: Schweinezyklus
aus Berlin ULRIKE HERRMANN
Es sind widersprüchliche Meldungen: In Nordrhein-Westfalen durchsuchen die Behörden inzwischen hunderte von Kühlhäusern, ob sich dort verdorbenes Fleisch verbergen könnte. Und in Niedersachsen wurden gestern weitere 30 Tonnen „Gammelfleisch“ gefunden – insgesamt sind es nun schon 200 Tonnen.
Trotzdem scheint den Deutschen der Appetit noch nicht zu vergehen. Das Statistische Bundesamt meldete gestern, dass die Fleischproduktion angestiegen ist. 4,9 Prozent mehr Fleisch haben die deutschen Bauern im letzten Jahr erzeugt. Der deutsche Konsument wirkt erstaunlich robust.
Aber so einfach sind die Zusammenhänge nicht. Auch wenn die Fleischmengen steigen – sie lassen sich noch lange nicht verkaufen. Der Pro-Kopf-Verbrauch stagniert. 2004 aßen die Deutschen 90,7 Kilo Fleisch, 2003 waren es 90,8 Kilo. Besser war es nur vor der BSE-Angst: 1999 verzehrten die Deutschen jährlich 94,1 Kilo an Braten, Hack und Würsten. Die Spuren der jetzigen Skandale sind statistisch noch nicht erfasst.
Steigende Produktion, bei nur konstantem Verbrauch: Die deutsche Fleischwirtschaft hat Probleme, ihre Erzeugnisse loszuwerden. Auch weltweit und in der EU ist zu viel Fleisch auf dem Markt. Der Preiskampf ist also mörderisch.
Bleibt ein Rätsel: Wenn frisches Fleisch sowieso schon so billig ist – wieso besteht noch ein Anreiz, „genussuntaugliche“ Stücke in Umlauf bringen?
Eine Antwort: Der berühmte „Schweinezyklus“ gilt – nicht überraschend – auch für die Fleischindustrie. Immer wieder kommt es zu „Friktionen“, sagt Eckehard Niemann, Marktexperte bei der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“. Damit ist gemeint: Auch in einem übersättigten Markt schwanken die Preise, weil es zu kurzfristigen Lieferengpässen kommt. Darauf spekulieren viele Fleischhändler. „Dann wird in den Kühlhäusern eingefroren“, sagt Bernhard Schlindwein vom westfälischen Bauernverband, „und gewartet, bis die Preise wieder stimmen.“ Nicht selten müssen die Händler allerdings länger warten, als das Haltbarkeitsdatum erlaubt, bis die Fleischkurse nach oben gehen. Da ist die Versuchung groß, einfach umzuetikettieren.
Nächste Antwort: Der Schummel findet statt, weil er so einfach ist. Ein besonderes Problem sind die Schlachtabfälle. 14 Millionen Tonnen sollen davon durch die EU mäandern. Allein in Deutschland fallen etwa 2,5 Millionen Tonnen jährlich an. „Und diese Schlachtabfälle sind frei handelbar, ohne Begleitbrief, nur mit einem normalen Lieferschein!“, ärgert sich Foodwatch-Vize Matthias Wolfschmidt. Der Verbleib dieser Reste ist nicht zu kontrollieren.
Fragt sich nur, wer sind die Täter? Schlindwein vom Bauernverband vermutet „irgendwelche Dealer“, denn es gebe eine „unendliche Zahl von Fleischhändlern“. Wolfschmidt von Foodwatch kontert bitter, „das ist immer die gleiche Mär von den Einzeltätern“.
Foodwatch fordert Strafen, die abschrecken – nämlich Bußgelder, die nach Umsatz gestaffelt sind. „Es muss die Unternehmen richtig Geld kosten.“ Bisher sind im Gesetz nur Haftstrafen vorgesehen – die Hackfleischverordnung droht maximale fünf Jahre an. Das klingt drakonisch, ist aber wirkungslos. Denn das Strafrecht darf nur auf natürliche Personen und nicht auf Firmen angewendet werden. Außerdem ist die Beweisführung mühsam: Es muss nachgewiesen werden, dass Konsumenten konkret zu Schaden kamen.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten wiederum fordert einen „Schutz für Informanten“. Denn meist wüssten die Angestellten von den Machenschaften ihrer Chefs. Aber sie hätten Angst vor einer Entlassung – „weil sie dann bundesweit keine Arbeit mehr finden, das spricht sich in der Branche rum“.