Der Kinderschwarm

Der Erzieher Mark L. gesteht vor Gericht, sich mehrfach an Kindern vergangen zu haben. Eine Mutter dachte lange, der Pädophile sei der „liebste Mensch“ in der Kita. Das Urteil wird für heute erwartet

von Kai Schöneberg

Victoria D. hielt Mark L. lange für den „liebsten Mensch im Kindergarten“. „Meldet Euch mal. Sagt Nana, dass ich sie liebe“, habe der Erzieher der Kita „Rasselbande“ in Hannover-Linden per SMS an die Mutter geschrieben und sie eingeladen, doch mal wieder vorbeizukommen. Da ging das Kind längst in die Schule.

Mark L. sitzt an diesem Morgen auf der Anklagebank der Hilfsstrafkammer im Landgericht Hannover. Der unscheinbare Mann ist blass und nervös, seine Augen tränenunterlaufen. „Ja, das stimmt so“, sind seine einzigen Worte, als der Staatsanwalt die Anklage verliest. Dabei fallen Satzteile wie „Handlungen, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind“, „Simulation des Geschlechtsverkehrs“, „Penis streicheln“ und „Ausnutzung der Stellung als Erzieher“. Es ist beklemmend.

Dem 32-Jährigen wird zur Last gelegt, zwischen Juni 2002 und Juni 2005 in den Räumen der Kita „Rasselbande“ drei Kinder im Vorschulalter mindestens elf Mal besonders schwer missbraucht zu haben. Bereits bei den Vernehmungen durch die Polizei war L. geständig. Angeblich soll er die ihm Anvertrauten rund 200 Mal „angefasst“ haben. Im Kita-„Kuschelraum“, im „Spielhaus“, in der Turnstunde, in der Toilette, beim „Übernachtungsfest“.

Eine Kollegin hatte L. im Juni angezeigt. Die Kindertagesstätte war zwei Wochen lang geschlossen worden. Auch gegen die Leiterin der Kita wurde ermittelt, der Verdacht, dass sie von den Handlungen L.s gewusst hatte, zerschlug sich jedoch.

Der Fall des fürsorglichen L., der die Kita zur Hölle werden lässt, um seine sexuellen Neigungen auszuleben, machte Schlagzeilen. Was passiert bloß mit meinem Kind in der Kita, fragten sich viele Eltern. Auch, ob sich das Risiko durch ausschließlich weibliche Erzieherinnen ausschließen ließe, wurde diskutiert.

L. war offenbar bei den Kindern besonders beliebt, ergab die Zeugenaussage der Eltern gestern. Morgens sei sie dem Erzieher „gleich in die Arme gefallen“, berichtet die 34-jährige Claudia T. über ihre Tochter. Auch als diese davon geredet habe, sei „liebe“ den Erzieher und wolle ihn „heiraten“, hatte die Mutter das nur „für eine Schwärmerei gehalten“. Seitdem das heute sechsjährige Kind weiß, dass die Mutter gegen L. vor Gericht aussagen wird, rufe sie nachts im Traum: „Nein lass das, das tut mir weh.“

Die Scham, mit den Eltern über das Erlebte zu sprechen, muss bei den Kindern groß sein. Der Sohn habe ihm bislang nur mit großer Überwindung von einem Fall oraler Misshandlung berichtet, sagt Ingo H. „Papa, ich möchte dir das erst mit 18 weitererzählen“, habe er zum Vater gesagt. Wie groß die Schäden sind, die die augenscheinlich misshandelten Kinder davongetragen haben, lässt sich derzeit nicht sagen. Die meisten Kinder befinden sich jedoch bereits in therapeutischer Behandlung, einige stehen kurz davor.

Bereits heute, am zweiten Prozesstag, wird ein Urteil gegen L. erwartet. Sein Anwalt beantragte, die Öffentlichkeit bei der Aussage des Erziehers auszuschließen. Ein psychiatrisches Gutachten wird Aufschluss über die pädophile Gedankenwelt L.s geben. Auf seine Taten stehe eine Höchststrafe von „über zehn Jahren“, sagte Staatsanwalt Thomas Franke.