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Musik gegen die UnmenschlichkeitDer gute Spielmann

Den Liedermacher Heinz Ratz zieht es an die Ränder der Welt. In Deutschland sind das Flüchtlingsheime. Dort macht er Musik gegen Diskriminierung und Ausgrenzung.

In 70 Flüchtlingsheimen singt Heinz Ratz gegen Ausgrenzung – und für Menschlichkeit. Bild: imago/thomas frey

Heinz Ratz ist derzeit mit dem Fahrrad unterwegs. Er radelt durch ganz Deutschland, durch den Regen, durch den Schnee, von Bayern über Sachsen nach Frankfurt (Oder) und weiter. Von Flüchtlingsheim zu Flüchtlingsheim. Ratz besucht graue Containersiedlungen in Industriegebieten, schäbige Plattenbauten am Waldrand, jene Behausungen, in denen Flüchtlinge untergebracht werden.

Vor gut sechs Wochen hat sich Ratz in München wasserdichte Outdoorkleidung angezogen und sich auf sein gelbes Fahrrad geschwungen, er hat sich eine lange Route ausgesucht, 7.000 Kilometer will er schaffen, alle Flüchtlingsheime, die auf dem Weg liegen, steuert er an.

Ratz hat auch eine Pressemitteilung herumgeschickt. "Gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Für eine menschliche Flüchtlingspolitik", steht darin. Bis zum 4. April soll die Fahrt gehen, jeder, der will, kann mitradeln. Momentan wird Ratz begleitet von einem übergewichtigen Steinmetz aus Trier und einer stillen Studentin aus Cottbus.

Heinz Ratz ist ein großer Mann mit zerzausten Haaren, 43 jetzt, er hat so was schon öfter gemacht. Vor zwei Jahren lief er sechs Monate zu Fuß durch Deutschland. Unterwegs besuchte er Obdachlosenunterkünfte, als ein "Zeichen für die Besitzlosigkeit". Im Sommer 2009 durchschwamm Ratz Flüsse, legte 890 Kilometer im Wasser zurück als Signal gegen Umweltzerstörung.

Bild: taz

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Diesmal radelt Ratz also.

Heinz Ratz ist Liedermacher von Beruf, er wohnt in Kiel und ist ein Mann, der das Leben vom unteren Rand her kennt. Als Kind von Eltern, die immer das Weite suchten, die es nirgendwo lange aushielten, verschlug es ihn von Deutschland nach Saudi-Arabien, nach Jordanien, nach Peru.

49-mal sei er umgezogen, erzählt Ratz, er habe als Junge Schießereien vor Hotelzimmern erlebt, lateinamerikanischen Bürgerkrieg, wie es ist, verlassen in einem fremden Land zu stehen - und seine raue Liedermacherstimme bewirkt, dass die Geschichte jetzt in der Rückschau romantischer klingt, als sie sich wohl tatsächlich abgespielt hat.

Viel später, als junger Mann ist Ratz obdachlos gewesen, ein Jahr lang. Er hat eine Unruhe mitgenommen von alledem, einen Drang, der ihn zum Predigen treibt. In seinen Liedern geht es gegen die "Krebsgeschwüre" der Gesellschaft, gegen Konsum und Kapital.

Und abends, wenn Heinz Ratz vom Fahrrad steigt, macht er sich in der Kleinstadt, in der sie gerade gelandet sind, auch immer gleich auf zu irgendeiner Bühne. 70 Konzerte in 70 Städten, das Eintrittsgeld geht an die Flüchtlinge, auch dieses Versprechen aus der Pressemitteilung versucht Ratz zu halten.

Sie radeln jetzt nur zwanzig oder fünfzig Kilometer am Tag, nicht mehr hundert, wie anfangs geplant, manchmal fahren sie auch ein Stück mit der Bahn. Um mehr Zeit bei den Flüchtlingen zu haben. In Landshut hatte ihnen eine syrische Familie Tee auf ihrem Wohnheimzimmer angeboten, und da haben sie beschlossen, länger zu bleiben.

"Die Flüchtlinge sind schließlich das Wichtigste an der Tour", erklärt Ratz. Und man kennt das ja: Wenn es zu einer Begegnung zwischen Unbekannten kommt, ist das immer das Beste am Reisen.

Einige dieser Treffen hebt er auf in seinem Kopf und erzählt von ihnen abends bei den Konzerten. Von dem irakischen Mathematikprofessor in Wunsiedel, der fünf Sprachen spricht und seit sechzehn Jahren in dem Flüchtlingsheim auf eine Arbeitserlaubnis wartet. "Welcher Arbeitgeber stellt so einen Mann nach zwölf Jahren Warten noch ein?", ruft Ratz ins Publikum.

In Plauen hat er mit einem palästinensischen Jungen mit Zahnschmerzen gesprochen, der bei vier Zahnärzten erfolglos im Wartezimmer saß, weil es in Sachsen eine Regelung gibt, die Ärzten für Flüchtlinge nur bestimmte Maßnahmen erlaubt.

Flaschengeld fürs Lotto

In Frankfurt (Oder) begegnete Ratz einem querschnittgelähmten Kenianer. Aus Verzweiflung über seine Lage hatte sich der Kenianer aus dem Fenster geworfen, nun sitzt er im Rollstuhl. In Berlin stieß Ratz auf einen Mann aus Guinea, der abends Flaschen aus Mülleimern sammelt und vom Pfandgeld, das er dafür bekommt, Lottoscheine kauft.

"Schlimmer als gedacht" sei die Lage in den Heimen, findet Heinz Ratz. Er habe verrottete sanitäre Einrichtungen gesehen. Eine Küche für 160 Leute, und der Herd ist seit Monaten kaputt, wird nicht repariert. Heimleiter, die über die Flüchtlinge sagten: "Es sind nicht alles faule Säcke." Ratz steht oben auf der Bühne und ruft herunter. "Man schämt sich für dieses Land!"

Natürlich ist es keine Revolution, was Heinz Ratz da macht. Die Begegnungen in den Heimen sind flüchtig, ändern kann er an der Situation der Bewohner wenig. Im Erstaufnahmelager in Berlin-Spandau sitzt er in einem Raum voller Menschen aus dem Kosovo, aus Kroatien und Afghanistan, die Gardinen sind vergilbt, der PVC-Boden ist fleckig.

Ratz verschenkt Fußballkarten an die Kinder. Alle knabbern die Kekse, die die Heimleitung im Bemühen, keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen, auf den Tisch gestellt hat. Ein Zimmer voller Menschen, die schüchtern zusammensitzen, schweigen und knabbern wie alte Vertraute, deren Welten aber so weit auseinanderliegen wie Spandau und das afghanische Dorf, von dem die Flüchtlinge aufgebrochen sind.

Es ist auch ein Sprachproblem. Nur manche Flüchtlinge können ein paar Brocken Deutsch oder Englisch, Ratz unterhält sich dann vor allem mit einer Mitarbeiterin des Heimes darüber, dass sich die Bewohner keine U-Bahn-Fahrkarten leisten können. Erst als er seine Gitarre auspackt und ein Lied spielt, quakende Geräusche macht, das Gackern eines Huhns imitiert, gibt es ein bisschen Verständigung. Die Kinder lachen und hüpfen. Eine junge Asiatin steht mit ihrem Baby in der Tür und lächelt still.

Aber manchmal kann es auch kommen, wie einen Abend später in einer abgelegenen Scheune vor der brandenburgischen Stadt Neuruppin, wo Ratz wieder ein Konzert gibt. Der weite Raum ist voll von älteren Menschen, die Rotwein trinken. Die rund 30 Flüchtlinge, die aus dem nächstgelegenen Flüchtlingsheim gekommen sind, sitzen in Festtagskleidung auf Holzstühlen und hören Ratz zu, wie er auf der Bühne singt. Die Getränke sind an diesem Abend für sie umsonst.

Und dann kommt einer dieser Momente, für die sich alles Reden, alles Radfahren, alles Bemühen um internationale Solidarität lohnt: Denn irgendwann steigt ein Afghane auf die Holzbühne. Er schnallt sich eine Gitarre um, stellt sich ans Mikrofon.

Der Mann schwankt und schwitzt, er ist ziemlich betrunken. Aber das Lied, das er singt, tönt hell und laut durch die weite Halle, es klingt besser als alles, was man seit Langem gehört hat. Die Frau und die Kinder des Mannes stehen vor der Bühne und klatschen. Die ganze Halle klatscht mit.

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