die wahrheit: Neues aus Neuseeland
Zweimal Beben und am Leben
Um halb fünf wurde ich am Samstag von einem Erdbeben aus den Federn katapultiert, gegen das sich schwerste Turbulenzen im Flugzeug wie ein Nickerchen in der Hollywoodschaukel anfühlen. Ich will hier wirklich nicht angeben. Zum einen, weil ich auf diesen Rekord trotz meines Nachnamens keinen Einfluss habe. Zum anderen, weil Angeben sich in Aotearoa ganz und gar nicht gehört und es in diesen Tagen Wirgefühl zu beweisen gilt. Aber: Das war schon das zweite Mal in meinem nicht mehr ganz jungen Leben, dass ich so brutal aus dem Schlaf gewackelt wurde. Wer hat mehr?
Beim ersten Beben, vor 24 Jahren im schönen Los Angeles, glaubte ich, eine Kolonne von Lastern krache ins Haus. Der Fernseher auf dem Metallarm donnerte gegen die Wand. Draußen schaukelten Swimmingpools auf und ab. Eine Szene für David Hockney. Ich fühlte mich wie eine Ameise, die jederzeit vom Erdboden weggeschnippt werden kann. Ohnmächtig gegenüber der Natur und dem Kontrollverlust. Auch Freud hätte was draus machen können.
Diesmal, im noch schöneren Christchurch, war es stockdunkel, es gab keinen Strom mehr, keine Taschenlampe ließ sich in dem Chaos finden, und der Boden, der Sekunden zuvor noch gerumpelt hatte wie ein gigantischer Zementmischer, knirschte vom Glas. Keine Zeit für Freud oder Hockney, nur der schnelle Griff nach allem, was lebt. Als Eltern samt Kinderschar barfuß vor die Tür des tapfer standhaften Holzhauses flüchteten, war der Himmel sternenklar und die Erde so still wie nie - kein Laut, keine Schreie, keine Sirenen. Wir setzten uns, eingehüllt in Bettdecken, ins Auto und fanden einen Sender. Damit war eigentlich das Schlimmste vorbei. Es wurde ein strahlender Frühlingstag mit Adrenalin statt Kaffee zum Frühstück. Und die Autobatterie war leer. Vom Radiohören.
Doch das Drama begann erst. Keine Toten, aber die Innenstadt halb zerstört. Das Leben steht seitdem still. Schulen und Büros geschlossen - Ausnahmezustand - Wasser abkochen. Es gibt Schlimmeres, Haiti zum Beispiel. Muss ich mich schuldig fühlen, wenn ich die Tage zwischen Strand und Skipiste verbringe, während andere Mauerreste wegschaufeln? Kolumnist Joe Bennett, der drei Straßen weiter wohnt, hat die gleichen Gewissenskonflikte. Bis auf die fiesen Nachbeben und den Schlafmangel seit Tagen ist alles halb so wild, denken wir, aber darf man das sagen? Oder gar fröhlich Kaffee trinken gehen? "Erst mal unter den Trümmern hervorkriechen, dem Hund das Bein mit der Handsäge amputieren und die Plünderer erschießen", schreibt mir Joe.
Im Café kursieren Theorien, wo man sich wie am besten schützt. Unterm Tisch angeblich. Oder daneben. Auch der Türrahmen gilt als sicher, aber dort schlug einem Baby prompt die Tür an den Kopf, als der Vater das Kind endlich aus seinem Bett gerettet hatte. Also nur Türrahmen von Schiebetüren? Wir sind jetzt alle Survival-Experten. Die Kaffeetasse vibriert auf dem Unterteller. Da war wieder eins. Mindestens Stärke fünf. Sofort unter den Tisch? Die Tischplatte sieht doch nicht so stabil aus...
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Leser*innenkommentare
Birgit Scheidegger
Gast
Der Text hat es auf den Punkt gebracht. Ich wohne in der Schweiz, meine Tochter in Neuseeland. Während des Erdbebens in Christchurch war ich zu Besuch bei ihr. Verarbeitet habe ich den Schock noch nicht, im Kopf bebt es immer noch. Wir sind an dem Samstag brutal aus dem Schlaf im Zimmer im 1. Stockwerk gerissen worden. Mein erste Gedanke war eine Explosion, mein zweiter, das Haus stürzt über uns ein. Trotzdem werde ich in 3 Monaten wieder zu meiner Tochter reisen. Ob ich allerdings dort jemals wieder gut schlafen kann, bleibt dahingestellt.