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Diplomat empört Österreich"Türken werden in die Ecke gedrängt"

Die einen fordern seine Ausweisung, die anderen finden es erfrischend: Der türkische Botschafter in Österreich polarisiert mit seiner Integrationskritik.

Angeeckt: Kadri Ecved Tezcan, Ankaras Mann in Österreich. Bild: dpa

WIEN taz | Was passiert, wenn Diplomaten sich undiplomatisch verhalten, kann man derzeit in Österreich beobachten. Ankaras Botschafter Kadri Ecved Tezcan hat in einem am Mittwoch veröffentlichten Zeitungsinterview die Integrationspolitik seines Gastlandes und die Einstellung von Innenministerin Maria Fekter attackiert.

Kanzler Werner Faymann, SPÖ, und Vizekanzler Josef Pröll, ÖVP, zeigten sich "empört", Fekter, ÖVP, sprach von einer "unglaublichen Entgleisung", FPÖ-Chef Heinz Christian Strache forderte gar die Ausweisung. Einzig die Grünen gaben sich gelassen. Ex-Parteichef Alexander Van der Bellen fand das Interview "erfrischend". Tezcan habe "den Finger auf viele wunde Punkte im Umgang mit türkischen bzw. türkischstämmigen Menschen in Österreich gelegt".

"Es gibt Schulen, in denen türkische Kinder mit 60, 70 Prozent die Mehrheit stellen. Warum? Weil sie in Ghettos leben", sagte Tezcan. Wenn Türken in Wien Wohnungen beantragen, werden sie immer in dieselbe Gegend geschickt, gleichzeitig wirft man ihnen vor, Ghettos zu bilden. Österreichische Familien schicken ihre Kinder nicht in Schulen, in denen ethnische Minderheiten die Mehrheit stellen. So werden Türken in die Ecke gedrängt."

Dass die Integrationsagenden im Innenministerium angesiedelt sind, findet er absurd: "Die Innenministerin sollte aufhören, in den Integrationsprozess zu intervenieren. Wenn man dem Innenministerium ein Problem gibt, wird dabei eine Polizeilösung rauskommen."

Ministerin Fekter wirft er vor: "Was sie vertritt, entspricht nicht einer liberalen, offenen Geisteshaltung. Das Gleiche gilt für Angela Merkel. Ich war überrascht, als sie sagte, Multikulturalismus habe versagt und Deutschland sei eine christliche Gesellschaft." "Die Türken sind glücklich, sie wollen nichts von euch", behauptet Tezcan, "sie wollen nur nicht wie ein Virus behandelt werden." Eine Kopftuchdebatte sei unangebracht: "Wenn es hier die Freiheit gibt, nackt zu baden, sollte es auch die Freiheit geben, Kopftücher zu tragen. Wenn jemand Leute zwingt, Kopftücher zu tragen, sollte der Rechtsstaat intervenieren."

Außenminister Michael Spindelegger, ÖVP, ließ sich von seinem Amtskollegen Ahmet Davutoglu versichern, die Meinungen des Botschafters entsprächen nicht der offiziellen Linie der Türkei. Von einem Abzug des Diplomaten ist aber keine Rede. Auch auf österreichischer Seite will man eine Eskalation vermeiden und darauf verzichten, den Botschafter zur Persona non grata zu erklären.

Die Empörung über die undiplomatischen Äußerungen des Botschafters ließ eine Debatte über deren Inhalte zunächst nicht aufkommen. Einige Medien, wie der Kultursender Ö1, ließen sich dennoch darauf ein. Für den im Morgenjournal befragten deutsch-türkischen Integrationsexperten Kenan Güngör hat Tezcan nichts gesagt, "was nicht seit 15 Jahren bekannt ist".

Pauschalurteile, wie die des Botschafters, würden den komplexen Gesellschaften nicht gerecht, meint die Grünen-Abgeordnete Alev Korun. Wer oft mit Diplomaten zu tun hat, muss bezweifeln, dass Tezcan ohne Rückendeckung aus Ankara gesprochen hat. Seine Attacken sind als Schuss vor den Bug jenes EU-Landes zu verstehen, das sich am aktivsten gegen eine Aufnahme der Türkei in die Union stemmt.

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12 Kommentare

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  • B
    Bektash

    In den letzten Jahren fallen die Begriffe Integration, Migranten etc. sehr gehäuft. Was meine Generation anbelangt; ich bin Türke 2. Generation, ist dies eine Ausgrenzung. Ich fühle mich damit ausgeschlossen, irgendwie nicht dazugehörig, wenn darüber debattiert wird. Wie ein Tier im Zoo. Und das ist keine Gefühlsduselei...

     

    Schade: Zuerst hat man 40 Jahre die Integration komplett ignoriert und jetzt, wo viele Türken anfangen sich mehr und mehr anzupassen, was auch unverständlich ist nach 40 Jahren Aufenthalt, fängt man mit dem Lied an... Jedenfalls iste es mit der Migration so, wie mit der Diät: Leute diie abnehmen wollen reden ständig über Diät und Politiker genauso über Integrattion...

  • I
    Interpretator

    Es wäre schön, wenn Herr Tezcan ebenso erstaunt wäre, wenn man ihm sagte, die Türkei sei ein "muslimisches" Land. Er müsste das streng von sich weisen, wenn er die Kritik an Merkel ernst meint. Hoffentlich macht mal jemand die Probe aufs Exempel.

     

    Inhaltlich kann man Herrn Tezcan nur zustimmen, denn er fordert doch implizit, dass

     

    1. keine Einwanderergettos zugelassen werden dürfen

    (also auch im Notfall deren Auflösung mit Mitteln der Verwaltung, der Sozialpolitik usw.)

     

    2. in Schulen eine Höchstquote für Einwandererkinder gelten muss.

     

    Ich finde, das sollte man durchaus ernstnehmen, auch und gerade in Deutschland. Wenn selbst türkische Diplomaten für Bezirks- und Schulquoten sind, muss an diesen Ideen ja etwas dran sein.

     

    Danke, Herr Tezcan!

  • L
    Lucia

    "...Die Empörung über die undiplomatischen Äußerungen des Botschafters ließ eine Debatte über deren Inhalte zunächst nicht aufkommen...

    nichts gesagt, "was nicht seit 15 Jahren bekannt ist"....":

     

    Warum hört sich das nur genauso an wie bei Sarrazin?

     

    "... Schuss vor den Bug jenes EU-Landes zu verstehen, das sich am aktivsten gegen eine Aufnahme der Türkei in die Union stemmt...".

     

    Scheinbar setzt Österreich demokratisch den Willen des Volkes um. Da kann D noch was dazulernen, denn sämtliche Umfragen dokumentieren, daß die Mehrheit hier auch gegen die Türkei-Aufnahme ist.

  • MA
    Monsieur Achie

    "Schuld sind immer die anderen, selbstkritik wäre Hochverrat" Es ist genau das. Das eigene Versagen nicht zugeben. Schuld auf die minderheiten zu schieben ist einfacher eigene Versagen zu zustehen. (Es fehlt mir ein Bsp. aus den 80 er Jahren. Als dieduetsche Regierung mit der Wohnungsbau versagt hat, hat sie behautet. Die Wohnungsnot kommt daher, weil wir so viele Türken haben. Wie Sie sagen immer die anderen)Es leben in Österreich 250.000 Türken. Nicht soviel wie Sie behaupten. Ihre Frage "warum leben so viele Tüeken in Ö, wenn sie dort so schlecht behandelt werden, wie der Herr Botschafter meint?" Ich bin ein Türkischer Dipl. Ing. in Deutschland und meine Frau ist eine Östereicherin.

    Ich habe vor 20 Jahren vorausgesehen, was auf die Türken erwartet. Ich habe meine Kindern deutschen Namen gegeben und die türkische Sprache nicht beigebracht um meine Kindern vor den Deutschen (wie Sie) und Österreichern zu schützen.

    Ich hoffe,dass Sie geistlich in der Lage sind zu verstehen, warum die Türken trotzt schlechten Umgangsform von den Europäer immer noch in Europa bleiben.

  • K
    KollegeAhmed

    Endlich ein Anti-Sarazzin, Gratulation zu diesem Mut Herr Tezcan. Jetzt noch ein Buch hinterher schieben.

    Die deutschen Medien werden Sie aber hängen lassen, jene stehen eben auf Seiten von Sarazzin und BILDen eben das Türken-Image.

  • MA
    Monsieur Achie

    Wo haben die Österreicher das Demokratie gelernt. Genau so wie die Deutschen. Schauen Sie doch Frau Merkel an. In DDR gabe es keine Demokratie, wo sollte sie den Demokratie lernen. Wir müssen erst Frau Merkel uns sowie die Österreicher in die Demokratie integrieren. Danach verhalten sich vielleicht wie ein echter Demokraten. Wie momentan aussieht alle behaupten wären sie Demokraten. Bei Bush hat man festgestellt, dass er ein kriminelle ist.

    Mich macht traurig rücksichloser Umgang mit anderen Kulturen. Keine Türke ist mit Gewalt nach Europa eingereißt. Alle Türken sind von den europäischen Staaten als billiger Arbeitskraft ins Land geholt worden. Es rechfertigt den Europäer nicht den Umgang mit fremden Kulturen. Weil sie Türken nicht mehr brauchen.

  • MA
    Monsieur Achie

    Von Achie

    Der Botschafter hat den Nagel auf dem Kopf getroffen. Die Österreicher gehen mit den Türken so um, wie sie mit den Juden vor dem 2. WK umgegangen sind. Die Juden hatten sich keinen judischen Staat hinter Ihnen aber Türken haben sich einen Türkischen Staat. Es ist immer das selbe mit den europäischen Staaten bwz. mit den Europäern. Erst machen alle mit wie beim 2.WK. Wenn alles vorbei ist, heißt es, wir haben von Nichts gewußt. Wir haben nicht mitbekommen. Es ist beschämend für alle selbst ernannter (verlogener) Demokraten.

    50 jahre lang existenz der Türken belognen und dann auf die Türken schimpfen, dass sie sich nicht integrieren lassen. So eine verlogenheit. Abgesehen davon lasse ich mir von niemandem vor, was meine Bekleidung angeht.

  • J
    Jack

    Tezcan hat Recht! Endlich mal jemand, der sich traut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen!

     

    Wo sind jetzt denn die ganzen angeblichen Verfechter der Meinungsfreiheit! :)

  • JS
    Jack Stern

    hat er den unrecht? meiner meinung nach hat er absolut recht.

     

    wir mischen uns doch auch ein in die angelegenheiten der verschiedenen länder und unser argument ist immer das selbe unzwar menschenrechte. auch hier in europa hat man die pflicht die wahrheit zu sagen. ich gratuliere diesem man für seinen mut und bin sehr entäuscht von österreich, einem land dass zur eu angehört. die österreicher sollten mit kritik und kritiker anders umgehen.

  • B
    Beobachter

    Wo der Mann Recht hat, hat er Recht.

     

    Das gleich gilt auch in Deutschland.

     

    Erst holt man (lässt sie) die Leute ins Land für die Drecksarbeit, gibt ihnen einen Tritt, als die Industrie sie nicht mehr braucht, dann beschimpft der Pöbel sie jahrzehntelang als "Kümmeltürken" und "Kanaken", zwingt sie zur Ghettobildung und gibt ihnen an dieser Misere auch noch die Schuld.

    Dann wundert man sich, wenn sich die der dritten Generation abwenden von ihrem "Gastland"!

     

    Deutschland ist und war nie ein weltoffenenes Land, das hat sich in den letzten 100 Jahren nicht geändert.

     

    Und der alte deutsche Chauvinismus kommt heute als "Islamkritik" daher.

     

    Warum ist man nicht so ehrlich und sagt offen, dass man diese Leute nicht mag und hier nicht haben will und nie haben wollte, dann können sich die Betroffenen wenigstens auf die kommenden ethnischen Säuberungen in Mitteleuropa einstellen oder rechtzeitig Sicherheit in anderen Ländern suchen!

  • BS
    Bildzeitung stürmt

    heute berichtet die Bildzeitung über einen Sexverbrecher in den USA, er entführte ein Mädchen. Angeblich ist er Mormone. Aber welcher Begriff darf im Bildartikel nicht fehlen, genau: "Islam".

     

    die leute werden für dumm von staats- und konzernmedien verkauft. teile und herrsche, das geht nur mit dummen.

  • H
    Hatem

    Schuld sind immer die anderen, Selbstkritik wäre Hochverrat.

     

    Nur warum leben so viele Türken in Österreich, wenn sie dort so schlecht behandelt werden, wie der Herr Botschafter meint?