London Calling
: Die Barclay-Bande

taz-Medienredakteur Steffen Grimberg arbeitet im Rahmen eines Journalistenaustauschs zurzeit bei der britischen Tageszeitung „The Independent“ in London. In seiner wöchentlichen Kolumne schreibt er über die lieben britischen Kollegen

Um die Halbwertszeit britischer ChefredakteurInenn ist es derzeit alles andere als gut bestellt: Vor knapp drei Wochen nahm Andrew Gowers bei der Financial Times seinen nicht ganz freiwilligen Abschied (siehe taz vom 5. 11.) und rächte sich mit einem Gastbeitrag für den Evening Standard, in dem er der Zeitung als Medium an sich den drohenden Untergang prophezeite. Und pünktlich zum folgenden Wochenende schmiss dann Daily Telegraph-Chefredakteur Martin Newland hin. Ihm hatte sein Verlag vor ein paar Wochen einen Editor-in-Chief vor die Nase gesetzt: Einen Oberchefredakteur für alle Titel der Zeitungsgruppe, ohne dass er ein Wörtchen hätte mitreden können.

Den Tories ihr Neuer

Nun handelt es sich beim Daily Telegraph nicht um irgendeine Zeitung. Das Blatt ist mit über 900.000 Exemplaren täglich die größte britische Qualitätszeitung und galt lange als Gral allen Konservativen. Seine Auflage ist mit Abstand höher als die von Times, Guardian und Independent – und so groß wie die von Süddeutscher, FAZ und taz zusammen. Bis vor wenigen Jahren verkaufte sich der „Torygraph“ sogar noch mehr als eine Million Mal.

Und selbst wenn diese alte Herrlichkeit vorbei ist, hat er sich in Sachen Masse und Einfluss deutlich besser gehalten als die weiterhin schwache konservative Partei, die sich gerade einer selbst zerfleischenden Personalie hingibt: Man sucht mal wieder einen neuen Parteichef. Newland, da sind sich die britischen Kommentatoren einig, habe im Blatt für den jungen Herausforderer David Cameron eintreten wollen. Doch hohe Tiere in Vorstand und Verlag wollten keine Festlegung auf einen Kandidaten – und drückten ihre Linie durch. Ein Sündenfall für den britischen Journalismus, der bisher an der Trennung zwischen Redaktion und Verlagsmanagement so eisern festhält wie zwischen Bericht und Kommentar. So etwas kannte man bisher höchstens von den Murdoch-Medien.

Eine Familienaffäre

Nun heißen die Eigentümer des Telegraph seit knapp zwei Jahren Barclay. Die Zwillingsbrüder David und Frederick, denen auch diverse Regionalzeitungen gehören, halten sich nach eigenem Bekunden zwar aus allen redaktionellen Angelegenheit heraus. Doch Davids Sohn Aidan, der für Vater und Onkel den Laden managt, scheint aus einem anderen Holz geschnitzt zu sein und soll als Drahtzieher in Sachen Cameron fungiert haben.

Als das Blatt 2003 zum Verkauf stand, hatte übrigens noch eine Verlagsgruppe mitgeboten: die Axel Springer AG. Ob es Newland unter deutscher Führung besser ergangen wäre? Wohl kaum: „Gesamtverantwortliche Chefredakteure“ mit Zuständigkeit für mehrere Titel kennt man bei Springer auch. Und auch das Verhalten des Verlagsvorstands soll nicht immer ganz den britischen Spielregeln von der klaren Trennung zwischen redaktioneller Verantwortung und schnödem Verlagsmanagement entsprechen. STEFFEN GRIMBERG