Bildungsreform auf der Kippe: Das verflixte fünfte Grundschuljahr
Das wichtigste Projekt der Jamaika-Koalition im Saarland wackelt. Die SPD, aber auch Eltern und Lehrer sperren sich gegen eine längere Grundschulzeit.
SAARBRÜCKEN taz | Das "Herzstück" der von der Jamaika-Koalition im Saarland angestrebten Bildungsreform steht auf der Kippe. Die SPD Saar hat sich am Donnerstag gegen das fünfte Grundschuljahr ausgesprochen.
Die Stimmen der sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten aber werden von CDU, FDP und Grünen gebraucht, wenn die Koalition ihre neue Schulpolitik mit der Philosophie vom längeren gemeinsamen Lernen auch tatsächlich umsetzen will. Für eine Schulreform müsste die Landesverfassung mit Zweidrittelmehrheit geändert werden.
Sollte die Reform scheitern, würde innerhalb eines Jahres die zweite Landesregierung mit ihrer Schulreform baden gehen. In Hamburg musste die schwarz-grüne Regierung die auf sechs Jahre verlängerte Grundschulzeit im Juli nach einem Volksentscheid zurückziehen.
Im Saarland kündigten die Koalitionäre am Donnerstagabend an, ihre bildungspolitischen Ziele notfalls auch ohne Verfassungsänderung "anzustreben". Wie, das wussten die Fraktionsvorsitzenden von CDU, FDP und Grünen allerdings nicht zu sagen. Tatsächlich ist inzwischen nur noch von der "Garantie der Wahlfreiheit der Eltern" und der "Verbesserung der Qualität der Schulen" die Rede.
Die SPD jedenfalls ist zu dem Schluss gekommen, "dass bei der Einführung eines fünften Grundschuljahres mehr Schaden angerichtet als Nutzen erzielt würde", so ihr Landespartei- und Fraktionschef Heiko Maas. Nach der "vermurksten" Einführung des Schnellabiturs nach Klasse 12 und der "sinnlosen Schließung" von mehr als 100 Grundschulen schlage die Einführung eines fünften Grundschuljahres nur "neue tiefe Wunden".
Auch Unternehmer- und Schülerverbände sind dagegen, selbst die Lehrergewerkschaft GEW, deren Vorsitzender der grüne Bildungsminister Klaus Kessler einmal war. Eine Initiative von Eltern sammelt seit Schulbeginn Unterschriften gegen die Reform. "Wir sind keine Elite, die den Angriff auf die Gymnasien befürchtet", sagt deren Sprecher Bernhard Strube mit Blick auf Hamburg. "Aber es gibt die breite Meinung in der Gesellschaft, dass eine fünfte Klasse nicht die notorische Bildungsungerechtigkeit mildert." Man wolle die Unterschriftenaktion ungeachtet des Schwenks der SPD fortsetzen: als Appell, stattdessen die Unterrichtsqualität zu verbessern.
Auch Landtagsabgeordnete und Kommunalpolitiker von CDU und FDP liegen mit ihrer Haltung zum fünften Grundschuljahr plötzlich quer zu ihrer Regierung. Selbst Grünen-Chef Hubert Ulrich spielt die Bedeutung der Reform jetzt herunter. Das fünften Grundschuljahr sei kein wesentlicher Bestandteil der Bildungsreform, sagte er im Saarländischen Rundfunk.
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