Alles Alpenpropaganda?

Österreich soll Deutschland wirtschaftlich abgehängt haben, das kleine Land dem großen überlegen sein. Was ist dran an diesem Gerücht? Nun, es stimmt. Umso mehr lohnt ein Blick auf die Gründe

von ROBERT MISIK

Karl-Heinz Grasser, der österreichische Finanzminister, hat zurzeit einen prima Lauf. Es ist erst drei Jahre her, da hat er seinem politischen Ziehvater, dem Populistenführer Jörg Haider, den Laufpass gegeben und sich in die Reihen der konservativen Volkspartei geflüchtet. Dann hat er seine bisherige Lebensgefährtin, eine nette Wirtschaftsstudentin, gegen eine schicke Millionärserbin mit hohem Glamourfaktor getauscht und – schupps! – geheiratet. Und jetzt ist er auch noch im Olymp seiner Träume angelangt: Er war bei Sabine Christiansen eingeladen. Da erzählte er, eloquent, wie er ist, vor allem eines: Österreich hui, Deutschland pfui. Man kann das, leicht variiert, regelmäßig auch in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen lesen: „Österreich ist das bessere Deutschland“, hat im Frühjahr beispielsweise das Manager-Magazin getitelt, worauf der Stern, immer originell, eine Story über Österreich brachte. Titel: „Das bessere Deutschland“.

Ungeachtet der vernachlässigbaren Petitesse, dass Österreich nicht Deutschland ist und damit auch kein besseres sein kann, steht die Frage trotzdem im Raum: Ist da was dran? Und, wenn ja: Ist das das Verdienst der Regierung?

Österreich steht tatsächlich wirtschaftlich besser da als Deutschland. Die Wirtschaft wächst mit rund zwei Prozent, die Arbeitslosenquote liegt unter fünf Prozent, das Budgetdefizit rangiert im grünen Bereich von rund zwei Prozent.

Die Österreicher freut das immens, und zwar weniger, weil es ihnen gut geht. Noch mehr freut sie, dass es ihnen besser geht als den Deutschen. Die Österreicher haben nämlich einen chronischen Minderwertigkeitskomplex den Deutschen gegenüber und die Kränkung nie wirklich verwunden, dass ihr Land zu Zeiten des Wirtschaftswunders den Westdeutschen als billiges Urlaubsziel galt, in das diese einfielen wie die reichen Onkels. Aus dieser Zeit stammt auch der populäre Witz: „Ein Wirtschaftswunder hat es nur in Österreich gegeben – die Deutschen haben ja wirklich gearbeitet.“ Darum reagieren die Austros jetzt mit Schadenfreude auf die deutsche Misere und mit Genugtuung über den eigenen Fortschritt.

Nun unterscheidet sich Österreich natürlich in ein paar Kleinigkeiten von Deutschland, was den Vergleich ein wenig erschwert. Erstens hat es keine ökonomische Brachzone wie Neufünfland zu alimentieren, zweitens ist Österreich extrem klein. Und in einem kleinen Land spielt die Binnenökonomie eine grundsätzlich andere Rolle als in einem großen Land – so hat beispielsweise eine mangelnde Inlandsnachfrage bei gleichzeitigem Exportboom auf einen kleinen Staat weit weniger negative Auswirkungen als auf einen großen. Zum anderen beschritt Österreich seit den Siebzigerjahren einen keynesianischen Sonderweg, was dazu führte, dass die gegenwärtige Regierung gute ökonomische Eckdaten erbte. Tatsächlich hat sie einiges von diesem Erbe bereits verspielt: In den fünf Jahren ihrer bisherigen Amtszeit wuchs die Arbeitslosigkeit schneller als in der Mehrheit der anderen Euro-Länder. Auch in Sachen Wirtschaftswachstum fiel Österreich unter der gegenwärtigen Regierung im EU- Vergleich zurück.

Dass es nicht schlimmer kam, ist der Tatsache geschuldet, dass Österreich eben keinen neoliberalen Kurs fuhr. Zwar hieß es in den Sonntagsreden der Regierung immer: „Weniger Staat, mehr privat“, doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Die Steuer- und Abgabenquote wuchs und liegt noch deutlich über der, die Deutschland mit erhöhter Mehrwert-, Reichen- und sonstigen Steuern erreichen wird. Das hat natürlich Auswirkungen: Die öffentlichen Haushalte sind nicht derart angespannt, Investitionen, die Wachstum schaffen und die soziale Wohlfahrt garantieren, blieben finanzierbar.

Der wesentliche Systemvorteil, den Österreich genießt, ist aber folgender: Während in Deutschland praktisch das gesamte Sozialsystem über Sozialabgaben auf Löhne und Gehälter finanziert wird (inklusive des Großteils der Mittel für den Aufbau Ost), praktiziert Österreich eine Mischform. Steuerfinanzierung und Elemente einer allgemeinen Bürgerversicherung, etwa im Gesundheitssystem, spielen ebenso eine Rolle, was die Schaffung von Arbeitsplätzen verbilligt.

Das Beispiel Österreich lehrt: Gesellschaften, die sich einen gut ausgebauten Wohlfahrtsstaat leisten, haben nicht grundsätzlich ein Wettbewerbsproblem – sondern nur dann, wenn sie die Finanzierung auf eine Weise organisieren, die Arbeit massiv verteuert.