"Die Blechtrommel" auf der Bühne: Im Ekel am besten
Armin Petras und Jan Bosse haben den berühmtesten Roman von Günter Grass, "Die Blechtrommel", bei der Ruhrtriennale in Bochum auf die Bühne gebracht – zum ersten Mal überhaupt.
Über die "Blechtrommel" konnte man reden. Dieser Roman, 1959 geschrieben, machte Günter Grass berühmt. Auch dort, wo sonst Schweigen herrschte zwischen Kindern und Eltern über die Zeit des Nationalsozialismus, brachen, von Oskar Matzeraths Trommelschlägen angetrieben, Erinnerungen hervor.
Das war nicht unbedingt ein Diskurs über Schuld, Mitläufertum und Politik, die man durchaus an dem Roman hätte festmachen können, sondern eher über Zerstörungslust, das Groteske des Krieges und des Todes und über Ekel. Im Ekel ist die Sprache von Günter Grass besonders groß. Und wenn man darüber sprach, wie Oskars Mutter Agnes sich zu Tode kotzte, angewidert von aasfressenden Aalen und erdrückt von der Schuld ihrer Untreue, dann war nie ganz sicher, ob dieser Ekel nicht sehr viel mehr umfassen und eine andere Schuld meinen konnte als jahrelange Seitensprünge.
Die Szene mit den Aalen
Auf den Ekel legt auch die Bühnenfassung, die jetzt, ein halbes Jahrhundert später, von Armin Petras (Text) und Jan Bosse (Inszenierung) herausgebracht wurde, großen Wert. Zum Beispiel die Szene mit den Aalen, die im Roman mit einem Pferdekopf geködert werden: Das sieht auf der Bühne anfangs mehr nach Kindergeburtstag aus und beharrt, ganz im Sinne von Oskar Matzerath, auf infantilem Eigensinn.
Die Schauspieler, die sich im Erzählen abwechseln und dabei ganz nah dranbleiben am Rhythmus der mäandernden Sätze von Grass, sitzen nebeneinander an der Rampe. Sie lutschen bunte Gummischnüre, grün und rosa schillernd. Sie kauen drauf herum, spucken sie aus und bewerfen sich damit, während ihre Worte flink wie die Fische durch den Schädel des toten Pferdes flitzen, Agnes in den Bauch und an die Gurgel springen.
Der spuckfeuchte Süßkram landet unter einer Digitalkamera, die sein Bild groß auf eine Leinwand hinter den Schauspieler projiziert: wimmelnd und bäh. Gerüche, Geschmack, Sinneseindrücke und körperliche Erfahrungen sind äußerst präsent in der Sprache von Günter Grass, die damit für die Körper auf der Bühne eine große Konkurrenz darstellt. Und tatsächlich scheint es in der gut dreistündigen Produktion fast über eine Stunde so, als hätten der Regisseur und die vier Frauen und drei Männer, die Oskars Erzählfaden gemeinsam fortspinnen, Angst vor dieser Konkurrenz der mächtigen Sprachbilder. Denn sie fügen ihnen nur wenig hinzu.
Es dauert lange, bis die Erzähler zueinander ein Verhältnis gefunden haben, das die Verhältnisse unter den erzählten Figuren kommentiert, unterstützt oder anzweifelt. Erst dann aber wird die Sache auch spannend, wenn zur Perspektive des Romans andere hinzukommen. Das aber geschieht zu selten in der Uraufführung in der Jahrhunderthalle Bochum, die Teil der Ruhrtriennale ist; ab Ende September läuft das Stück dann im Maxim Gorki Theater in Berlin.
Zu schüchtern
Solche Koproduktionen mit einem Festival gelten für ein Stadttheater oft als Visitenkarte seiner besonderen Stärke. Und tatsächlich hat sich der für die Stückfassung verantwortliche Armin Petras sowohl mit eigenen Stücken als auch mit Dramatisierungen nach Romanen der DDR-Literatur einen Namen als Erzähler der zweigeteilten deutschen Geschichte gemacht. Und so dachte man sich den Stoff der "Blechtrommel" samt seiner Karriere im Nachkriegsdeutschland bei Petras und seinem Kollegen Jan Bosse eigentlich gut aufgehoben. Doch etwas hat ihre Annäherung zu schüchtern gemacht, sei es der Respekt vor dem Roman oder die Kapitulation vor der Fülle all dessen, was hier erzählt werden will.
Erzählen bis zur Erschöpfung, erzählen bis zum Umfallen: Die englische Performance-Gruppe Forced Entertainment, die auch oft in Deutschland tourt, hat daraus eine eigene Form gemacht, ein grandioses postdramatisches Theater, mit Texten, die genau dafür entstanden sind, eine schiere Unendlichkeit des Stoffes in minimalistische Formen zu packen. Die Inszenierung der "Blechtrommel" sieht lange so aus, als habe sie sich daran ein Vorbild genommen, und hat dabei übersehen, dass ein Roman aber von Anfang an ganz andere Setzungen macht.
Ein gieriges Auge
Das Ergebnis ist, dass man mehr eine Fleißarbeit denn eine Transformation des Erzählens vor sich sieht. Ein großer Teil der Faszination, die von Oskar Matzerath ausgeht, beruht auf der "Unter dem Tisch und unter den Röcken"-Perspektive des kleinen Mannes, der mit drei Jahren beschloss, nicht mehr zu wachsen: Ein waches, geradezu gieriges Auge wirft er auf alle Heimlichkeiten der Erwachsenen.
Was für die Inszenierung bedeutet, dass nach den Kinderklamotten und dem recht eindrücklichen Gedrängel zu fünft in einer Naziuniform Nachthemden und Unterwäsche als Kostüme dran sind. Alles, was noch unter der Wäsche liegt, malt eine Hand mit Filzstift in einer Projektion auf die Körper; und wie die Hand wütend herumzufuhrwerken beginnt, das ist ein viel besseres Bild von uneingelöstem sexuellem Begehren als die anschließende Szene, in der das ganze Ensemble Hilfestellung bei einem Beischlaf leistet.
Klar machten, gerade in den fünfziger und sechziger Jahren, auch diese grotesken Schlüsselloch-Einstellungen den Roman groß. Für das Theater aber wirkt das mehr wie eine Routineübung, mit der man sich aus der Distanz der Prosa näher an die Figuren heranbeamen will. Wer nach der Geschichte aber mit so großen Löffeln greift wie Bosse und Petras hier, sollte doch etwas mehr als netten Bühnensex auf dem Kasten haben.
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