Montagsinterview mit Gewerkschafter Peter Schrott: "Manchmal muss man eben auch Ärger machen"
Kaum eine Demonstration in Berlin, auf der Peter Schrott nicht seine Ver.di-Fahne hochhält. Seit 51 Jahren ist er Gewerkschafter - als steter Verbindungsmann zur linken Szene und den sozialen Bewegungen.
taz: Herr Schrott, können Sie noch zählen, wie viele Demonstrationen Sie in Ihrem Leben angemeldet haben?
Peter Schrott: Nö, keine Ahnung! Das ging ja schon in den 60ern los, mit den Friedensdemos gegen den Vietnamkrieg. Später kamen die Ostermärsche dazu, die Westberliner Liebknecht-Luxemburg-Ehrung, Demos gegen Nazi-Aufmärsche oder gegen soziale Missstände wie Hartz IV. Fragen Sie doch mal beim Verfassungsschutz nach.
Sie werden dort erfasst?
Peter Schrott wurde am 20. Juli 1944 in Neukölln geboren. Sein Vater war Ofensetzer, seine Mutter Löterin. Schrotts eigene Berufskarriere ist kunterbunt: Maurer, Schrift- und Maschinensetzer, Abteilungsleiter in der Zeitungsherstellung, Dozent und Nachhilfelehrer für Mathe, Sozialkunde und technisches Zeichnen. Seit seinem 60. Lebensjahr ist Schrott Rentner.
Seine Gewerkschaftskarriere beginnt 1960 mit dem Eintritt in die IG BAU. Später wandert er durch die IG Druck und Papier und die IG Medien. Seit 1999 ist Schrott
bei Ver.di, war jahrelang stellvertretender Vorsitzender in Berlin. Heute ist er Vorsitzender der Senioren im Fachbereich "Medien, Kunst, Industrie" und in der Ortsgruppe Neukölln. Seine Selbstbeschreibung: "ehrenamtlicher Hauptamtlicher".
Bis 1989 war Schrott auch Mitglied in der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW), seitdem ist er "glücklich parteilos. Weil ich nach jeder Seite austeilen kann", so Schrott.
Schrott ist seit 1964 verheiratet, Vater zweier Söhne und wohnt bis heute in Neukölln - im gleichen Rixdorfer Mietshaus, in dem er auch geboren wurde.
Aber ja. 1989 habe ich mal meine Akte einsehen dürfen. Da waren vier Fünftel geschwärzt, trotzdem tauchten Demos auf, an die ich mich gar nicht mehr erinnern konnte. Und 2006 wurde ja bekannt, dass das Berliner Sozialforum, an dem ich für Ver.di beteiligt bin, vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Seitdem klagen einige von uns gegen das Land, dass vollständig offengelegt wird, warum überhaupt und was alles gesammelt wurde.
Sie waren lange Zeit Friedens- und Antifa-Aktivist, sind seit 51 Jahren - seit Ihrem 15. Lebensjahr - ehrenamtlicher Gewerkschafter. Für welche Seite schlägt Ihr Herz mehr?
Ich bin Gewerkschafter, der im Interesse der arbeitenden Menschen Bündnisse schmiedet, vor allem mit den sozialen Bewegungen. Gewerkschaft sollte ja nicht bei Gehaltsforderungen und Manteltarifverträgen aufhören. Es gilt weiterhin der Spruch: Einen Finger kann man brechen, eine ganze Faust nicht. Alleine kann man nichts erreichen, auch nicht als Gewerkschaft.
Wann haben Sie begonnen, Ihre Bündnisse mit den Bewegungen zu knüpfen?
Da war ich noch in der IG Druck und Papier. Ende der 70er, mit dem Nato-Doppelbeschluss, muss das gewesen sein. Ich war stark in der Friedensbewegung aktiv und habe mich mit dafür eingesetzt, dass in den Gewerkschaften Friedens-AGs gegründet werden. Dann kam 1988 die Tagung von IWF und Weltbank in Berlin - da musste ja auch was gegen unternommen werden. Das war meine erste Kontaktaufnahme mit Bündnissen, die über die Friedensbewegungen hinausging. Ab dann kamen auch die Schienen Dritte Welt, Soziales und Antifaschismus dazu.
Sie sind gelernter Maurer, organisieren bodenständige Arbeiterpolitik - die linke Szene diskutiert gerne auch abgehoben über Marx. Gab es da keine Verständigungsprobleme?
Nein. Von meinem Lebenslauf her war ich immer für andere Einflüsse offen, habe mich fortwährend weitergebildet. Und früher in der Gewerkschaftsjugend hatten wir ja auch noch Kapital-Seminare, in der wir uns Theorie aneignen konnten. Das hatte den Vorteil, dass ein Bewusstsein geschaffen wurde, um zu erkennen, woher Probleme rühren. Heute dagegen werden gesellschaftliche Auseinandersetzungen sehr oft aus dem Bauch heraus und nicht mit dem Kopf beantwortet.
Aktuell sind einige soziale Bewegungen von den Gewerkschaften enttäuscht, weil die im letzten Jahr einen "heißen Herbst" gegen Sozialkürzungen ankündigt hatten, dann aber wenig folgen ließen.
Die Gewerkschaften haben zu lange auf Sozialpartnerschaft und das alleinige Bündnis mit der SPD gesetzt. Man kann nicht erwarten, dass sie sich nun urplötzlich wieder an Marx halten und die Unternehmer als Gegner bekämpfen. Natürlich wollen viele soziale Gruppen gerne, dass wir den Generalstreik ausrufen, aber wir müssen die Realitäten sehen. Da ist die Kraft noch nicht wieder da. Warum fordern Gewerkschaften denn einen gesetzlichen Mindestlohn? Weil sie nicht mehr in der Lage sind, das selber flächendeckend in Tarifverhandlungen durchzusetzen. Wir müssen erst zu alter Stärke zurückfinden.
Wie wollen Sie das hinbekommen? Der Trend geht ja eher in Richtung massiver Mitgliederverlust.
Wir müssen weiterhin versuchen, Menschen für Gewerkschaften zu begeistern. Je mehr Menschen wir vertreten, desto stärker können wir wieder Druck ausüben. Das heißt auch, ohne Hemmungen an die jungen Leute ranzugehen. Und die organisieren sich nun mal links. Auch deshalb mache ich die Demos und Warnstreiks mit, verhindere, dass die Polizei nicht in die Demos reingeht und auf die Leute eindrischt. Man muss den jungen Leuten Engagement vorleben, damit sie sehen: Hey, die Gewerkschaften sind interessant, da kann ich ja auch mitmachen.
Das klingt nach Zusammenarbeit als Mittel zum Zweck …
Nein, überhaupt nicht. Es geht darum, zusammen Stärke zu entwickeln. Und das in allen gesellschaftlichen Bereichen. Da müssen sich die Gewerkschaften noch mehr öffnen und endlich wieder kämpferischer werden.
Was können Gewerkschaften von den sozialen Bewegungen lernen?
Soziale Bewegungen können eher bestimmte Grenzen überschreiten und zivilen Ungehorsam ausüben. Das trauen sich die Gewerkschaften heutzutage oft nicht, da sind wir weder Fisch noch Fleisch. Manche haben ja schon Muffensausen, bestimmte Demo-Aufrufe zu unterschreiben. Mit einem Schmusekurs wird man aber nichts erreichen, nicht in Tarifverhandlungen und nicht in der Veränderung der Gesellschaft. Das muss auch bei den leitenden Personen in den Gewerkschaften sacken.
Würde nicht mehr Radikalität auch Leute abschrecken?
Das glaube ich nicht. Manchmal muss man eben auch Ärger machen. Als die europäischen Hafenarbeiter 2003 und 2006 gestreikt haben, gingen in Brüssel und Straßburg auch ein paar Scheiben kaputt. Die Polizei hatte da wenig Chancen, weil die Arbeiter vereint und stark waren. Und ihre Botschaft war danach in aller Öffentlichkeit präsent.
Sie selbst scheuen die Zusammenarbeit mit Autonomen nicht, pflegen freundschaftliche Kontakte. Wie kommt das bei Ihren Ver.di-Kollegen an?
Ich hatte immer das Glück, als Bündnisverantwortlicher mit den sogenannten Unanständigen zusammenzuarbeiten. Da wird ja auf Demos gerne getrennt: Hier die Anständigen und Großkopfigen, da die bösen Antifas. Mein Ziel war es immer, diese Trennung aufzuheben. Im Antifa-Bereich ist mir das ganz gut gelungen. Obwohl ich noch oft gesagt bekomme, dass wir etwa nicht mit der ALB, der Antifaschistischen Linken Berlin, zusammenarbeiten sollen. Das seien ja die Schlimmen.
Und was antworten Sie dann?
Ich habe Leute von der ALB letztes Jahr zu uns in die Bezirksgeschäftsführung und ins Präsidium eingeladen, um zu zeigen, dass die ein ganz normaler Partner sind. Auch wenn die ALB manchmal dazu tendiert, etwas größenwahnsinnig zu werden. Es gibt auch andere wichtige Akteure im Antifa-Bereich.
Sie haben auch den Aufruf zu "Castor Schottern" unterzeichnet.
Ja! Das hat mir einen Brief von der Staatsanwaltschaft Lüneburg eingebracht. Den hab ich bis heute nicht beantwortet. Hab ich kein Interesse daran. Im Wendland war ich leider nicht, da lag ich schwer erkältet flach.
Wie weit gehen Sie in den Mitteln Ihres Protests?
Im Augenblick wüsste ich nicht, wo ich nicht mitmachen würde. Bei allem was zur Veränderung der Gesellschaft im Interesse der arbeitenden Menschen beitragen kann, bin ich voll dafür. Und "Castor Schottern" ist so ein Ansatz, weil die Atomindustrie nicht im Interesse der Arbeiterschaft handelt. Insofern muss man einfach mal deutlich sage: Jawohl, Schluss mit dem Scheiß!
Vertreten Sie damit eine Mehrheitsmeinung bei Ver.di?
Zumindest habe ich bei meinen Berliner Kollegen damit keine Probleme.
Und die Polizei, mit denen hatten Sie keinen Ärger?
Doch, doch. Während der Vietnamdemos saß ich auch mal in der Zwei-mal-drei-Meter-Kombüse der Polizei. Und bei einer 8.-Mai-Demo in den Neunzigern bin ich mal einer Polizeifaust im Wege gewesen. Ich musste ins Krankenhaus, da wurde ein bisschen genäht und dann bin ich zurück zur Demo, um die Sache als Anmelder zu Ende zu bringen.
Warum sind Sie überhaupt Gewerkschafter geworden - und nicht Straßenprotestler geblieben?
Das ist meinem Elternhaus geschuldet. Mein Opa und mein Vater waren beim Rotfrontkämpferbund, bei uns gehörte es einfach dazu, kämpferisch zu sein. Und mein Weg war eben die Gewerkschaft. Als mich die Maurer-Kollegen auf dem Bau dafür geworben haben, war ich sofort dabei.
Aber nicht jeder Gewerkschafter beteiligt sich ununterbrochen an Demos.
Man kann die Gesellschaft eben nur voranbringen, wenn man nicht nur etwas für sich macht, sondern sich für linke Positionen einsetzt.
Was heißt für Sie links?
Dass man für die arbeitenden Menschen etwas Positives erreicht. Dass die Bundesrepublik wieder sozialer wird. Wir müssen den Sozialstaat zurückholen, da ist in den letzten Jahren viel kaputtgegangen.
Streiten Sie auch für eine ganz andere Gesellschaftsform?
Also ich hätte, wenn man mal die aktuelle Diskussion nimmt, keine Probleme, "neue Wege" auszuprobieren. Warum denn nicht? Wenn man sieht, wie abgewirtschaftet der Kapitalismus ist, dann muss ja irgendwas danach kommen. Und ob das nun Sozialismus, demokratischer Sozialismus oder Kommunismus heißt, ist mir sowas von egal. Auf alle Fälle muss im Interesse der arbeitenden Menschen etwas Besseres herauskommen.
Was machen Sie eigentlich, wenn Sie keine Gewerkschaftsarbeit machen?
Oh, mhm, schwer zu sagen. (lange Pause) Irgendwie hat alles, was ich mache, mit Gewerkschaft zu tun. Das ist schon der Hauptinhalt meines Lebens. Ich war aber mal dreieinhalb Jahre in Afrika.
Was haben Sie da gemacht?
Ich bin auf einer Fahrt zu einer Antifa-Demo nach Frankfurt (Oder) über eine Anzeige vom Deutschen Entwicklungsdienst gestolpert. Dann hab ich den Familienrat gefragt und der hat mir gestattet, dort für ein paar Jahre runterzugehen. Erst sollte ich nach Togo, eine Druckerei aufbauen. Das hat nicht geklappt. Dann bin ich nach Kamerun und habe mich um Trinkwasserprojekte gekümmert.
Was haben Sie aus Afrika für sich mitgenommen?
Sehr viel. Wir lebten in einem afrikanischen Dorf, arbeiteten auf einem Bauplatz oder fuhren in die Dörfer. Bewohner kamen zu uns und haben uns gebeten, ob wir ihnen nicht Quellen einfassen oder Brunnen buddeln können. Mit der Schaufel, bis zu 30 Meter tief. Es erdet, wenn man nicht nur abgehoben in der Hauptstadt des Gastlandes sitzt und von oben herab auf die Menschen guckt. Dazu diese Gastfreundschaft. Ich kann jedem nur empfehlen, so etwas in seinem Leben zu tun.
Sie waren danach aber erst mal arbeitslos.
Ich stand dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, wie es so schön heißt, aber er wollte mich nicht mehr. Dann kam die Anfrage, ob ich nicht ehrenamtlich stellvertretender Vorsitzender beim Ver.di-Bezirk Berlin werden möchte. Da habe ich gerne kandidiert. Seitdem mache ich auch Erwerbslosenarbeit.
Viele Arbeitslose fühlen sich von den Gewerkschaften nicht vertreten. Ging es Ihnen anders?
Ganz deutlich: ja. Bei Ver.di gab es von Anfang an Erwerbslosengruppen und Beratungen. Ich selbst vertrat im Beirat des Jobcenters Charlottenburg-Wilmersdorf und in der Arbeitsagentur Nord den DGB und hab mich für dort die "Kunden" eingesetzt.
Trotzdem wünschen sich viele mehr Engagement der Gewerkschaften für Arbeitslose.
Allgemein habe ich auch den Eindruck, dass die Gewerkschaften in dem Feld zu wenig handeln und diese Gesellschaftsgruppe vielfach links liegen lassen. Nicht aus bösem Willen, sondern weil sie schlicht überfordert sind. Sehr häufig hört man dann, dass man mit dem "Stammgeschäft" schon genug zu tun hat. Ver.di nehme ich da aber ausdrücklich aus. Es wäre wünschenswert, wenn die anderen Gewerkschaften sich an unserer Erwerbslosenarbeit ein Beispiel nehmen würden.
Sie sind jetzt 66 Jahre: Wie alt muss Peter Schrott werden, damit er nicht mehr demonstrieren geht?
Keine Ahnung, noch bin ich nicht müde. Warum auch.
Aber bei Ver.di treten Sie jetzt kürzer?
Ja, was die Bündnisarbeit angeht. Im Herbst hab ich das an zwei Nachfolgerinnen abgegeben, auch wenn ich noch mal in der Arbeitsgruppe Bündnis gewählt wurde. Weg bin ich also nicht. Ich bin ja auch in die Ver.di-Seniorenarbeit eingestiegen. Ich will weiter mithelfen, dass wir in die eingeschlagene Richtung gehen.
Werden Sie also niemals aufhören mit Gewerkschaftsarbeit?
Ich glaube, ich mach das, bis ich den Löffel abgebe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“