„Wünscht ihnen Glück“

Premiere von Nick Woods „Fluchtwege“ im moks: Ein Stück über die Ankunft einer Flüchtlingsfamilie in einem Land, das sie alles andere als willkommen heißt. In einer Inszenierung ohne Mitleidsästhetik

Ihre wunde Psyche macht sie zu den verletzlichsten Wesen der Welt: Kinder, die in ihrer Heimat Opfer von Krieg und Verfolgung wurden, auf der Flucht Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt waren und in ihrem Asylland womöglich noch diskriminiert werden. Flüchtlingskinder – ein schwieriges, ein komplexes Thema.

Dem sich gerade jetzt, wo es weihnachtet und der Spendecent locker sitzt, gern emotionalisierend widmen – mit Bildern zerstörter Städte, riesiger Traurigkeitsaugen, hungernder Leiber. So ist es kaum positiv genug zu bewerten, dass sich das Moks der Mitleidsästhetik verweigert, um den Blick auf andere Art zu schärfen. Das ausgewählte Stück „Fluchtwege“ des Engländers Nick Wood ist unsentimental und so klar strukturiert wie das Bühnenbild, das Lea Dietrich als ineinander verkantete Komposition aus Rechtecken und einem Kreis entwickelt hat. Die ganze Welt ein begrünter Kegel mit drei Toren zum Weglaufen, Ankommen, Schutzgeben.

Diese Elementarisierung der Formenvielfalt entspricht dem Regiewillen zur Abstraktion in der Darstellung der Migrationswirklichkeit. Statt Einzelschicksale exemplarisch zu dramatisieren, konzentriert sich die Handlung auf das allgemein Gültige der Flüchtlingskinder-Schicksale. Zu erleben ist, wie die Familie der Geschwister Riva und Andrea bei der Ankunft in ihrem Asylland ausgegrenzt und vertrieben wird. Unerwähnt bleibt, ob sie einer ethnischen Minderheit angehört, einen anderen Glauben oder eine bestimmte politische Überzeugung besitzt.

Im temporeichen wie spannungsvollen Wechsel von dialogisch aufbereiteter Erzählprosa und dramatischem Spiel wird stichpunktartig das Problemfeld beleuchtet: Die Traumatisierung der Kinder, ihr Zwang, sich die Mitschuld am Tod des Vaters zu geben, das Misstrauen und die Hilflosigkeit in der Asylheimat Deutschland, die Angst vor neuen und alten Feinden, das lange Warten auf den Behördenbrief, der mit „Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen“ oder „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können“ beginnt. Als ausgesprochen stückdienlich erweist sich die schlichte Inszenierung der Regie-Debütantin Marie-Luise Helle. Keine Mädchen mit Kopftüchern, keine dunkelhäutigen Darsteller, kein Weltmusik-Soundtrack. Alles bleibt dezent abstrakt. Auch das Spiel von Jelena Mitschke (Riva) und Axel Brauch (Andrea), die ihre Rollen auf dem schmalen Grat zwischen Kind- und Jugendlichkeit verorten, dabei aber wenig individualisieren, um sofort Sympathieträger zu sein.

Die Schwierigkeit der Inszenierung liegt an anderer Stelle: Während Riva begeistert Deutsch spricht und mit großer sozialer Kompetenz den direkten Integrationsweg geht, muss Andrea erst bockig herumprügeln, bis er in der Fußballmannschaft mitkickt. Szenen, die immer wieder einen Gedanken provozieren: „Das ist ja typisch.“ Was der thematischen Auseinandersetzung und dem Einfühlungsvermögen abträglich ist. Ebenso der Auftritt eines Jungen, der „Scheißausländer“ sagt – und dafür als Blödmann-Karikatur zum Auslachen freigegeben wird. Das ist die Kehrseite der Abstraktion: die Vereinfachung. Aber sie macht es leicht, der dramatischen Logik bis zur moralischen Konsequenz zu folgen: „Wünscht ihnen Glück“, fordert das Stück für die Flüchtlingskinder ein. Theater als Solidaritätsgeste, die als erste Annäherung an das Thema „für alle ab 10 Jahren“ funktionieren dürfte.

Jens Fischer

Nächste Aufführungen im Moks: 26. und 27. 11. sowie 21. und 22. 1. jeweils um 18 Uhr.