Kommentar Jugend-Studie: Generation privates Glück
Nach einer gesellschaftlichen Utopie, einem verbindenden Projekt sucht man bei den pragmatischen Jugendlichen von heute meist vergeblich. Stattdessen dominiert der Rückzug ins Private.
D as ist doch mal eine richtig gute Nachricht: Die Jugendlichen in Deutschland blicken wieder optimistischer in ihre Zukunft - so lautet jedenfalls das Fazit der neuen, 16. Shell-Jugendstudie. Also ist jetzt alles wieder gut? Hat die "Generation Angst", von der die Sozialforscher noch vor vier Jahren sprachen, abgedankt zugunsten einer coolen Meute, die bereit ist, alles zu geben für ein Land, das ihnen jede Menge Tipptopp-Perspektiven bietet? Leider nein.
Zwar hat sich der Anteil der Optimisten bei den befragten Jugendlichen insgesamt deutlich erhöht, von 50 auf 59 Prozent. Doch zeigen sich dabei deutliche Unterschiede, denn jedes dritte Kind aus sozial schwachen Haushalten sieht schwarz für seine Zukunft.
Nach wie vor gilt: Gute Bildung und ein vorzeigbarer Schulabschluss sind der Schlüssel zum Erfolg. Doch der hängt in Deutschland immer noch beschämend eng mit der sozialen Herkunft zusammen. In keinem anderen Land hält eine ungerechte Bildungspolitik benachteiligte Jugendliche so offensichtlich von gesellschaftlicher Teilhabe fern.
ANJA MAIER ist Ressortleiterin der sonntaz.
Die Kluft in dieser Gesellschaft wird immer tiefer, die Ausgrenzung sichtbarer - auch das zeigen die Zahlen der aktuellen Studie. Eine ganze Generation spaltet sich in Abgehängte und ihre gebildeten, erfolgreichen Altersgenossen. Wo bleiben da die Gemeinsamkeiten, auf deren Basis sich künftig ein friedliches Zusammenleben gestalten kann?
Nach einer gesellschaftlichen Utopie, einem verbindenden Projekt sucht man bei den pragmatischen Jugendlichen von heute aber meist vergeblich. Stattdessen dominiert der Rückzug ins Private. Drei Viertel der Befragten wollen mal eine Familie gründen, fast ebenso viele wünschen sich Kinder. Die Kleinfamilie als letzte Utopie? In einer Gesellschaft, die gerade sozial Schwachen wenig Perspektiven zu bieten hat, scheint dieser Fluchtpunkt nahezuliegen.
Gut, dass sich die Jugendlichen ihre Träume nicht nehmen lassen wollen. Aber angesichts konstant hoher Scheidungsraten und fragwürdiger Zukunftsaussichten wirkt es wie pure Unvernunft, alle Hoffnungen auf das rein private Glück zu setzen.
Wäre es nicht viel besser, wenn diese Generation alles haben könnte: Familie, Arbeit und eine Welt, in die sie ihren Nachwuchs bedenkenlos und gerne entlassen kann? Das wäre dann wirklich mal eine gute Nachricht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Nach Ausschluss von der ILGA World
Ein sicherer Raum weniger
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben