster Abend, dasselbe Passepartout mit dem Festsaal. Ein paar Frauen, Männer bei weitem in der Überzahl. Viele tragen Stammeszeichen, Leiberl mit den Namen der Grölband ihres Vertrauens drauf. Auf dem Merchandisetisch liegt heute ein Berg Nachschub mit den T-Shirts von den auftretenden Lock Up, die Verbindungen zu Bands wie Napalm Death und Dimmu Borgir haben – echten Fachbetrieben im Bereich des Extrem-Metal. Womit Lock Up selbst so ein Fachbetrieb sind für einen Rock, dem der ganze Roll mit dem Swing herausgeprügelt wird im steten Hochgeschwindigkeitsspiel. So schnell, dass alles nur noch dröhnt und nichts wirklich mehr in Bewegung kommt. Der Sänger – der, der die Aufgabe des Grölens übernommen hat – kommt gern im hingebückten Hinkegang nach vorn an die Bühne. Wie die Protagonisten in den Filmen, in denen man die Urmenschen sieht bei ihrer Suche nach dem aufrechten Gang.

Nach jedem Stück ein kurzer Jubel im Publikum. Fast hört er sich an wie ein Aufschrei der Erlösung, nicht mehr auf das Rad des Lärms gespannt zu sein, auf das man aber doch gespannt sein will. Gleich wieder. Die Gier nach der Energie des Lärms.

Gestorben aber wird immer am Schluss. Am Sonntag beim etwas mühselig verschwörungstheoretischen „Tatort“ aus Österreich war doch zu sehen, dass Adele Neuhauser als mitermittelnde Bibi den Chefinspektor Eisner (Harald Krassnitzer) mittlerweile ganz schön zur Seite spielt. Tut dem „Tatort“ gut.