„Wir sind keine Menschen zweiter Klasse“

Der Bochumer Obdachlose Hans-Heinrich Schmadtke will nicht mehr wie Dreck behandelt werden. Im taz-Gespräch spricht er über Polizeischikane, schlechte Wohnheime und erklärt, warum der Protest von Nichtsesshaften so wichtig ist

taz: Es kommt selten vor, dass Obdachlose für ihre Rechte kämpfen. Ist das Leben auf der Straßer rauer geworden?

Hans-Heinrich Schmadtke: Ja, es wird immer schlimmer. Die Stadt Bochum will Ordnung schaffen. Ordnung schafft man bei Sachen. Aber wir sind doch keine Sachen!

Wie schafft die Stadt Ordnung?

Vor dem Bahnhof in Bochum gibt es Sitzgelegenheiten. Wenn wir uns dort aufhalten, werden wir von der Polizei in ein Auto gepackt und an den Stadtrand gekarrt – das manchmal mitten in der Nacht, wo wir keine Möglichkeiten haben, zurückzukommen.

Sind das neue Methoden?

Ich weiß es nicht. Da ich lange im Ausland gelebt habe, schockiert mich das aber besonders, wie man hier mit den Obdachlosen umgeht. Wenn wir in der Öffentlichkeit pinkeln, müssen wir Strafe zahlen. Dabei gibt es kaum öffentliche Toiletten, viele sind nachts geschlossen. Außerdem kosten sie Geld. Ich selbst trinke nicht. Aber diejenigen, die viel trinken, müssen einfach oft aufs Klo. Wohnungslose kriegen auch Ärger, wenn sie in der Öffentlichkeit trinken.

Aber im Ruhrgebiet gehört es doch zum Straßenbild, dass die Bürger mit einem Bier in der Hand herumlaufen, wie etwa bei Fußballspielen.

Wir werden eben anders behandelt. Auch von der Bevölkerung. Viele Leute schauen uns verächtlich an. Oft werden wir vor allem von Jugendlichen beschimpft. Wir sind aber keine Menschen zweiter Klasse.

Die Zahl der Wohnungslosen ist gesunken. Gleichzeitig steigt aber der Anteil derjenigen, die Platte machen. Wie erklären Sie sich das?

Die Atmosphäre in den Obdachlosen-Wohnheimen ist oft aggressiv, viele bestehlen sich gegenseitig. Ich lebe zwar selbst im Moment in einem Männer-Wohnheim, aber ich will da schnell raus. Für 40 Menschen stehen nur zwei Mitarbeiter zur Verfügung. Es schlafen mehrere Leute in einem Raum. Wir müssen früh dort raus und dürfen erst abends wieder rein. Ich verstehe, dass es viele gibt, die das Leben auf der Straße vorziehen. Ich bin es auch gewohnt, mein eigenes Ding zu machen. Im Heim streiten wir uns um das Fernsehprogramm, da fliegen dann schon mal die Stühle.

Die Demonstranten fordern auch die Möglichkeit, in leerstehende Häuser zu ziehen und die zu renovieren.

Das wäre eine gute Sache. Mir fallen in Bochum auf Anhieb drei Häuser ein, die dafür geeignet wären. In den Niederlanden ist das erlaubt, hier werden diese Häuser gleich geräumt.

In einem Bochumer Vorort ist vergangene Woche ein Obdachloser auf offener Straße erschlagen worden. Macht Ihnen das Angst?

Natürlich habe ich Angst. Ich kannte den Toten nur vom Sehen. Aber das kann jedem von uns zustoßen.

Wie ist das passiert? Die Polizei tappt noch im Dunkeln.

Ich glaube nicht, dass jemand ihn umgebracht hat, der Obdachlosen hasst. Ich kann mir vorstellen, dass ihn ein Säufer oder ein Junkie an den Ort gelockt und ihn dann erschlagen hat.

Sie sagten, im Ausland würden Obdachlose besser behandelt?

Meine letzte Station war Griechenland. Dort habe ich mit Flötespielen mein Geld verdient und zuletzt in einem Wohnwagen in einer besseren Gegend von Patras gewohnt. Ich bin nur nach Deutschland zurückgekommen, weil ich krank bin. Der Bürgermeister von Patras kommt zurzeit für das Futter für meine Hunde und meine Katze auf. Die gehen dort anders mit einem um. Sie wissen gar nicht wie viel Freude ich den Menschen mit meinem Flötespiel bereitet habe. Damit habe ich übrigens mehr verdient als mit ALG II.

Sie erhalten Arbeitslosengeld II, werden also als arbeitsfähig eingestuft?

Ja, das ist ja auch gut so. Ich will auch arbeiten. Irgendwas. Ich bin es gewohnt, mein eigenes Geld zu verdienen. Ich brauch nicht viel, kauf alles bei Aldi, gehe nie in eine Kneipe.

Wo wollen Sie in fünf Jahren sein?

Auf jeden Fall in Griechenland. Sobald ich wieder gesund bin, möchte ich nach Patras zurück, zu meinen Hunden und meiner Katze.

Dann könnte Ihnen die Demonstration egal sein?

Nein, es wurde zwar von 200 TeilnehmerInnen gesprochen, es werden aber weniger sein, vielleicht 50. Das liegt wohl auch daran, dass die Polizei unsere Plakate abgerissen hat. Ich schätze, es werden mehr Polizisten sein als Demonstranten. Viele denken, es gibt genügend Leute, die für uns auf die Straße gehen. Ich finde aber, dass wir selbst der Öffentlichkeit zeigen müssen, dass wir nicht wie Abschaum behandelt werden wollen.

INTERVIEW:NATALIE WIESMANN