Tiger, Kranich und Van Gogh

KUNST Die Jahresausstellung der Freie Kunstschule Bremen lässt einen erstaunen: Die Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen lassen einen den Blick aufs Alter bald vergessen

„Jedes Kind ist für mich ein Künstler“

Udo Steinmann, Freie Kunstschule Bremen

VON JEAN-PHILIPP BAECK

Wann ist ein Bild fertig, wann vollendet? Der Kunstunterricht der Grundschule hatte auf diese Frage eine klare Antwort: Da mochte der Hase noch so schön sein, die letzte Ecke des Zeichenbogens musste eingefärbt werden. Bei Udo Steinmann ist das anders. Er ist Dozent an der Freien Kunstschule Bremen. Was dort alles anders läuft als im normalen Schulunterricht ist an diesem Wochenende noch auf der Jahresausstellung zu sehen.

Sie birgt Erstaunliches. Dort hängt Vincent Van Goghs letztes Selbstbildnis von 1989, gemalt von der 16-jährigen Linda Mehri, neben dem Tigerkopf des Tattoo-Künstlers und Designers Ed Hardy, nur halb zu sehen auf dem Bild der 15-jährigen Ida-Marie Wagner. Aus der Beschäftigung mit den alten Meistern und den Detailstudien der Nase eines Dürer-Portraits, entstand die Idee zu einer neuen Mona Lisa – getupft in grün. Die Ausstellung dokumentiert diese Arbeitsschritte. Skizzen aus gemeinsamen Besuchen der Hundertwasser-Ausstellung oder dem Überseemuseum, bei der aus ersten Bleistiftlinien ein Zebra-Gemälde erwächst.

Was alles falsch ist an dem diffamierend gemeinten Ausspruch manches Betrachters moderner Kunst – „das hätte mein Kind genauso hinbekommen“ – lässt sich anhand der Bilder erfahren: Wer sich ein bisschen öffnet, wird sprachlos. Das Alter der UrheberIn steht unter jedem Werk. 6, 11, 17 Jahre – die Freie Kunstschule begleitet Kinder vom Vorschulalter bis zur Mappen-Vorbereitung für das Kunststudium. Beim Rundgang durch die Ausstellung wird sehr schnell klar: Die Altersangabe ist hier keine Größe, anhand derer sich das ästhetische Urteil rückversichern könnte. Die Begeisterung und das Erstaunen darüber, wie jung die Malerin oder der Maler ist: Sie wiederholt sich.

Das beeindruckt und – noch besser – es irritiert und wirft BesucherInnen darauf zurück, sich auf das einzelne Bild an sich einzulassen. Einzig die große Anzahl an Werken, die das Wirken jeder Schülerin und jedes Schülers gleichermaßen dokumentiert, kann etwas zu viel werden. Es sei den stolzen Eltern zugestanden und spricht doch dafür, der Ausstellung mehr Platz einzuräumen. Steinmann ist allerdings froh, seit zwei Jahren in den Räumen von Katrin Rabus ausstellen zu können – bis zu dessen Niedergang war die Jahresausstellung im World-Trade-Center zu sehen.

Dabei hat auch die Freie Kunstschule damit zu kämpfen, dass neben dem Nachmittagsunterricht der Gesamtschulen den Kindern kaum noch Zeit bleibt. Seit sie 1991 gegründet wurde, sind die Schülerzahlen deutlich zurückgegangen. Heute sind es noch etwa 90 pro Semester, es waren einmal doppelt so viele. Der Comic-Kurs von Henning Pöplau läuft sehr gut – in der Ferienzeit. Vor allem 13- bis 14-Jährige begeistern sich für die grafische Erzählweise. „Die Geschichten in Comics werden anders umgesetzt, sind abstrakter, nicht wie ein Film. Man muss sich etwa dazudenken“, sagt Steinmann. Und dafür muss man anscheinend etwas älter sein.

Auch Steinmann selbst lernt durch die Schule noch dazu: Zuletzt, mit Excel-Tabellen zu hantieren. Seit die langjährige Schulleiterin Angelika Lages Ende 2012 in Rente ging, hat er die Geschäftsführung übernommen, sein Kollege Kay Leutner wurde Schulleiter. Mit Bärbel Kock und Thomas Falk hat die Schule insgesamt fünf Dozenten, alle sind selbst KünstlerInnen, mit eigenen Ateliers. Ihr Repertoire reicht von der Malerei, über die Fotografie, Zeichnungen bis zum plastischen Gestalten.

Im normalen Schulunterricht sei es einmal so gewesen, „dass die Lehrer die Bilder für die Kinder gemalt haben“, sagt Steinmann. Er und die anderen KünstlerInnen wollen hingegen mit ihren eigenen Werken inspirieren. Ein Besuch in Steinmanns eigenem Atelier etwa ist pro Semester „Pflicht“. „Wir sind frei, es geht um das Ziel, dass sich das Kind selbst gesetzt hat“, sagt Steinmann. Die Frage, wann ein Bild vollendet ist, wird hier individuell gelöst. „Wir kitzeln aus den Kindern heraus, was zu Hause nicht gesehen wird. Sie können sich hier ausprobieren.“

„Jedes Kind ist für mich ein Künstler“, sagt Steinmann. „Ich arbeite gern mit der kindlichen Sicht auf Dinge. Sie machen, was ihnen gefällt.“ Das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Das Bewusstsein über das eigene Können ändere sich mit 13 oder 14 Jahren. Die Menschen verlören dieses Selbstbewusstsein und zögen sich zurück auf Strichmännchen-Zeichnungen während der Daily-Soap. Auch Erwachsene könnten wie die Kinder lernen, ihre Möglichkeiten umzusetzen: „durch Üben und ausprobieren.“

Sa. & So., 15 bis 18 Uhr,

Galerie Rabus, Plantage 13