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Wissenschaftliches Projekt Wiki-WatchWikipedia von innen

Auch wenn viele Nutzer das Online-Lexikon als etwas Statisches begreifen: Die Wikipedia ist ein lebendiges Gebilde. Das Projekt Wiki-Watch der Universität Viadrina zeigt nun Details.

Das Gesicht der Online-Enzyklopädie: Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales. Bild: dpa

Für die meisten Internet-User ist die Wikipedia eine Art Blackbox. Wer zu einem Thema Fakten braucht, gibt einen Begriff in die Suche des Online-Lexikons ein und liest dann einen Artikel. Das geschieht mittlerweile im Durchschnitt 30 Millionen Mal pro Tag.

An der Zusammenstellung des Wikipedia-Wissens arbeiten nur wenige Menschen mit. Entsprechend begrenzt ist das Wissen darüber, wie die Enzyklopädie im Inneren funktioniert.

Genau dort wollen Wissenschaftler der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder Abhlife schaffen. Sie haben ein neues Projekt gestartet, das detailliertere Einblicke in die Arbeitsabläufe bei der deutschen Version der Wikipedia verspricht: Wiki-Watch, eine Arbeitsstelle im Studien- und Forschungsschwerpunkt Medienrecht.

"Wer eigentlich bestimmt, was wir in Wikipedia nachschlagen können? Wo tobt ein Edit War? Wer sind / was machen die Administratoren? Welche Artikel sind gesperrt? Und wie kann man sein Fachwissen einbringen, ohne von Alteingesessenen weggebissen zu werden?" Zu all diesen Fragen sucht das interdisziplinäre Projekt Antworten, betonen die Wissenschaftler. "Wir wollen dazu beitragen, die faszinierende Wissens-Resource Wikipedia transparenter zu machen."

Besonders interessant dabei ist eine Übersicht, die "Wiki-Watch" einen "exklusiven Einblick" nennt. Sie stellt unter anderem die meistgelesenen Artikel, die am häufigsten editierten Artikel, die stärksten Veränderungen und so genannte Editwars dar - also Beiträge, bei denen sich mehrere Autoren bekriegen. Ebenso sehenswert ist die Liste aktuell gesperrter Stücke sowie jene der Löschanträge. Daneben kann man nachlesen, wer momentan die fleißigsten Wikipedia-Mitarbeiter sind, wer Seiten sperrt und wer Artikel gerne aus dem Lexikon genommen hätte. Zu jedem Beitrag wird außerdem eine Bewertung angegeben, die sich aus WIkipedia-internen Daten speist.

"Wiki-Watch" ist nicht das einzige Projekt seiner Art. So überwacht etwa der (derzeit vor einem Relaunch stehende) WikiScanner, welche Organisationen welche Veränderungen im Lexikon vornehmen. Wikipedia selbst gibt außerdem zahlreiche detaillierte Statistiken heraus.

"Wiki-Watch" wird innerhalb der aktiven Wikipedia-Community mit gemischten Gefühlen aufgenommen - dies geht zumindest aus einem kritischen Artikel im Community-"Boulevardblatt" Kurier:Kurier hervor. An einer Umfrage des Projekts unter den derzeit 281 aktiven Administratoren, die mit umfassenden Rechten ausgestattet sind, beteiligten sich gerade einmal 56.

Dabei kam unter anderem heraus, dass der typische Admin anscheinend jeden Tag rund zwei Stunden Zeit mit dem Online-Lexikon verbringt, männlich ist, sich politisch eher links bis liberal einordnet und die 39 Jahre überschritten hat. Die Stimmungslage sei dabei "manchmal freundlich, manchmal mürrisch", so "Wiki-Watch" in der Auswertung.

Eher mürrisch gestimmt waren die verantwortlichen Wikipedia-Mitarbeiter, als es darum ging, einen Eintrag zum "Wiki-Watch"-Projekt zu bewerten: Er landete nach kurzer Löschdebatte wegen "Relevanzproblemen" im virtuellen Papierkorb. Die "Wiki-Watch"-Macher konnten sich ein kleines Nachtreten im eigenen Blog nicht verkneifen: Nach dem Wikipedia-Regelwerk sei eine Webseite als Lexikoneintrag "relevant", wenn über sie "in nicht-trivialer Weise (z. B. in eigenen Artikeln) in relevanten Medien berichtet wird". Süffisant wurden dann die Beiträge zweier großer Nachrichtenagenturen, des Deutschlandsfunks und eines IT-Nachrichtendienstes zu "Wiki-Watch" zitiert.

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7 Kommentare

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  • S
    Sargoth

    Link zur versuchten Beeinflussung evangelikaler Artikel durch die gleiche IP, wie sie das Viadrina-Universitätsprojekt WikiWatch verwendet mit der Hoffnnung, dass sich ein Multiplikator einliest:

     

     

    http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Checkuser/Anfragen&oldid=90259695#.288._Dezember_2010.29_-_Benutzer:Diskriminierung

  • S
    Stefan

    Hier ein in einer Wikipedia-Löschdiskussion dokumentierter trauriger Höhepunkt, in welch besonders niederträchtiger Art und Weise mit Autoren teils umgegangen wird. Die Löschdiskussion zu dem Lemma "Andreas Mäckler". Lesen und Kopf schütteln. Der Autor wurde vom WP-User-Mob sinnbildlich gelyncht.

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:L%C3%B6schkandidaten/10._August_2010#Andreas_M.C3.A4ckler_.28erl..2C_bleibt.29

     

    Zitate von erschrockenen Usern aus der LD:

     

    "Diese LD und der Umgang mit der hinter dem Artikel stehenden Person ist eine Schande für die Wikipedia, vielleicht sogar eines ihrer schwärzesten Kapitel. Wie hier selbstgefällig und sarkastisch, sogar darüber hinausgehend hämisch und teilweise bar jeden Anstands gegen einen Autor gehetzt wird und er grundlos der Lächerlichkeit preisgegeben und beleidigt wird, nur weil es aus der Anonymität des Internets und einem mglw. empfundenen Überlegenheitsgefühl möglich ist, ist in der Tat ohnegleichen. Hexenprozesse im Mittelalter kommen mir da in den Sinn. Einige Benutzer, die sich hier gegenseitig mit ihren Kommentaren gepusht haben, sollten in einigen Tagen noch einmal mit Abstand ihre Beiträge lesen und sich ihres Verhaltens hier schämen."

     

    "Einige Benutzer haben hier ohne menschlichen Anstand, ohne genaue Prüfung der Fakten, Halbwahrheiten öffentlich gemacht, die mE die Grenze zu strafrechtlich relevantem Verhalten durchaus überschritten haben. Ich persönlich schäme mich für die Art und Weise, wie diese Diskussion hier geführt wurde. Eine Schande für Wikipedia."

  • S
    Sebastian

    Diese Wiki-Freaks haben einen an der Klatsche. Da werden Löschanträge gestellt mit der Begründung, "liest sich wie Fake", "keine online-Belege", wo eine google-Suche diesen Verdacht sofort ausgeräumt hätte bzw. Nachschauen im italienischen Wiki. Mein Beitrag orientiert sich übrigens am dortigen diskussionsniveau. Die wurden nicht nur in der Schule gehänselt. Die machen damit heute auch noch weiter. Qwertz! 8) lol

  • I
    Ich

    Die Wissenschaftlichkeit bestreite ich, sondern behaupte das es evangelikale Interessen vertritt und nicht dem Gedanken der Aufklärung folgt. Der Journalist Wolfgang Stock hat z.B. Marburger Erklärung unterschrieben (http://de.wikipedia.org/wiki/Marburger_Erkl%C3%A4rung_%282009%29) und sein Lemma wurde vor Bekanntgabe des Forschungsvorhaben von einem Benutzer mit evangelikalen Interessen ausgebaut.

  • P
    Peter.Piotrowski

    Erschreckend ist, auf welch niedrigem sprachlichem und geistigem Niveau einige der Administratoren diskutieren! Sowohl der aggressiv gestimmte, emotional hochaufgeladene, bis hin zu persönlichen Diffamierungen eines Studienleiters reichende Tonfall in der Diskussion um die Teilnahme an der Studie wie auch die überhitzte, an Fanatismus grenzende Diskussion um den Löschantrag des am Sonntag in Wikipedia eingestellten Artikels - kaum zu glauben, daß diese Menschen über den Zugang oder Ausschluß von neuen Einträgen in eine Enzyklopädie entscheiden. Und dann findet sich noch noch einer, der auf einer der Diskussionsseiten von Wikipedia vermuten läßt, er leide sowohl an Größen- wie auch an Verfolgungswahn, so fragt er, ob -Juristen die Qualifikation haben, Prozesse der kollektiven Wissenserarbeitung zu erforschen- und von -plumpe Propaganda gegen Administratoren- und gar -Dolchstosslegende-. Da verstehe ich, daß sich viele kritische Diskussionen auf dem Wiki-Watch-Blog um die Administratoren von WP drehen.

  • D
    Dirk

    Wikipedia entwickelt sich in etwa so, wie der Sozialismus, oder unsere vielgepriesene repräsentative Demokratie: Eine gute Idee, die begeistert, irgendwann aber nur noch den obersten Parteibonzen Spaß macht. Der ganz alltägliche Kindergarten eben.

     

    Die Antwort darauf im Netz ist eine Erosion des Systems und eine fortschreitende Fragmentierung, denn wer ernsthaft mitwirken will, dem bleibt immer öfter nur die Wahl, sein eigenes, meist spezialisiertes, themenbezogenes Wiki zu eröffnen, oder ein Forum, oder eben ganz klassisch Informationen auf der eigenen, statischen Website anzubieten.

    Basisdemokratisch. Dezentralisiert, quasi. Also irgendwie sogar im Geist der Zeit und insofern nicht einmal ungewöhnlich, oder gar neu. Hätte man früher den Begriff anarchisch bemüht? Spielt es überhaupt eine Rolle, wie man es benennt?

     

    Wie auch immer - es sage keiner, das würde nicht funktionieren. Dank moderner Suchmaschinen läuft das fast wie ein Schweizer Uhrwerk. Und falls die allmächtige Wikipedia nichts Nennenswertes zum Thema bietet, ist es nicht 'mal unrealistisch, die selbsternannten Gralshüter des Wissens auf die Ränge zu verweisen, die Ihnen im konkreten Fall dann tatsächlich zustehen.