Finanzkrisenfilm "Margin Call": Hauptrolle für toxische Kredite
Rhetoriken der Macht: Der Finanzkrisenfilm "Margin Call" von J. C. Chandor hat glänzende Schauspieler, hält sich aber sklavisch an die Regeln des Erzählkinos (Wettbewerb).
BERLIN taz | Mittlerweile gibt es einige Spielfilme, die sich mit der Finanzkrise befassen. Oliver Stones "Wall Street - Money Never Sleeps" etwa nimmt die Krise des Geldes zum Hintergrund, um von der Krise einer Familie zu erzählen. Auch Christoph Hochhäuslers "Unter dir die Stadt", der im März in Deutschland anläuft, zielt auf der Ebene der Plots auf Privates; in den Bildern freilich geht dieser Film weiter, indem er immer wieder gläserne, aber nur scheinbar transparente, spiegelnde Oberflächen fokussiert und damit das Moment der Täuschungen aufscheinen lässt, dessentwegen die Krise überhaupt möglich wurde: die Täuschung, dass Geringverdiener hohe Kredite abbezahlen könnten, die Täuschung, dass Hypotheken doppelt so viel decken, wie das Haus wert ist, auf das sie gewährt wurden, die Täuschung, dass sich solche Kredite immer weiter verschieben lassen.
Mit "Margin Call" hat der Drehbuchautor und Regiedebütant J. C. Chandor nun einen weiteren Film zum Thema gemacht. Seine Inszenierung ist klassisch, sie konzentriert sich auf einen Zeitraum von 36 Stunden unmittelbar vor dem Crash im September 2008. In einem New Yorker Investment-Unternehmen ist ein junger Broker einer vernichtenden Entdeckung auf der Spur. Das Unternehmen, rechnet er aus, hat so viele toxische Kredite angesammelt, dass seine Existenz auf dem Spiel steht.
Auf diese Entdeckung folgt eine lange, nächtliche Krisensitzung. Selten verlässt der Film das Bürohochhaus an der Wall Street. Wenn der Blick aus den Fenstern fällt, sieht man, dass die Stadt weit unten liegt; die Broker handeln also, als seien sie losgelöst von ihr. Chandor legt viel Wert darauf, die Verhandlungen so zu inszenieren, dass die Rhetoriken der Macht zum Vorschein kommen. Die Geldgier, die Hierarchien, der Ehrgeiz und die Konkurrenz werden so plastisch, dass "Margin Call" sich auch als Analyse der Unternehmenskultur im Spätkapitalismus lesen lässt.
Die Schauspieler - allen voran Jeremy Irons als Vorstandsvorsitzender - machen ihre Sache gut, trotzdem bleibt ein Unbehagen: Warum muss sich ein Spielfilm zur Finanzkrise so sklavisch an die Regeln des Erzählkinos halten? Warum zum Beispiel muss er unter seinen Figuren Sympathieträger etablieren, obwohl das ganze System marode ist?
Wenn etwa der Abteilungsleiter Sam Rogers (Kevin Spacey) seine Hündin Ella einschläfern lassen muss, dann ist das eines jener menschelnden Details, die für die Dramaturgie, nicht aber für die Erklärung der Krise nötig sind. Es fällt offenbar sehr schwer, den Fantasieraum in andere Richtungen zu erweitern. Wie wärs mit einem Spielfilm, in dem nicht Menschen, sondern toxische Kredite die Hauptrolle spielen?
12. 2., 12 und 23 Uhr, Friedrichstadtpalast; 20 Uhr, Urania; 20. 2., 22.30 Uhr, Friedrichstadtpalast
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