Programmwandel vor der Wahl : SPD entdeckt die heiße Luft

Bisher war die Regierungspartei kein Kämpfer für den Klimaschutz. In ihrem Programm für die Wahl im September nennt sie jetzt aber große Ziele für Berlin. Forscher: Was im Programm steht, wird meist umgesetzt.

Wandel durch Wahlen: Die SPD sorgt sich um den Himmel über Berlin : dpa

Der Halbsatz steht im Wahlprogramm der SPD, als wäre er eine Selbstverständlichkeit: "Mit unserer ambitionierten Zielsetzung, Berlin bis 2050 zu einer nahezu CO2-freien Metropole weiterzuentwickeln", heißt es auf Seite 43 beim Punkt Umwelt- und Naturschutz. Und an anderer Stelle mit Bezug auf den Stadtentwicklungsplan Klima: "Durch ihn wird Berlin 2050 eine nahezu CO2-freie Stadt werden." Von Berlin als "Leuchtturm der Energieeffizienz" ist die Rede, von ökologischen und nachhaltigen Zielen, von erneuerbaren Energien.

Dabei glänzte die SPD in der im Herbst endenden Legislaturperiode nicht gerade als klimapolitisches Vorbild. Erst im November gab die rot-rote Koalition offiziell bekannt, dass das lange erwartete Klimaschutzgesetz doch nicht kommen wird. Als Grund nannte sie vor allem Belange der Mieter - deren finanzielle Belastung durch ein Klimaschutzgesetz sei mit den aktuellen Plänen auf Bundesebene nicht abzuschätzen.

Mit dem Gesetz fiel aber auch eine Verankerung des Reduktionsziels bis 2050. Bislang hat der Senat nur eine 40-prozentige CO2-Reduktion bis 2020 im Vergleich zu 1990 festgeschrieben. Klimaschützer fordern aber weitergehende Ziele.

SPD gibt sich engagiert

Daniel Buchholz, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, betont, dass sich die Politik der Sozialdemokraten auch jetzt schon ohne offiziell festgeschriebenes Ziel an der 2050-Marke orientiere. "Natürlich sind das unsere Leitlinien, egal ob es in einem Gesetz steht oder nicht." Der Senat versuche, "wo immer es möglich ist", Schritte in Richtung dieses Ziels zu gehen.

Einen Antrag im Abgeordnetenhaus aus der Opposition, der die verbindliche Festschreibung des 2050-Ziels unter anderem im Energiekonzept vorsah, hatte die SPD vor einem Jahr jedoch abgelehnt. Buchholz Begründung heute: Man sei damals davon ausgegangen, dass das nicht notwendig sei, schließlich wollte man das Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen.

Das Wahlprogramm der SPD ist derzeit noch im Entwurfsstadium. Damit ist es schon weiter als die Programme der meisten anderen Parteien, die im September zur Abgeordnetenhauswahl antreten. Lediglich die Grünen haben ebenfalls schon einen Entwurf vorgelegt. Sie formulieren das Klimaziel noch etwas eindeutiger: "Berlins Treibhausgasemissionen müssen bis 2050 um 95 Prozent verringert werden."

Mit dem SPD-Entwurf befasst sich im nächsten Schritt ein Mitgliederforum. Im Anschluss daran kann es noch Änderungsanträge geben. Eine endgültige Version des Wahlprogramms soll im Mai beschlossen werden. Bleiben die Klimaziele im Programm und bleibt die SPD in der Regierung, stehen zumindest wissenschaftlich gesehen die Chancen gut, dass sie sich auch in einem Gesetz wiederfinden. Eine Forschungsgruppe am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), die internationale Studien ausgewertet hat, kommt zu dem Ergebnis, dass 80 Prozent aller überprüfbaren Aussagen in Wahlprogrammen zu einem Gesetz führen oder sich im Haushalt wiederfinden. "Das ist allerdings ungewichtet. Es kann also sein, dass das zentrale Anliegen einer Partei nicht umgesetzt wurde", sagt Projektleiterin Andrea Volkens. Für Wähler könne es also trotzdem Enttäuschungen geben.

Dass sich Wahlprogramme deutlich im Handeln der Parteien niederschlagen, bestätigt auch Daniel Rölle von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Er hat in vier Legislaturperioden aus verschiedenen Jahrzehnten auf Bundesebene den Zusammenhang zwischen Wahlprogrammen und parlamentarischem Handeln von Parteien untersucht, allerdings nur in den Politikfeldern Sozialpolitik und Wohlfahrtsstaat. "Es gibt eine sehr hohe Kongruenz zwischen Wahlprogramm und parlamentarischem Handeln", sagt Rölle. Die Überraschung seiner Untersuchung: Das gilt auch für die Opposition. "Die hat ihre eigenen Waffen wie parlamentarische Anfragen oder Untersuchungsausschüsse", sagt Rölle. Er schlussfolgert daher: Entgegen der gängigen Vorstellung seien Wahlprogramme mehr als leere Versprechen.

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