Ausländerjagd als Volkssport

In Russland werden ausländische Studenten immer häufiger Opfer von rechtsradikalen Schlägertrupps. Die Ersten denken an Abreise, die Behörden verharmlosen die Vorfälle

MOSKAU taz ■ Für Urtado Enrique Angeles kam jede Hilfe zu spät. Der 18-jährige Student aus Peru verblutete am Tatort. Messerstiche hatten eine Arterie getroffen. Am Abend des 9. Oktober fielen jugendliche Gewalttäter über den Medizinstudenten und drei seiner Freunde im zentralrussischen Woronesch her. Ein Gaststudent kam mit einem blauen Auge davon, die beiden anderen liegen schwer verletzt im Krankenhaus. Sie stammen aus Südamerika und Spanien.

Überfälle auf Ausländer sind in Russland an der Tagesordnung. In Woronesch, einer Stadt mit 800.000 Einwohnern in der Schwarzerderegion, ist die Jagd auf Ausländer zum Volkssport geworden. 2004 wurde ein Student aus Guinea-Bissau ermordet, dieses Jahr war Angeles’ Tod der traurige Höhepunkt. Bis dahin verübten Skinheads acht Gewalttaten an Studenten aus Afrika, China, Albanien und Frankreich, die bei der Miliz auch Anzeige erstatteten. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Nicht alle Betroffenen wenden sich an die Polizei, weil sie entweder keine Hilfe erwarten oder der Sprache nicht mächtig sind.

Sankt Petersburg und Woronesch stehen in dem traurigen Ruf, die Metropolen des Fremdenhasses zu sein, gefolgt von Moskau und Rostow am Don. Im September erlag der Kongolese Rolan Epassak in Petersburg den Folgen eines Schädeltraumas, nachdem Jugendliche ihn zusammengeschlagen hatten.

Der Mord wäre als alltägliches Gewaltverbrechen in der Statistik verschwunden, hätte die Gemeinde afrikanischer Studenten nicht protestiert und Politikern an der Newa mit Massendemonstrationen gedroht. „Wir fühlen uns weder frei, noch können wir einfach in die Stadt gehen“, klagen Studenten, die den Rektor des Instituts für Holzverarbeitung aufforderten, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.

Bislang ohne Ergebnis. Letzte Woche wurde Timur Katscharawa niedergestochen. Der Philosophiestudent mit georgischem Nachnamen war gebürtiger Petersburger und hatte sich öffentlich gegen Ausländerfeindlichkeit engagiert.

Auch Tafesse Kinfu, Vorsitzender der „Afrikanischen Gesellschaft“ in Russland, malt ein düsteres Bild. Der Äthiopier lebt seit 16 Jahren in Moskau, ist russischer Staatsbürger und arbeitet als Assistenzprofessor an der Lumumba-Universität, der Hochschule für Völkerfreundschaft. Wie viele farbige Studenten überlegt auch er, das Land zu verlassen, da Intoleranz gegenüber Fremden ein ungekanntes Ausmaß erreicht habe.

Die Behörden bemühen sich, rassistischen Übergriffen den Anstrich eines alltäglichen Hooliganismus zu verleihen. Nur selten wird Anklage wegen Rassismus erhoben. In Woronesch stritt die Verwaltung trotz erdrückender Beweise den ausländerfeindlichen Hintergrund meist erfolgreich ab.

Im Fall Angeles indes ließ sich dies nicht durchhalten. Die Untersuchung förderte noch eine erschreckende Erkenntnis zutage. Bislang verharmlosten die Behörden die Verbrechen mit schwierigen sozialen und familiären Hintergründen. Angeles’ Mörder studiert an Woroneschs Pädagogischer Hochschule.

Dass die Attentäter nicht nur aus sozial schwachen Verhältnissen stammen, bestätigt auch Kinfu. Dreimal wurde der Äthiopier von Rassisten malträtiert. Die Schlägertrupps seien hervorragend organisiert, gut ausgerüstet, würden finanziert und handelten auf Befehl, meint er. Arme könnten sich das teure Outfit nicht erlauben.

Wladimir Lukin, Menschenrechtsbeauftragter des Kreml, glaubt ebenfalls nicht an unglückliche Zufälle. Er hätte den Eindruck, hinter den systematischen Aktionen stünden Geldgeber und Organisatoren, sagte er der Iswestija. Die Überfälle, so Lukin, seien ausländerfeindlich, faschistisch und keineswegs bloßes Rowdytum.

Häufig werden auch Gastarbeiter aus früheren zentralasiatischen Sowjetrepubliken Opfer. Voriges Jahr verübten sieben Jugendliche auf einen Wohncontainer in Moskaus Umland einen Anschlag, bei dem zwei Usbeken verbrannten. Zwei Tätern wurde der Prozess gemacht, die Übrigen landeten dank staatsanwaltschaftlicher Bemühungen im Zeugenstand. Ein „Zeuge“ ist Milizionär, der andere Jurastudent. Zwei bereiten sich auf ein Studium an der Hochschule des Innenministeriums vor.

Moskaus öffentlicher Diskurs wird zunehmend von Kräften aus den Sicherheitsapparaten bestimmt. Sie machten kleinmütigen Patriotismus, Ablehnung alles Fremden salonfähig und schufen eine gewaltfördernde Atmosphäre. Zwei Drittel der Bevölkerung, ermittelte das unabhängige Lewada-Institut, würden Formeln wie „Russland den Russen“ zustimmen. Eine neue Jugendorganisation, die „Junge Garde“, soll in Woronesch nun faschistische Bewegungen bekämpfen. Das beschloss die Kremlpartei „Einiges Russland“.

KLAUS-HELGE DONATH