EVENT: „Ein Fest lebt vom Wir“

Die Feste feiern, wie sie fallen, und der Reiseautor und Volkskundler Günter Schenk berichtet darüber.

Fest Beigaben Luftballons Bild: misterQM/photocase

taz: Herr Schenk, Sie schreiben fast nur über Feste. Gratuliere, ein toller Job!

Günter Schenk: Ja, aber feiern ist nicht! Als Journalist muss man viel beobachten und hinter die Kulissen gucken.

Wie sind Sie Fest-Schreiber geworden?

Ich bin studierter Volkskundler. Zunächst habe ich Bücher über die Mainzer Fassnacht geschrieben, dann als Reisejournalist Städte und Regionen über ihre Feste porträtiert.

Sollen die Feste vor allem den Tourismus ankurbeln?

Die Städte wollen mit den Geschichtsfesten, oft unter dem Deckmantel eines mittelalterlichen Marktes, den Sommer beleben. Aber hinter der szenischen Nachstellung eines geschichtlichen Ereignisses steckt auch ein Stück Identität, die Suche der Bevölkerung nach ihren Wurzeln. Dazu kommt der Hang zum Rollenspiel. Man verkleidet sich gern und schlüpft in andere, geschichtliche Rollen.

Haben viele Feste aber nicht religiöse Wurzeln?

Die alten Feste haben ausnahmslos religiöse Wurzeln, erst im 19. Jahrhundert kamen große bürgerliche Feste hinzu wie der Karneval oder die Turnfeste der aufkommenden Turnbewegung. Christliche Feste wie Fronleichnam und Christi Himmelfahrt werden in ganz Europa, von Zypern bis Norwegen, gefeiert. Die schönste und überbordendste Festkultur findet man in Südeuropa, in Spanien und Portugal, in Malta, auch in Griechenland.

Können Nordländer keine Feste feiern?

Das Süd-Nord-Gefälle nimmt ab, in Skandinavien etwa beobachte ich eine Zunahme der Festkultur, zum Beispiel durch den Sommerkarneval. Auch die alten Unterschiede zwischen katholischen und protestantischen Festlandschaften verschwinden. Früher waren Feste in katholischen Regionen viel formenreicher, denn wegen der Tradition und Glaubensauffassung trauten sich protestantische Regionen nicht, große Feste zu feiern, in der Folge von Luther wurden viele Feste sogar verboten. Heute dagegen gibt es zum Beispiel in Köln einen protestantischen Karnevalsverein!

Günter Schenk, 62, ist Publizist und lebt in Mainz. Er hat mehrere Bücher zu Festen veröffentlicht, u. a. Christliche Volksfeste in Europa. Prozessionen, Rituale, Volksschauspiele, Tyrolia Verlag, Innsbruck 2006, 272 S. 9,95 Euro; Europas schönste Fester erleben, Reise Know-How Verlag, Bielefeld 2005, 160 S., 8,90 Euro.

Es gibt alle möglichen Feste. Wallfahrten und Trachtentreffen, Historienschlachten und Hengstparaden, Maskenumzüge und Blumenkorsi. Was sind die Kriterien Ihrer Fest-Auswahl? Sie können ja nicht jedes Schützenfest im Sauerland oder jeden Karneval von Dünkirchen bis Rijeka besuchen.

Erstes Kriterium ist die Tradition, 500, 600 Jahre alte Feste haben für mich Vorrang. Zweites Kriterium ist die optische Ausformung. Ich bin auch Fotograf und deshalb auf optisch wirkungsvolle Feste wie zum Beispiel Blütenparaden angewiesen.

Überlagert die Festpraxis von Suff und Party, Spektakel und Kommerz nicht zunehmend den ursprünglichen Anlass vieler Feste?

Ja, die großen, auf Massenwirkung angelegten Feste werden immer kommerzieller. Veranstalter, die Feste ausschließlich über Eintrittsgelder finanzieren, müssen viel Geld für Werbung, Security und Organisation investieren, um einen Eventcharakter herzustellen, damit die Leute überhaupt hingehen. Aber daneben gibt es immer mehr Feste, die in der Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen werden.

Welche zum Beispiel?

Die vielen kleinen Straßen- und Stadtteilfeste, wo die Leute Tische und Stühle rausstellen und feiern. Der eine bringt einen Kuchen mit, der andere sorgt für die Getränke, der dritte spielt Gitarre. Wie die Hockete in Baden-Württemberg. Im Rheingau stellen Winzer Stühle und Tische in die Weinberge. Und bei der Fastnacht werden wir eine Renaissance erleben von Hausbällen und kleinen Veranstaltungen in Kneipen. Diese kleinen Feste zum Nulltarif – die demokratischste Form des Festes – werden in den nächsten Jahren stark zunehmen.

Woran liegt das?

Die kleinen Feste werden künftig mehr von der Improvisation leben und weniger von jahrzehntelang überlieferten Ritualen. Junge Menschen haben wenig Verständnis für geschichtsüberlastete traditionelle Feste. Außerdem wollen die Leute heute ein Fest mehr vom Bauch her erleben als über den Verstand. Im 19. Jahrhundert wurden Feste im Kopf ersonnen. Den rheinischen Karneval beispielsweise haben Bürger – Wirte, Intellektuelle und Kaufleute – am Schreibtisch erdacht und umgesetzt. Der Spagat zwischen Brauch und Party hat lange Zeit ganz gut funktioniert. Heute aber wird die Party viel größer geschrieben als der Brauch.

Sie sind ein Mainzer Bub und haben sich auch publizistisch intensiv dem Karneval gewidmet. Ist die Fastnacht von heute nur noch eine Mega-Show mit viel Humba Tätärä, aber ohne Wurzeln und Werte?

Ursprünglich war Karneval ja ein Fest, bei dem man aus der Rolle fallen und die Welt für drei Tage auf den Kopf stellen sollte. Heute fällt die Welt selbst aus der Rolle und steht Kopf. Der Karneval ist in einer Krise, weil er zu wenig auf die Bedürfnisse der jungen Menschen eingeht. Die jungen Leute haben nichts mehr übrig für Karnevalssitzungen, sie wollen kein sechs Stunden-Programm über sich ergehen lassen, sie schunkeln auch nicht mehr, sondern gehen zum Pogo-Tanzen. Sie feiern Karneval nur noch über die Partyschiene.

Gibt es Neugründungen von Festen, die einen Platz im seriösen Festkalender beanspruchen können?

Zum Beispiel an Pfingsten der Karneval der Kulturen in Berlin. Eine große Innovation. Wenn man heute ein neues Fest erfolgreich in einer Großstadt etablieren will, muss man es über die Kulturgrenzen hinweg anlegen, das Fest muss multikulturell und für alle offen sein. Die Tomatina (Tomatenschlacht) im spanischen Städtchen Buñol ist eines der größten Festerfolge überhaupt mit inzwischen über 40.000 Teilnehmern, die kurz behost oder gar nicht bekleidet in der Tomatenmatsche stehen. Oder die „World Bog Snorkelling Championship“ (Schlammschnorcheln) im walisischen Llanwrytd Wells.

Sind das überhaupt noch Feste oder reine Events für Touristen?

Das hat mit Festkultur eigentlich nichts mehr zu tun, weil es dabei nur noch um das Ich geht. Das sind reine Events. Dagegen lebt ein Fest vom Wir, vom Austausch und der Kommunikation, davon, dass sich die Seelen berühren.

Geben Sie einen Geheimtipp für ein besonders tolles Fest preis?

Das werde ich einen Teufel tun!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.