piwik no script img

Kolumne Das SchlaglochAbschied vom Doktor

Kolumne
von Kerstin Decker

Plagiatoren sind wir alle - ob das Guttenberg trösten kann? Sein Fehler war vielleicht nicht einmal das Ansinnen, die Promotion ein wenig abzukürzen, sondern die Berufswahl danach.

D er Erfinder des Buchdrucks hieß Gutenberg; bei dem Namen des Spätlings, der diese Erfindung gerade in Verruf brachte, muss es sich um ein Plagiat handeln. Und falsch abgeschrieben ist es auch.

Nun ist er also zurückgetreten. Vielleicht ist dies die allerletzte Gelegenheit, eine Kolumne über die Stellung der Dissertation im Kosmos zu schreiben. Ich verspreche, dass der Name mit dem t zu viel nicht auftauchen wird. Doch schien die gegenwärtige Debatte auf eine Art Heiligsprechung der Originale hinauszulaufen, ein Doktorand würde an dieser Stelle wohl formulieren: auf eine Apotheose der Originale. Wir setzen die These dagegen, dass alle Kultur auf dem Plagiat beruht. Und zwar grundsätzlich ohne Zitatangabe.

Man könnte darüber natürlich auch eine Dissertation schreiben, aber vielleicht reicht eine Kolumne. Dissertationen bilden die außergewöhnlichste Literaturgattung überhaupt. Denn es handelt sich um Bücher, die zu dem Zweck geschrieben werden, dass niemand sie liest. Mit Ausnahme des Doktorvaters und der Gutachter, glauben die Gutwilligen, besonders die Doktoranden. Aber welcher Professor käme noch zum Arbeiten, sollte er all die Dissertationen lesen, die er begutachten muss?

Am besten hat mir immer Gottfried Benns Doktorarbeit gefallen. Ihr Thema lautete "Die Häufigkeit des Diabetes mellitus im Heer". Sie umfasste neunzehn Seiten und neun Literaturangaben. Ihr souverän vorgetragenes Fazit lautet, "die Art der Beköstigung im Heer" habe "keinen Anteil" an der Entstehung des Diabetes ebendort. Das ist professorenfreundlich formuliert und nimmt zudem Rücksicht auf die eigene Lebenszeit.

Zu vermuten bleibt, dass es Sinnvolleres zu tun gibt, als sein Dasein mit dem Abfassen von Dissertationen herumzubringen, zumal bei dieser Rezeptionslage. Der Exverteidigungsminister muss eine Ahnung davon gehabt haben. Auch wird man diese unerfreulich hochgerüstete Verwaltungssprache - die Wissenschaft in ihrer meistpraktizierten Form ist ein Spezialfall der Buchhaltung - nur schwer wieder los.

Nach den Diskussionen der letzten Wochen könnte man meinen, der Typus des (unlauteren) Politikers unterscheide sich grundlegend von dem des (lauteren) Akademikers. Und 50.000 von denen haben gegen den Exminister protestiert?

Kerstin Decker

ist promovierte Philosophin und lebt als freie Autorin in Berlin. Ende letzten Jahres erschien ihr neues Buch, "Lou Andreas-Salomé. Der bittersüße Funke Ich", im Propyläen-Verlag.

Die Haupttätigkeit eines Doktoranden ist das Widerlegen. Doktoranden sind gemeinhin rechthaberisch und kleinlich. Sie erklären alle Tatbestände der Welt von ihrer Fragestellung aus und finden kein Thema weit und breit, das nicht von dem ihren her erschöpfend zu behandeln wäre. Diese Äußerungen verstehen sich sowohl als Fremddenunziation als auch als Selbstbezichtigung. Und einen Leserkreis für die Arbeit eines Doktoranden gibt es natürlich doch: die übrigen Doktoranden auf Fehlersuche.

Rechthaberisch und kleinlich

Liebe Doktoranden, alle, die ihr ganz anders seid als hier geschildert, die ihr Jahr um Jahr mit dem Stoff ringt und mit euch selbst, und gar nicht mehr wisst, wo das eine anfängt und das andere aufhört, ihr, die ihr längst ahnt, dass alle Mühen, alle Leistung sich niemals auszahlen werden - dass keine Professur auf euch wartet und die einzige Anerkennung, auf die ihr zählen dürft, eure eigene ist - ihr seid ausdrücklich nicht angesprochen. Denn sich die eigene Anerkennung zu erwerben ist ein sehr hohes Gut.

Dass sich inzwischen ein ganzer Berufsstand formiert hat, der mit der Ignoranz der Hochschulen spielt und die eigene brachliegende Hochbildung und Schöpferkraft zur Serienfertigung des durchaus normierten, standardisierten Produkts Dissertation verwendet, ist nur ein Anwendungsfall gesellschaftlicher Arbeitsteilung, gewissermaßen eine informelle Art des akademischen Outsourcings.

Es ist eine aufopferungsvolle Tätigkeit, es ist die eines Künstlers, dessen Name nie genannt wird und der sich dafür das schöne Recht nimmt, ab und zu etwas zu verstecken, das die Nichtleser auf beiden Seiten kompromittieren könnte, die Gutachter ebenso wie den auftraggebenden Doktoranden. So gewinnt die langwierige, mühsame Sache doch sportliche Aspekte. Wer ist klüger, der Professor oder der Ghostwriter oder der Auftraggeber?

Der Ghostwriter als Künstler

Der Verteidigungsminister hat das schon richtig gesehen, man sollte die Dissertationszeit, diese spätpubertäre Phase anhaltender Schülerschaft möglichst abkürzen.

Die größten Literaten hatten oft nicht einmal Abitur. Thomas Mann. Hermann Hesse. Wäre das nicht ein gutes Dissertationsthema: Inwieweit nimmt wirkliche Bildung mit dem Grad akademischer Abstinenz zu? Zu berücksichtigen wäre dabei, dass sich im Hoheitsbereich der Wissenschaft, gerade beim akademischen Fußvolk, nicht selten Abstraktionen bekriegen, woraus - an dieser Stelle sei das schreckliche Wort einmal ausgesprochen - ihre Protagonisten einen Beruf gemacht haben.

Weshalb gilt: Jede Polemik, die wir nicht führen, macht uns reicher! Aus gegebenem Anlass scheint es angebracht zu erwähnen, dass es sich hierbei um ein Zitat handelt. Steht irgendwo bei Ernst Jünger. Ist auch nicht wörtlich - Jünger hat das viel besser formuliert -, nur eben so, wie es mir im Gedächtnis geblieben ist. Und dann gibt es noch Zitate, von denen ich schon vergessen habe, dass sie mal einen Autor hatten.

Wollte man dieses Vergessen positiv beschreiben, dürfte man es aktive Aneignung eines Inhalts nennen. Und genau so funktioniert nicht nur individuelle, sondern auch die gesellschaftliche Entwicklung. Sie ist Einverleibung. Wir sind alle Plagiatoren. Die Welt und wir selbst sind voller abgesunkener Zitate. Schwer zu sagen, ob dies den Mann, der einmal Minister war, noch trösten kann.

Sein Fehler war vielleicht nicht einmal das Ansinnen, die Promotion ein wenig abzukürzen, sondern die Berufswahl danach. Fremden Menschen Eide abnehmen wollen - das geht nun wirklich nicht. Anzustreben wäre eine Tätigkeit mit freischwebenden Verantwortlichkeiten. Wie wäre es mit einer Zweitkarriere als Ghostwriter?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • RD
    Redun Danz

    "Am besten hat mir immer Gottfried Benns Doktorarbeit gefallen." Hübsch, Frau Dekker. Und neulich habe ich den kurzweiligsten Parzival gesehen, der in letzter Zeit gespielt wurde...

  • M
    MeineWenigkeitInDämlichkeit

    in diesen tagen haben wohl nur wenige den überblick. soweit meine wenigkeit das überhaupt beurteilen kann: kerstin decker gehört zu dieser kleinen minderheit.

  • DS
    Dr. Schummel

    Jestern wuuste ich noch nich wie Dokter keschriben würd heute bin ich einen

  • H
    harald_s

    Bild Zeitung mit Hinweisen auf ihre gefälschten Umfrageergebnisse ärgern!!!

    Helft mit. Ich schreibe die redaktionen an, in denen die bild die angeblich ach so hohe unterstützung guttenbergs anführt. alles gefälscht.

    tageschau / morgenmagazin / taz usw.

     

    Klar für 5,8 millioen muss man auch was leisten.

     

    Was am meisten spass macht: Ich poste alles in kopie in den bild blog...und freue mich drüber das alles gelöscht wird, bzw, der blog dann immer wieder längere zeit ganz dicht macht !!

    Also: Gemeinsam gegen die BILD!!!

  • M
    maple4

    wie wahr, dass wir alle plagiatoren sind. und auf den schultern, man könnte sagen von riesen stehen. aber gerade dass wir das meistens eben nicht bedenken, spräche doch für eine renaissance des zitierens. weil wir ja schon gar nicht mehr realisieren, dass es durchaus anders sein könnte, eine andere welt sozusagen gar nicht mehr denkmöglich ist...

  • K
    Küper

    Ich habe geglaubt, dass die Zeit der Hexenverfolgung vorbei ist. Wie man sich täuschen kann.

  • BA
    Bild am Rosenmontag

    Ist das gemein!

     

    Die bösen Jäger haben blos wegen eines falschen Geweihs jetzt auch noch Bambi erschossen...

  • R
    reblek

    So ganz neu ist es ja nun nicht, dass jede menschliche Generation auf den Schultern der vorangegangenen steht. Wenn jede Generation von vorne anfangen müsste, säßen wir heute noch in Höhlen. Allerdings gilt das ausschließlich für technische und ähnliche Angelegenheiten. Denn sozial ist das nicht so einfach. Da helfen die Schultern wenig, weil es mit jeder Generation tatsächlich von vorne losgeht. Wodurch sich insbesondere die Perpetuierung asozialen Verhaltens erklären lässt: Trial and Terror.