Ein wenig Norden in Berlin

MAU Auf der Berlinale wurden nur wenige in Norddeutschland produzierte und gedrehte Filme gezeigt. Darunter ein schrilles Rachedrama, eine elegische Familiengeschichte und ein Film über Murat Kurnaz

VON WILFRIED HIPPEN

Auch für die norddeutschen Filmemacher war dies kein guter Jahrgang der Berlinale. In den vielen verschiedenen Programmreihen wurden kaum Filme aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder gar Bremen gezeigt und auf dem traditionellen Empfang der Filmförderanstalt Nordmedia wurden zwar neue Produktionen wie Eike Besudens „Gibsy“ vorgestellt, doch zum ersten Mal seit langem konnte man sich mit keinem einzigen Film aus Niedersachsen in einer der offiziellen Programmschienen schmücken. Dabei gibt es zumindest einen von der Nordmedia geförderten und zum Teil in Bremen gedrehten Film, der es verdient hätte, in einer der Hauptreihen gezeigt zu werden. Doch „5 Jahre Leben“ von Stefan Schaller lief stattdessen vor einigen Wochen in Rotterdam und auf dem Max-Ophüls Festival in Saarbrücken, und so konnten ihn in Berlin nur einige Einkäufer und Akkreditierte auf dem European Film Market ansehen.

Dabei wäre der Film gerade, weil die Berlinale solch einen dezidiert politischen Anspruch hat, dort, wenn nicht im Wettbewerb, so doch zumindest in der Reihe Perspektive Deutsches Kino gut aufgehoben gewesen. Denn immerhin wird darin eine der politisch brisantesten Geschichten der letzten Jahre aufgearbeitet. Erzählt wird die Geschichte des in Bremen aufgewachsenen Murat Kurnaz, der in Pakistan verhaftet, verhört, gefoltert und fünf Jahre lang wegen Terrorverdachts in Guantanamo festgehalten wurde. Und der Regisseur Stefan Schaller hat mit seinem Abschlussfilm bei der Filmakademie Ludwigsburg die richtige Form und einen passenden Ton gefunden, um diesem Thema gerecht zu werden. Denn er erzählt konsequent aus der Perspektive seines Protagonisten, der von Sascha Alexander Gersak mit einer virtuosen Wandlungsfähigkeit verkörpert wird, denn dieser musste Kurnaz zuerst als jungen pausbäckigen Türsteher in Bremen und dann als geschundene Kreatur im Gitterkäfig spielen, und dabei ist er immer glaubwürdig. Schallers Drehbuch basiert auf den Erinnerungen von Kurnaz (und dieser hat nach einer Privatvorstellung in der Bremer Schauburg den Film abgesegnet), beschreibt aber nicht die gesamten fünf Jahre der Gefangenschaft, sondern jene Episode, in der Kurnaz ausgiebig von einem amerikanischen Geheimdienstler verhört wurde. Dies ist eine geschickte dramaturgische Entscheidung, denn so hat Schaffer sich einen Rahmen geschaffen, in dem er konzentriert die verschiedenen Aspekte der Geschichte aufzeigen kann. Dabei beeindruckt neben der erzählerischen Stärke auch, dass Schaffers Guantanamo ein schockierend authentisch wirkender Schreckensort ist.

Immerhin im Panorama der Berlinale wurde das vom NDR mitproduzierte Familiendrama „Meine Schwestern“ von Lars Kraume gezeigt. Jördis Triebel spielt darin eine 30-Jährige, die seit ihrer Kindheit an einer Herzkrankheit leidet und nun spürt, dass sie die nächste große Operation nicht überleben wird. Zusammen mit ihren beiden Schwestern reist sie an ihrem vielleicht letzten Wochenende zu ihren beiden Sehnsuchtsorten: dem Badeort Tating an der Nordsee und Paris. Auf den ersten Blick scheinen sowohl der Konflikt wie auch die Charaktere der drei Protagonistinnen etwas konstruiert. So ist die älteste Schwester die Quasi-Mutter mit Kontrollzwang, die jüngste das chaotisch gebliebene Kind und Jördis Tribel in der Mitte die tiefe Seele. Doch Lars Kraume inszeniert sehr atmosphärisch und besonders die in Tating gedrehten Sequenzen sind so durch den Ort geerdet, dass man schnell in die Geschichte hineingezogen wird. Lebendig wird „Meine Schwestern“ durch seine Schauspielerinnen, Nina Kunzendorf und Lisa Hagmeister gelingt es, alle Untiefen des Kitsches souverän zu umfahren. Als Zugaben gibt es dann noch Kurzauftritte von Angela Winkler und Béatrice Dalle.

Eine ganz andere Familiengeschichte bietet „DeAD“ von Sven Halfar, der in der Perspektive Deutsches Kino gezeigt wurde. Hier findet gleich in der Anfangssequenz der Protagonist Patrick seine Mutter tot an einem Seil baumeln. Danach begibt er sich zusammen mit einem Freund auf einen Rachefeldzug gegen seinen Erzeuger, den er nie kennengelernt hat, und der gerade zusammen mit seiner wohlhabenden Familie in seiner Vorstadtvilla seinen 60. Geburtstag feiert. Patrick ist ein unberechenbarer Rebell, die Familie eine Ansammlung von antibürgerlichen Karikaturen, und so wird die Hamburger Bourgeoisie mit viel Schadenfreude (natürlich geht auch ein teurer Porsche in Flammen auf) und einem ganz eigenen sadistischen Witz zur Schlachtbank geführt. Halfar musste zusammen mit seinem Produzenten sein konsequentes und zumindest nie langweiliges Trashkino selber finanzieren, denn jede Förderung wurde abgelehnt.

Im Wettbewerb der Berlinale gab es dann doch noch einen winzigen norddeutschen Bezug: In „Gold“ von Thomas Arslan, der in Braunschweig geboren wurde, wird in einem Dialog erwähnt, dass einer der deutschen Einwanderer in der kanadischen Wildnis aus Hannover und die von Nina Hoss gespielte Heldin aus Bremen kommen.