Streiks gegen die Angst vor dem Aus

In Frankreich stehen Busse und Eisenbahnen großenteils still, auch die LehrerInnen streiken – genau wie die Belegschaft der Zeitung „Libération“. Überall gehen die Beschäftigten gegen Kürzungen, Streichungen und Entlassungen in den Ausstand

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Wenn Angela Merkel heute ihren Antrittsbesuch als Bundeskanzlerin in Paris macht, kann sie sich vor Ort anschauen, wie eine rechte Regierung auf die soziale Basis wirken kann. Wegen des heutigen Streiks in Métro und Bussen sowie dem bereits gestern begonnenen landesweiten unbefristeten Streik bei der Eisenbahn SNCF dürfte die ohnehin vom Autoverkehr verstopfte französische Hauptstadt weitgehend stillstehen.

Die Bahnstreiks richten sich gegen die „schleichende Privatisierung“. Für morgen ruft zusätzlich die größte LehrerInnengewerkschaft Snes-FSU zu Arbeitsniederlegungen auf. Den LehrerInnen fällt es schwer, das Versprechen des Erziehungsministers zu glauben. Als Antwort auf die Jugendunruhen in den Vorstädten hatte Gilles de Robien in der vorigen Woche 5.000 zusätzliche „pädagogische Posten“ zugesagt. Doch dafür sind exakt null zusätzliche Euro im Budget vorgesehen. An seinen alten Plänen, 2006 insgesamt 4.500 Posten an Frankreichs Schulen zu streichen, hält der Minister fest.

Trotz massiver Einschüchterungsversuche durch die SNCF-Direktion und trotz eines Briefes des Verkehrsministers an die Gewerkschaften, in dem Dominique Perben versichert, dass es „keine Privatisierungen“ geben werde, wurde der Streikaufruf von vier Gewerkschaften bei der SNCF gestern massiv befolgt. Auf den Schienenstrecken Frankreichs waren gestern nur einer von drei, stellenweise noch weniger Züge unterwegs. Die EisenbahnerInnen wissen, dass die politische Stimmung in Frankreich gegenwärtig keine Privatisierung des Unternehmens insgesamt zulässt. Dennoch misstrauen sie ihrem zuständigen Minister. Denn sie erleben, wie die SNCF unternehmerisch in vier getrennte Bereiche zerlegt wird: Passagiertransport, Hauptstadtverkehr, Gütertransport, Regionalverkehr. Diese Zerlegung betrachten sie als Vorstufe zur Privatisierung, die im Gütertransport bereits eingesetzt hat. Im Juni fuhr bereits der erste private Schienen-Gütertransport der Firma Connex durch Lothringen. Die Belegschaft beunruhigt auch, dass ein Unternehmens-Audit der SNCF die Stilllegung von insgesamt 11.000 Schienenkilometern vorgeschlagen hat. Aus Rentabilitätsgründen.

Der Eisenbahnstreik ist der fünfte im laufenden Jahr. Dennoch zeigt eine Mehrheit der FranzösInnen Verständnis für den Streik. Im Hochsommer wurde bekannt, dass die SNCF eine Reihe von transregionalen Zügen streichen will. SNCF-Chef Louis Gallois kündigte unter anderem die Streichung der Direktverbindungen von Lyon nach Nantes, von Bordeaux nach Quimper und von Caen nach Tours an. Begründung: Die Strecken seien „nicht rentabel“. Als Alternative bietet Gallois an, die Interregionalzüge aus den Kassen der Regionen zu finanzieren. Das fürchten insbesondere arme Regionen, wo schon nach den bisherigen Regionalisierungen der SNCF das Personal und das Material knapp geworden sind und immer mehr Züge gestrichen werden.

Im Windschatten des großen Eisenbahnstreiks begann gestern ein – ebenfalls unbefristeter – kleiner im Medienbereich. Die Belegschaft der linksliberalen Zeitung Libération, die einst bei der taz-Gründung Pate stand, ist geschlossen in den Streik getreten. Nachdem die Mehrheit der Beschäftigten Anfang des Jahres dem Kapitaleinstieg von Rothschild mit 20 Millionen Euro zugestimmt haben, sollen jetzt 52 von ihnen – 15 Prozent der Belegschaft – entlassen werden. Der neue Hauptaktionär begründet diese ersten Entlassungen in der Geschichte des Blattes mit dessen hoher Schuldenlast. Um die Zeitung aus der Krise zu holen, haben die Kapitalgeber nur drei Ideen: Entlassungen, mehr Internet und eine verbesserte Wochenendausgabe.