Grippewelle im Norden: Lieber einmal öfter röntgen

Im Norden gibt es mehr Fälle von Atemwegserkrankungen wie etwa Lungenentzündungen, gerade unter Jüngeren. Ein Wegbereiter ist die Schweinegrippe.

Warten auf die Spritze: Grippevorsorge im Gesundheitsamt Hamburg-Altona Bild: dpa

HAMBURG taz - Seit Silvester war Stefan Kreuzberg (Name geändert) krank: eine Woche lang Fieber bis 40 Grad und Bronchitis, die sich nicht bessern wollte. Bis sein Arzt den Schüler aus Hamburg-Rahlstedt zum Röntgen schickte - und eine Lungenentzündung diagnostiziert wurde. Die dann gezielt verschriebenen Antibiotika halfen dem 15-Jährigen, bald wieder gesund zu werden.

In den folgenden zwei Wochen dann wurden aber drei weitere Menschen krank, mit denen er Kontakt gehabt hatte, unter anderem zwei Klassenkameraden, die ihm die Hausaufgaben vorbeigebracht hatten. Auch sie hatten zunächst nur Fieber und Husten, bis nach etwa zehn Tagen eine Lungenentzündung entdeckt wurde. Inzwischen sind alle drei wieder gesund, dafür sind andere Mitschüler krank, einer liegt mit Lungenentzündung im Krankenhaus.

"Den Leuten geht es in diesem Jahr viel schlechter als im letzten Jahr, als alle vor der Schweinegrippe warnten", sagt die Rahlstedter Allgemeinmedizinerin Kirsten Eckmann, die in der Nacht auch als Notärztin unterwegs ist. Gerade junge Patienten solle man in diesen Tagen lieber einmal öfter zum Röntgen schicken. Denn "auch wenn es beim Abhören nicht zu merken ist, ist es oft eine Lungenentzündung", so Eckmann. Anders als im vergangen Jahr, als Ärzte bei Verdacht auf Schweinegrippe Schutzmasken überziehen sollten und Arztpraxen Schnelltests anboten, gebe es in diesem Jahr keinerlei Handlungsanweisen etwa von der Gesundheitsbehörde oder der Kassenärztlichen Vereinigung.

"Einen Anstieg von Lungenentzündungen bemerken wir auch", sagt Professor Jan van Lunzen, Leiter der Infektionsabteilung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Dies sei für die Wintermonate "nicht unüblich". Es gebe aber auch gerade eine "kleine Welle" von Schweinegrippe-Infektionen, sagt van Lunzen. Diese "Neue Grippe" mit dem Erreger A (H1N1) 2009 sei ein "Wegbereiter" für die Lungenentzündung: "Er verursacht eine Entzündung des Bronchialsystems und lähmt die Selbstabwehrkräfte der Lunge." Daraufhin nisteten sich dort dann schnell Bakterien ein. Obendrein könnten auch die Erreger der Neuen Grippe selbst Lungenentzündung hervorrufen.

In der Infektionsambulanz des UKE würden derzeit viele Abstriche genommen. "In der Mehrheit der Grippefälle ist es die Neue Grippe", sagt van Lunzen. Auf der UKE-Intensivstation gebe es derzeit zehn schwerere Fälle von Schweinegrippe. "Man sollte keine Panik verbreiten", aber die Neue Grippe auch nicht "auf die leichte Schulter nehmen", sagt der Mediziner. Eine Schutzimpfung lohne sich aus seiner Sicht auch jetzt noch.

Ob es stimmt, dass es in Hamburg zur Zeit viele Lungenentzündungen gibt, kann die örtliche Gesundheitsbehörde nicht sagen. "Es gibt keine Zahlen, weil Pneumonie nicht Meldepflichtig ist", sagt Sprecher Rico Schmidt. Auch über zur Ausbreitung der Schweinegrippe gibt es keine lokalen Daten. Im Vorjahr hatte die Weltgesundheitsorganisation noch eine Pandemie-Warnung ausgesprochen. Weil die inzwischen aufgehoben ist, gibt es auch keine Tests und flächendeckenden Zählungen. Das Hamburger Abendblatt berichtete am Donnerstag von 700 Fällen, die seit Jahresbeginn nachgewiesen worden seien. Doch die Zahl der Betroffenen ist erheblich höher (siehe Kasten).

Zahlen über die bundesweite Verbreitung liefert der "Influenza Wochenbericht" des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI). Es nimmt Meldungen von rund 800 Praxen über Atemwegserkrankungen entgegen und wertet Proben aus, die von einem Netz von 150 Praxen eingeschickt werden. Das Ergebnis der 4. Kalenderwoche passt zu den Beobachtungen von Eckmann und van Lunzen: Demnach ist die Zahl der Atemwegserkrankungen in der Großregion Norden "moderat erhöht". In den anderen Regionen - Süden, Mitte und Osten - war sie da noch "geringfügig erhöht". Erst im nun vorliegenden Bericht für Kalenderwoche 5 zogen auch diese Regionen nach. Der Anstieg sei "hauptsächlich durch eine erhöhte Krankheitslast in der Altersgruppe der Klein- und Schulkinder verursacht", schreibt das RKI. Die meisten Influenza-Viren wies man in Proben von Schulkindern nach: In dieser Gruppe liegt die Trefferquote bei 77 Prozent. Bei allen Altersgruppen gilt: In vier von fünf Fällen handelt es sich bei den Grippeviren um den Typ A (H1N1) 2009.

Dass die Verdachtsfälle von Schweinegrippe nicht mehr getestet werden, habe der "Gemeinsame Bundesausschuss" ein Gremium von Krankenkassen, Politik, Patienten und Ärzten, beschlossen, sagt Barbara Heidenreich, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH). "Grippe ist so eindeutig, das kann jeder Arzt diagnostizieren." Auch sei der Schnelltest vom Vorjahr unzuverlässig gewesen. "Man muss der Schweinegrippe nicht so ein großes Gewicht geben, sondern sie behandeln wie normale Grippe", sagt Heidenreich - daran seien mehr Menschen gestorben.

Allerdings ergab eine Umfrage des RKI unter 380 Kinderkliniken, dass dort von August 2009 bis April 2010 während der Pandemie 15 Kinder und Jugendlichen mit laborbestätigten Influenzainfektionen verstarben. In denselben Kliniken wurden zwischen 2005 und 2008 nur zwei Todesfälle registriert. Dreiviertel der gestorbenen Kinder hatten chronische Vorerkrankungen. Für diese Gruppe empfiehlt das RKI dringend eine Impfung.

Diese ist in diesem Jahr keine Extra-Impfung, sondern in der normalen Grippeimpfung enthalten. Ob der Schüler Stefan Kreuzberg aus Hamburg-Rahlstedt die Neue Grippe hatte und sich deshalb so viele bei ihm ansteckten? Seine Großmutter zumindest, die ihn auch besuchte, hatte sich im Herbst impfen lassen - und kam jetzt mit einer leichten Bronchitis davon.

Unterdessen kann die Ärztin Kirsten Eckmann in ihrer Gemeinschaftspraxis etwas aufatmen. "Seit Dienstag ist es nicht mehr so schlimm", sagt sie. Zwar kämen immer noch viele, "aber die sind nicht mehr so krank".

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