Ein schneller Abzug der US-Soldaten schadet Iraks Bevölkerung
: Keine Alternative in Sicht

Immer lauter wird in den USA über einen baldigen Abzug der Truppen aus dem Irak nachgedacht – jetzt haben Außenministerin Condoleezza Rice und Generalstabschef Peter Pace angekündigt, im kommenden Jahr eine bedeutende Zahl von Soldaten zurückholen zu wollen. Mit der Entwicklung im Irak hat das nichts zu tun: Der Oktober war erneut einer der blutigsten Monate seit dem US-Einmarsch. Wohl aber mit der US-Innenpolitik, wo insbesondere die Republikaner besorgt auf Signale des Fortschritts im Irak vor den Kongresswahlen im November kommenden Jahres drängen: Die Zahl der im Irak getöteten US-Soldaten darf nicht weiter so steigen.

Dabei braucht niemand zu erwarten, dass sich die USA in absehbarer Zeit ganz aus dem Irak zurückziehen könnten. Zwei strategische Ziele, die schon für den Einmarsch entscheidend waren, begründen die dauerhafte Präsenz von US-Truppen: Interventionsfähigkeit, auch militärische, in der Region, verbunden mit einer Verlagerung der US-Militärpräsenz aus Saudi-Arabien nach Irak, und zweitens die Sicherung des Zugangs zu den Ölfeldern. Beides aber sind Ziele, die der irakischen Bevölkerung eher schaden als nutzen.

Die Aufgaben, die die US-Armee derzeit wahrnimmt und die für den Aufbau eines neuen politischen Systems mit einer gewählten Regierung notwendig sind, fielen bei einem signifikanten US-Abzug unter den Tisch. Und: Wer die eigenen Interessen schützen, aber weniger Soldaten verlieren will, wird sich wieder stärker auf die Luftwaffe verlassen – das geht auf Kosten der Zivilisten. Ein irakisches Militär, das sowohl militärisch ausreichend ausgebildet und ausgestattet als auch einer gewählten Regierung gegenüber loyal genug wäre, ist trotz aller Erfolgsmeldungen über angebliche Fortschritte nicht in Sicht.

Tatsächlich, und das ist kein Grund zur Freude, sind etliche der Befürchtungen eingetreten, die Kriegsgegner vor dem März 2003 vorgebracht hatten. Absurderweise sprechen die gleichen Argumente jetzt, da sich in den USA – zu spät! – die Stimmung gegen den Krieg gewendet hat, eher dafür, die US-Truppen vorerst in ihrer derzeitigen Stärke im Land zu lassen. BERND PICKERT