Streit in Ostfriesland: Jagdkritiker vor Gericht

In Ostfriesland kämpfen Jäger und Vogelschützer mit harten Bandagen: Am heutigen Dienstag muss sich ein Fotograf in Emden wegen "Jagdstörung" verantworten.

Ihre Jagd sorgt in Ostfriesland für Ärger: Graugänse. Bild: dpa

LEER taz | Das Schauspiel zeigt sich jeden Morgen an deutschen Nordseeküsten: Abertausende Wildgänse ziehen von ihren Schlafplätzen auf See zu den Weideplätzen im Deichvorland und im Binnenland. Heinz Hornung, Chefredakteur der Jagdzeitschrift Wild und Hund zuckts bei diesem Anblick im Zeigefinger: "Frühmorgens im Dämmer, wenn die Gänse kommen… dann wallt das Blut", schwummert der Waidmann aus seinem zum "Schießstand" umfunktionierten Editorial.

Weil das so ist, gibt es an der Ems auch ein anderes, skurriles Naturschauspiel: Wie eine demoralisierte Versehrtentruppe schleppen sich Blässgänse und Graugänse am Dollart bei Emden entlang. Stolpernd, hinkend, Flügel schleifend sind sie unfähig, ihren Flug in die Brutgebiete Kanadas oder Sibirien fortzusetzen. "Die gebrochenen Flügel und verstümmelten Füße sind mit Sicherheit nicht in jedem Fall den Schrotkugeln der Jäger anzulasten. Aber viele Gänse sind eben doch Jagdopfer", sagt Ewert Peters*.

Erst im amtlichem Auftrag, dann aus Begeisterung hat Peters über 40 Jahre den Vogelflug beobachtet und dokumentiert. Seine Tierfotografien gehören zur Grundausstattung vieler Nationalparkhäuser in Ostfriesland. Peters ist das, was man heute einen radikalen Naturschützer nennt. Er ist Mitglied der "Gänsewacht". Die beobachtet Gänsejäger und versucht, sie während der Jagd des Rechtsbruchs zu überführen.

Take W. Hülsebuss ist Gänsejäger. Der hoch angesehene Ex-Ortsbürgermeister von Petkum bei Emden ist Jagdpächter des Deichvorlandes. Man kennt sich. Man kann sich nicht leiden. Hatten ostfriesische Jäger Namen von "Gänsewächtern" noch vor zwei Jahren auf internen Listen mit Adressen veröffentlicht ("Ihr wisst jetzt Bescheid. Waidmannsheil", die taz berichtete) und damit einen bundesweiten Eklat ausgelöst, gehen sie jetzt legal vor. Jäger Hülsebuss und Freunde verklagten Peters wegen "Jagdstörung". Am heutigen Dienstag findet der Prozess Emden statt.

Die Gänsejagd in Ostfriesland hat eine lange Tradition. Gerade ärmere Küstenbewohner durften sich im Winter was in den Kochtopf schießen. Heute ist die Jagd im Wattenmeer verboten oder nur in Ausnahmefällen erlaubt. Im Deichvorland ist sie zwischen November und Januar auf bestimmte Arten freigegeben. Das Deichvorland selbst wird in der Regel bewirtschaftet und unterliegt in vielen Fällen der Jagdpacht. Dort dürfen, gegen Entgelt, auch Jäger ohne eigene Pacht schießen.

Fast alle Bereiche der Deichvorländer sind als strenge Vogelschutzgebiete (FFH) ausgewiesen. "Die Gänsejagd findet in Regionen statt, in denen die Vögel ansonsten streng geschützt sind", sagt Manfred Knake vom regionalen Naturschutzverein "Wattenrat". Die Gänse hätten hier ihre Ruhe und die Weideflächen, die sie brauchten, wenn sie sich auf ihrem Weiterflug in ihre Brutgebiete in Sibirien oder Kanada befinden. Ginge es nach dem Wattenrat, sollte die Jagd in Schutzgebieten generell verboten werden.

Sogar aus Jägerkreisen kommt Kritik an der Gänsejagd. "Es ist nicht sichergestellt, dass die Gänsejagd rechtlich einwandfrei und wirklich weidmännisch abläuft", meint Jürgen Oppermann vom Ökologischen Jägerverein Niedersachsen und Bremen. Grundsätzlich, so Oppermann, sollte man in Schutzgebieten nicht jagen: "Es gehört zum Waidhandwerk, so wenig wie möglich zu stören." Jagd in einem Schutzgebiet aber sei eine "eklatante Störung". Gänse flögen oft im Pulk, doch geschossen werden dürften immer nur Einzeltiere. Oppermann: "Es wird mit Schrot geschossen, da können auch andere Tiere verletzt werden."

Solche Fälle dokumentiert Peters mit seinem Teleobjektiv. Und er konfrontiert die Jäger mit ihrem eigenem Verhalten: Jagen ohne Hund. Jagen im tiefsten ostfriesischen Nebel. "Das ist verboten. Die Jäger sehen ja nichts. Die können mit ihrem Schrot Spaziergänger verletzen", ärgert sich Peters.

"Bei ungünstigen Bedingungen können nur wirkliche Experten schießbare Arten von geschützten Tieren unterscheiden", sagt Öko-Jäger Oppermann. Eine Graugans sei im Gegenlicht neben einer Zwerggans nicht auszumachen.

"Wir haben die zuständigen Behörden und die Polizei immer wieder auf diese Missstände aufmerksam gemacht", sagt Manfred Knake vom Wattenrat. Doch die hätten nicht oder sehr zurückhaltend reagiert. Die Jäger freuen sich über diese Milde. In der vorletzen Saison seien nur acht Jagdverstöße geahndet wurden, heißt es dazu auf einschlägigen Internetseiten. Verfehlungen dürften "zukünftig juristisch nicht von Belang sein". Hat ja niemand gesehen.

An der Ems zumindest hatte bislang Ewert Peters die Jäger im Visier seines Teleobjektivs. Er ist darum schon häufiger bedroht worden, sein Auto wurde mehrmals zerkratzt. Einmal bekam er sogar einen Stein an den Kopf - von Jägern, die sich gestört fühlten.

* Name geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.