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Ermittlungen gegen Wikileaks-GründerDie Jagd auf Assange

Der Oberste Gerichtshof Schwedens lehnt eine Aufhebung des Haftbefehls für Julian Assange ab. Die vehemente Suche nach ihm sorgt für Spekulationen.

Gesuchter Mann, auf dem Titelbild der New York Times: Julian Assange. Bild: ap

Eine Festnahme des Wikileaks-Gründers Julian Assange und seine Auslieferung nach Schweden rückte am Donnerstag näher. Zuerst lehnte der schwedische Oberste Gerichtshof ("Högsta Domstolen") eine weitere Beschwerde der Assange-Anwälte ab. Die Entscheidung der beiden Vorinstanzen lasse keinen Rechtsverstoß erkennen.

Damit wird die Forderung der Staatsanwaltschaft nach einem direkten Verhör von Assange zu den gegen ihn erhobenen Vergewaltigungsvorwürfen abgesegnet. Assange hatte vergeblich ein Videoverhör oder eine Einvernahme bei einer schwedischen Botschaft als Alternative angeboten.

Nach Informationen britischer Medien soll sich Assange nach wie vor in Großbritannien aufhalten, und Scotland Yard sei auch sein Aufenthaltsort bekannt. Eine Festnahme sei aber bislang nicht möglich gewesen, weil der ursprüngliche schwedische Haftbefehl mit einem Formalfehler behaftet sei.

Was Tommy Kangasvieri, stellvertretender Chef der Abteilung für internationale Polizeizusammenarbeit der Reichspolizeibehörde "Rikspolisstyrelsen", indirekt bestätigt: "Nach englischem Recht muss die Maximalstrafe für alle vier Straftaten benannt werden, deren Assange verdächtigt ist."

Der von der schwedischen Staatsanwältin Marianne Ny beantragte Haftbefehl spezifiziere aber nur die Maximalstrafe für den gröbsten Straftatbestand, Vergewaltigung: Höchststrafe vier Jahre Haft. Das entspreche der schwedischen Rechtslage. Man werde den möglichen Gesamtstrafrahmen nun angesichts der weiteren Tatvorwürfe - zwei Fälle sexueller Belästigung, ein Fall der Nötigung - ergänzen. Kangasvieri kündigte an, der ergänzte Haftbefehl werde noch im Laufe des Donnerstags "auf den Weg gebracht".

In der Theorie sollen alle EU-Mitgliedstaaten bei einem "europäischen Haftbefehl" (EUHB) die justizielle Entscheidung eines EU-Landes, die zu dessen Erlass geführt hatte, ohne eigene rechtliche Prüfung anerkennen. Also den Betroffenen festnehmen und an das fragliche Land überstellen. Unter den 32 einschlägigen Straftatbeständen, beim dem ein EUHB möglich ist, ist auch der der Vergewaltigung genannt.

Schwedische Medien spekulieren darüber, dass die Beweise gegen Assange so schwerwiegend sein müssten, dass nach einem Verhör die sofortige Anordnung einer Untersuchungshaft als nicht unwahrscheinlich erscheine. Nur so sei das von allen Gerichtsinstanzen abgesegnete Begehren der Staatsanwaltschaft auf ein persönliches Verhör vor Ort nachvollziehbar.

Eine andere Vermutung: Es gibt DNA-Spuren und die Anklagebehörde bestehe auf einer persönlichen Anwesenheit Assanges, um dessen DNA sichern zu können. Wobei allerdings verwunderlich wäre, sollte die Staatsanwaltschaft nicht schon früher auf diesen doch recht naheliegenden Gedanken gekommen sein. Assange hielt sich noch mehrere Wochen nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn in Schweden auf. Und er war laut seinen Anwälten in dieser Zeit für die Justiz erreichbar.

Der spektakuläre Schritt von Interpol, ausgerechnet wenige Tage nach Beginn der Wikileaks-Veröffentlichungen eine "Red Notice" gegen Assange zu erlassen, wird von Tommy Kangasvieri von der schwedischen Reichspolizei als "Routine" bezeichnet. Während Assanges britischer Anwalt Mark Stephens von einem "einmaligen Vorgang" spricht und vermutet, dieser könne auf "die Absicht einer strafrechtlichen Verfolgung seitens der USA" hindeuten.

Ein theoretisches Szenario: Ob die schwedische Justiz Julian Assange an ein Drittland ausliefern könnte, sollte dieses gegen ihn während seines Aufenthalts oder einer Haft in Schweden einen eigenen Haftbefehl beantragen, wird von schwedischen Juristen prinzipiell bejaht - ein ausreichend schwerwiegender Tatvorwurf vorausgesetzt.

Julian Assange habe allen Grund, sich um seine Sicherheit Sorgen zu machen, erklärte Kristinn Hrafnsson, isländischer Journalist und Wikileaks-Sprecher. Er stehe nach den letzten Wikileaks-Veröffentlichungen unter Lebensgefahr, mehrere US-Politiker hätten die Einleitung eines Landesverratsverfahrens gefordert, und offenbar werde ein solches Verfahren von Washington auch erwogen.

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23 Kommentare

 / 
  • HK
    Hänschen klein

    soeben habe ich meine Konten + Profile bei Amazon, ebay + paypal gelöscht und den Firmen eine E-Mail geschickt, in der ich das begründet habe, wg ihrer Einschränkung der Meinungsfreiheit.

     

    Ich hoffe, dass viele folgen werden!

  • S
    steffen

    Ich denke, dass der Einfluss der USA nicht unterschätzt werden sollte. Sie haben in der westlichen Welt mindestens so starken Einfluss, wie China in der asiatischen und afrikanischen Welt. Und sie nutzen diesen auf chinesische Art, wie die Vergangenheit oftmals zeigte (Verschleppung und Folter von Menschen anderer Staatsangehörigketen). Für mich liegt, gerade bei diesen engen zeitlichen Zusammenhang, auf der Hand das die Vergewaltigungsanklage mit hoher Wahrscheinlichkeit getürkt bzw. vielmehr geamerikanischt ist!

    Die USA und ihre willigen Helferhelfer!

  • C
    Cosmo

    @ Icke,

    zum Thema Unabhaengigkeit Schwedens von den USA empfehle ich die schwedischen Zeitungen, die WL Dateien betr. Verhaeltnis USA-Schweden abgedruckt haben.

     

    Bevor ich die uebersetzt bekommen hatte, glaubte ich auch noch an ein neutrales Schweden.

  • AV
    Alida von Korte

    Bei der Betrachtung der Vorgehensweise gegen Wikileakes kann man feststellen,dass wir nicht weit entfernt von Chinas Reaktionen gegen Internetseiten sind...

    Ich werde auf jeden Fall Amazon nie wieder nutzen und hoffe viele werden sich mir anschliessen.

    Die Freiheitsstatue steht auf dem falschen Kontinent!

    Protestierer aller Länder vereinigt Euch!!!

     

    Alida von Korte

  • VZ
    Volker Z.

    was Sophie Scholl woll dazu gesagt hätte, in dieser Zeit?

     

    Aber die meisten Menschen sind Kosumidioten und deshalb leicht manipulierbar.

     

    Ist schon komisch wenn der Westen sich über Zensur und Menschenrechtsvergehen in China aufregt.

     

    Wahrheit ist auch eine Form von Freiheit!

  • G
    Gorter

    Assanges Organisation selbst ist alles andere als transparent. Es ist nicht bekannt welche seine Mitarbeiter sind, wo seine Server stehen, wer seine Zuträger sind. Assange selber versteckt sich. Ja, er hat Angst und nimmt für sich das in Anspruch, was er den von ihm geouteten genommen hat: Die Möglichkeit sich zu verstecken.

    Es ist mir schleierhaft, wieso dieser psychopath hier auf soviel Sympathie stößt.

  • AW
    Anton Wagner

    Daß Assange ausgerechnet mit der primitivsten und am schlechtesten widerlegbaren Straftat feertiggemacht werden soll, spricht für sich selbst. Nichts ist zu billig und zu fadenscheinig, um einen politischen Feind auszuschalten. Ein Paradebeispiel,wie sich die "unabhägige" Justiz der Politik andient.

  • B
    Bruno

    alle konten bei amazon gehören gelöscht !!!!

  • HB
    Heinrich Böll

    Assange, ist weder Datendieb noch Terrorist. Vielmehr ein Ikarus mit Kassandrakomplex. Die Daten gestohlen? Wieso sind Sie dann noch da? Die Daten sind Bürgerinformationen, gesammelt von Bürgern für Bürger. Erst die elitäre Geheimniskrämerei macht Sie zu etwas Kriminellen. Vergewaltigung? Sich stellen? Wie dumm muss man sein? Schweden stellt dann fest...ja war nix mit den bezahlten Hühnern...aber dem Auslieferungsersuchen der USA oder eines ihrer Partner könne man sich bedauerlicherweise nicht entziehen. Ich hoffe die Jungs von Wiki machen weiter denn sie revolutionieren die animal farm. Hin zur wahren DEMOKRATIE.

  • C
    Chris

    sach mal Icke!

    Artikel auch gelesen? Das Problem besteht darin, dass waehrend er in Schweden festsitzt an die USA wegen Landesverrats ausgeliefert werden kann.

  • F
    Frank

    Zuerst holten sie die Kommunisten;

    ich schwieg, denn ich war kein Kommunist.

    Dann holten sie die Juden;

    ich schwieg, denn ich war kein Jude.

    Dann holten sie die Gewerkschaftsmitglieder unter den Arbeitern;

    ich schwieg, denn ich war kein Gewerkschafter.

    Danach holten sie die Katholiken;

    ich schwieg, denn ich war Protestant.

    Schließlich holten sie mich,

    und da war keiner mehr, der für mich hätte sprechen können.

     

    (Martin Niemöller)

  • M
    Michael

    @Icke: Ich verstehe nicht, wie Assange oder wikileaks dafür verantwortlich sein sollen, dass "ein amerikanischer Militärinformatiker" in den Knast geht? Ist es nicht eher merkwürdig, dass Menschen, die Kriegsverbrechen öffentlich machen, nicht durch Gesetze geschützt werden?

     

    Überhaupt: Ich finde den Umgang der Mächtigen (und mancher Medien) mit den Wikileaks-Veröffentlichungen noch wesentlich 'enthüllender', als die Enthüllungen selbst.

  • O
    Odysseus

    Die Ereignisse dokumentieren den Untergang einer demokratischen Weltmacht.

     

    Besorgniserregend, weil die USA ein Hautverbündeter sind und aufgrund seiner Dominanz im westlichen Bündnis diese Tendenz auch nach Europa exportieren werden.

     

    Statt die Angelegenheit wegzustecken b.z.w. langfristig zu Lösen, wird wie bei 9/11 und Afghanistan nervös drauf gehauen, in der Hoffnung, hinterher wird etwas sinnvolles für die USA rauskommen.

  • I
    Icke

    Wenn sich Assange stellen würde, hätte er die größte Aufmerksamkeit und den fairsten Prozess weltweit. Bei unklarer Beweislage wird man in Schweden freigesprochen. Punkt. Außerdem ist Schweden nicht gerade als CIA-gesteuerte Bananenrepublik bekannt. Wer da lieber Interpolhaftbefehle hinnimmt und Verschwörungstheorien vorschiebt, der ist für jemanden der mal kurz die Geschichte in Schweden nachliest, inklusive der Nerd-Persönlichkeit Assanges und der Aussagen von Leuten die ihn kennen, erst einmal nicht besonders glaubwürdig. Ein paar Drinks zuviel, fehlende soziale Kompetenz in Kombination mit den freizügigen schwedischen Sitten sind zumindest ein Grund nachzudenken. Die Veröffentlichung der Dokumente hätten die von Assange vertriebenen Wikileaksmitbegründer genauso hinbekommen. Wahrscheinlich sogar besser und ohne die große Ego-Show. An den Dokumenten gibt es nichts zu rütteln. Dieses Gehabe von "der CIA Jagd mich" ist eh albern. Jeder Geheimdienst der Welt und erst rechts die amerikanischen, könnten ihn in 3 Tagen eingepackt im weißen Haus abgeben oder im Kofferaum vor dem Büro des schwedischen Staatsanwalts parken. Der einzige der lange in den Knast geht, und nicht zuletzt dank Assange, ist der amerikanische Militärinformatiker. Assange würde mit oder ohne gewonnenen Prozess wohl problemlos Asyl in Schweden bekommen wenn er es bräuchte. Deshalb langweilen seine Opfer-Theorien und erst recht ihre kritiklose mediale Übernahme. Wären es chinesische oder türkische Dokumente gewesen, dann wäre meiner Meinung nach die Solidarität bei vielen deutschen Journalisten nicht so stark.

  • S
    stoles

    Das ist das erste Mal in der Geschichte, daß ein angeblicher "Vergewaltiger" weltweit gesucht wird.

     

    Wahrscheinlich wird Herr Assange bei oder nach Verhaftung "auf der Flucht" erschossen.

     

    Vermutlich wurde jene Schauspielerin von Assange genötigt, die in den USA als angebliche Krankenschwester über getötete Babys im Irak schwadronierte.

     

    Weder ich noch irgendjemand in meinem Bekanntenkreis wurde von Julian Assange belästigt. Aber wir sind ja auch über seine Veröffentlichungen erfreut.

     

    Meine Hochachtung

  • B
    Bibbi

    @Carlson vom Dach: Ich ebenfalls und ich kenne einige, die das auch schon mehr oder weniger explizit geäußert haben.

     

    Schade, dass es schon wieder so weit gekommen ist.

     

    Hoffen wir, dass sich Assange nicht wirklich in UK befindet.

  • K
    Kommantator

    Am Beispiel Julian Assange kann man zur Zeit wunderbar sehen, wie durch Machthaber versucht wird, Kritiker mundtot zu machen und die Informationsfreiheit zu bekämpfen. Durch den Vorwurf der Vergewaltigung, zufällig genau zu dem Zeitpunkt erhoben, als die War Logs geleaked wurden, soll die Person Julian Assange gezielt zerstört werden. Vergewaltigung eignet sich hierfür hervorragend, es ist einfach zu konstruieren, schwierig nachzuweisen, und ist man erstmal verurteilt, ist das Leben de facto vorbei.

  • L
    leser

    "Dem zugrunde liegen würde eine Anklage, die auf Folgendes gründe: dass einvernehmlicher Sex mit einem Kondom angefangen habe und ohne Kondom endete, woraus der Schluss gezogen werde, dass der Sex nicht einvernehmlich war. Dies sei der Stand nach drei Monaten Ermittlung und nachdem sich drei Staatsanwälte in dem Fall abgewechselt hätten."

     

    www.heise.de/tp/blogs/8/148861

  • RW
    Roman W

    ...kann man das überhaupt noch kommentieren??

    Das muss man einfach mal so stehen lassen und verdauen.

    Realsatire vom feinsten...

  • P
    P.Haller

    Wo ist denn die Unterstützung der "freien Presse" für J.A.??

    Oder gilt heute die Pressefreiheit nichts mehr ??

    Wo sind denn all die Vertreter dieser "seriösen" Gazetten, die ihre Auflagen mit den Informationen von wikileaks steigern ??

    Für mich sind das alles feige Schleimer un A..-kriecher. Wenn's hart auf hart kommt hat J.A. eben keine Chance, da werden die Schwänze eingezogen und man macht sich eben den Übermittler von Schweinereien zum Angeklagten und Feind !

    Das war immer schon so und hat sich auch bis heute nicht geändert.

    Freie, kritische und investigative Presse ?? Was is'n ditte ??

  • CV
    Carlson vom Dach

    Ich würde ihn bei mir verstecken!

    Er hat meine Unterstützung!

  • BG
    Bernd Goldammer

    Beweisen die Bilderberger jetzt wie gut ihr Netzwerk funktioniert?

  • N
    Nuntius

    Würde es nicht zu "Verstimmungen" führen, dann würden die USA Assange sicher in CIA-Manier exekutieren. Dieses Vorrecht, über Leben und Tod von "Feinden" zu entscheiden haben die USA längst als politisches Mittel etabliert. "Terroristen" sind längst Anti-Kriegs-Protestler, Steuerprotestler, Tier- und Umweltschutzaktivisten, warum nicht auch "Whistleblower"?

    Preisfrage: Was unterscheidet die USA noch von einer Diktatur? Mein Tipp: Die perfidere Propaganda.