Ehrgeiz: Die Nachwuchs-Boxerin

Sie ist noch nicht 16, macht aber ein Gesicht, als wolle sie alle umhauen: Yasemin Paul vom Hamburger Sportverein BC Hanseat fährt zur Jugend-Europameisterschaft nach Calais.

Fotografiert werden bringt Spaß: Yasemin Paul. Bild: Ulrike Schmidt

Schöner Hinterhof, wie er da so hinter einem Torbogen liegt. Ein Reifen, Kinderfahrräder, auch ein erwachsenes, ein Sandkasten mit einem halb vergrabenen Eimerchen. Irgendwo muss eine Tür sein, durch die man in die Halle kommt. Genau.

Berat, 15, Bujar, 17, und Hardy, 14, bauen den Ring auf. Wo sind die Platten auf dem Hallenboden, unter denen die Löcher für die Pfosten liegen? Da, gut. Dann bringen die Jungs die Pfosten für den Ring und stecken sie in die Halterungen. Dann die Seile. Sind nicht so schöne Seile wie bei Klitschko gegen Briggs im Fernsehen, und auch nur ein dickes auf jeder Seite, das muss reichen. Auch keine Matten auf dem Boden. Steckt aber ein alter Handschuh oben auf den Pfosten, damit sich keiner wehtut. Nicht daran.

"Kommt raus", ruft Trainer Hussein "Hussi" Ismail. In der kleinen Sporthalle in der Seilerstraße auf St. Pauli trainiert Yasemin Paul. Der Deutsche Boxsportverband (BDV) schickt zum ersten Mal Teilnehmerinnen zu einer Europameisterschaft der unter 19- und unter 17-jährigen Mädchen. Nicht, dass früher keine jungen Boxerinnen bereit gewesen wären. Der Verband war es nicht. Auch jetzt ist er es nur bedingt. Die EM ist vom 25. bis 31. Oktober in Calais (Frankreich), aus Hamburg fahren zwei: Yasemin Paul, 46 Kilo leicht vom BC Hanseat, und die ebenfalls 15-jährige Maria Hamel, 49 Kilogramm, Sportschule Agon Hamburg.

Der DBV würde das Mädchenboxen gerne weiterhin ignorieren, aber 2012 wird Frauenboxen olympisch, und dann sollte man vielleicht doch ein paar Boxerinnen nach London schicken können. Außerdem haben Vereine wie der BC Hanseat, der mit Sonja Dürr eine engagierte Chefin und etwa zehn Nachwuchs-Boxerinnen hat, und Landesverbände wie etwa der Hamburger den DBV bezüglich Calais unter Druck gesetzt.

Der DBV hat keinen richtigen Lehrgang geplant für die Mädchen, die nach Calais fahren, aber eine "unmittelbare Wettkampfvorbereitung", wie Ernst Matthiesen, der Vizepräsident des Hamburger Amateurboxverbandes sagt. Die Einladung zur "Wettkampfvorbereitung" kam so kurzfristig, dass es nicht mehr gelang, für Yasemin eine Befreiung vom Schulunterricht zu erreichen. "Sieht im Moment nicht so aus, als ob sie da hinkann", sagt Matthiesen.

Yasemin geht auf die "Kooperative Gesamtschule Benzenbergweg", neunte Klasse. Ihr Ziel: "Realschulabschluss, Fachabi, und dann studieren." Im Moment ist alles schwierig. Schule, sogar das Boxen. Sie hört nicht immer auf das, was Ismail, 49, ihr Trainer, sagt. Sie schaltet zwischen den Trainingseinheiten ab, kann sich nicht gut konzentrieren. Und der Arm tut ihr weh. Da ist ein großes Hämatom am Bizeps, aber beim Arzt war sie nicht.

Prompt bekommt sie beim Sparring mit der 19-jährigen Rechtsauslegerin Nina Jelic, deren Eltern von Kroatien nach Schweden ausgewandert sind und die nun in Hamburg studiert, noch einen Schlag auf die verletzte Stelle. Yasemin Paul ist bald 16 und manchmal macht sie ein Gesicht, als würde sie am liebsten alle umhauen. Matthiesen und Ismail und Nina und sich selbst. Nur die Fotografin nicht, fotografiert werden bringt Spaß.

1.400 Euro will der DBV von allen Teilnehmerinnen, auch von Yasemin, für die EM in Calais. Natürlich hat Yasemin keine 1.400 Euro, 700 zahlt das Sportamt der Stadt Hamburg, den Rest der Hamburger Amateurboxverband. Yasemin hat eine Menge Talent. Vater Alex ist Masseur und war ein ordentlicher Amateurboxer auf Hamburg-Niveau. "Er hat mich zum Boxen mitgenommen und da habe ich es auch angefangen", sagt Yasemin. Da war sie 12. Wenn der Vater boxte, brüllte die Tochter: "Papa, hau ihn um."

Yasemin freut sich auf Calais und ist "ziemlich aufgeregt". Da werden russische, rumänische, bulgarische, schwedische, türkische Mädchen sein. Sie nickt. Sie hat an drei internationalen Turnieren teilgenommen, davon zwei gewonnen, sie ist in Wismar mit zwei Kämpfen Deutsche Meisterin geworden. Im Finale gegen eine aus Oldenburg. "Wie heißt die noch?", fragt sie. In der Klasse bis 48 Kilo. "Ist das Fliegen- oder Papiergewicht?", fragt sie und denkt nach. "Melina Schallenberg", so hieß das Mädchen aus Oldenburg.

Im Moment trainiert sie fünfmal in der Woche. Das ist viel. In der Zeit chatten ihre Freundinnen, bis die Fingerkuppen qualmen. Yasemin hat eine Einheit mit Profi-Weltmeisterin Susi Kentikian trainiert, im Gym des Universum-Boxstalls. Oberschenkel und Schulter. "War gut", sagt Yasemin. "Klar", sagt sie, gibt es das Ziel, Profi zu werden. Der Vater ist von der Idee "begeistert", die Mutter nicht so. In der Schule macht sie keiner an, wegen des Boxens. Wenn sie kommt, stupsen sich die anderen an und sagen: "Eh, da kommt die Boxerin."

Heute trainiert sie nicht mehr. Der Arm. Berat, Bujar und Hardy bauen den Ring ab. Yasemin und die anderen Mädchen sitzen in der Kabine und reden. Wahrscheinlich nicht übers Boxen.

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