Einmal Deutscher – immer Deutscher?

Karlsruhe verhandelt über die Frage, ob Eingebürgerte auch den erschummelten deutschen Pass behalten dürfen

KARLSRUHE taz ■ „Die deutsche Staatsbürgerschaft darf nicht entzogen werden“, heißt es ganz eindeutig im Grundgesetz. Aber gilt dies auch für eingebürgerte Ausländer, die sich die deutsche Staatsangehörigkeit trickreich erschlichen haben? Darüber verhandelte gestern das Bundesverfassungsgericht.

Geklagt hatte der gebürtige Nigerianer Benjamin O. Er war Anfang 2000 von der Stadt Pforzheim eingebürgert worden. Zwei Jahre später stellte sich heraus, dass O. die Behörde getäuscht hat. Der Lohnzettel einer Gerüstbaufirma in Hanau, bei der er angeblich den Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdiente, gehörte einem Namensvetter. O. selbst war arbeitslos und sogar in Drogendelikte verwickelt. Prompt nahm die Stadt im Jahr 2002 die Einbürgerung zurück.

Doch der Exnigerianer pochte aufs Grundgesetz. Ihm dürfe die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden, vor allem da er sonst staatenlos werden könnte. Nachdem O. bei Fachgerichten scheiterte, erhob er Verfassungsbeschwerde.

Benjamin O. ist kein Einzelfall. Bei immerhin 84 Personen wurde seit 2002 die Einbürgerung wegen Tricksereien rückgängig gemacht. Tendenz steigend. Meist machten die Antragsteller falsche Angaben über ihre Identität oder über Verwandtschaftsverhältnisse. Andere verschwiegen Strafverfahren oder ihre Aktivitäten bei extremistischen Gruppen wie der islamistischen Vereinigung Milli Görüs.

Die Bundesregierung hielt die Zahl von 84 Entzugsverfahren bei mehr als 400.000 Einbürgerungen seit 2002 für „sehr maßvoll“. Auch einen Verfassungsverstoß konnte Ministerialdirektor Joachim Henkel nicht erkennen: „Die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung hatte man 1949 nicht im Blick.“ Vielmehr habe der Parlamentarische Rat damals auf die willkürliche Ausbürgerung ganzer Bevölkerungsgruppen durch die Nazis und andere Diktaturen reagieren wollen. Der Schutz des Grundgesetzes gelte, so Henkel, nur für die „redlich erworbene Staatsbürgerschaft“. Max Munding, der Vertreter Baden-Württembergs, warnte vor einem Erfolg der Klage: „Dann wären Manipulationen Tür und Tor geöffnet.“

Selbst O.s Anwalt Heinrich Maul räumte ein, der Schutz der neu erworbenen Staatsbürgerschaft müsse Grenzen haben. „Wenn die Einbürgerung mit vorgehaltener Pistole erzwungen wird, kann das natürlich keinen Bestand haben.“

Dennoch stehen die Chancen von Benjamin O. nicht schlecht. Gleich zu Beginn der Verhandlung sagte ihm der Senatsvorsitzende Winfried Hassemer Prozesskostenhilfe zu. Und in der Fragerunde machten die Richter deutlich, dass ihnen im Moment zumindest eine eindeutige gesetzliche Grundlage fehle. „Kann es sein, dass eine Einbürgerung erst nach Jahrzehnten rückgängig gemacht wird, wenn der Schwindel dann erst auffällt?“, wunderte sich Richterin Gertrude Lübbe-Wolff. Zudem sei nirgends geregelt, was nach der Rücknahme einer Einbürgerung mit ebenfalls betroffenen Angehörigen passiere.

Das Urteil wird für Anfang des nächsten Jahres erwartet.

CHRISTIAN RATH