: Met Wulkje en Kluntje
TRADITION Ostfriesen schlucken 290 Liter Tee pro Jahr. Getrunken wird er nach einem festen Zeremoniell und mit Muße. Früher war so eine Teerunde nicht ungefährlich
Tee ist Berufung, Glaubenssache, Lebenselixier. Auf die Sorte kommt es an. Ostfriesentee dürfen sich viele Tees nennen.
■ Die „echten“ verbürgen sich mit ihrem Namen: Bünting, Thiele, Onno Behrends. Die Unternehmen aus Leer, Emden und Norden sind die letzten Markenfirmen, die echten Ostfriesentee anbieten. Die Leitmarke der Leeraner Handelsgruppe Bünting, der „Grünpack“, wurde letztes Jahr als „Marke des Jahrhunderts“ ausgezeichnet.
■ Die Mischung für den jeweiligen Ostfriesentee ist geheim. Sie besteht aus bis zu 20 Sorten, vornehmlich Assam-Tees. Das Aroma ist kräftig herb. Genau genommen sind nur „Bünting“ und „Thiele“ echt, weil sie von den jeweiligen Unternehmen selbst in Ostfriesland hergestellt werden.
■ Geschichte: Nachdem die Niederländer im 17. Jahrhundert den ersten Tee nach Europa brachten, kam er zuerst über den kleinen Küstenverkehr nach Ostfriesland. Seitdem ficht der Tee einen rücksichtslosen Konkurrenzkampf gegen Bier und Schnaps aus.
■ Eigentlich war Alkohol das Grundnahrungsmittel an der Küste. Das lag an dem schlechten, moorigen Brackwasser. Auf die Idee, zur allgemeinen Befriedung Schnaps in den Tee zu gießen, sind die Ostfriesen noch nicht gekommen. SCHU
VON THOMAS SCHUMACHER
Kaffee und Tee gehören zu zwei verschiedenen Genusswelten. „Nach einer Tasse Kaffee geht der Blutdruck rauf und zack, wieder runter. Fertig“, sagt Uda von der Nahmer. Beim Tee dagegen gehe es um den Genuss. Die ehemalige Leiterin des Kulturbüros in der Ostfriesischen Landschaft liebt Tee. Sie atmet Tee.
„Ostfriesen trinken regelmäßig Tee. So dreimal am Tag. Oder viermal. Oder fünfmal. Eigentlich trinken wir immer Tee“, pflegt der große ostfriesische Reformpädagoge und Schriftsteller Johannes Diekhoff aus Aurich „Zugereisten“ den Mythos des Ostfriesentees zu erklären.
Dreimal ist Ostfriesenrecht, dieser Kalauer hat einen sicherheitspolitischen Hintergrund. Egal wie Ostfriesen von ihren Funktionären beschrieben werden: In echt waren sie intrigant, streitsüchtig und auf ihren Vorteil bedacht. Aber Gastfreundschaft war ihnen heilig.
Oder anders: Erst mal abwarten und ein Sökpe (Bier oder Schnaps) trinken und ausbaldowern, ob der Gast eine lukrative Beute sein könnte. Solange der Gast seinen Becher gefüllt hatte, war er sicher. Dreimal wurde nachgegossen. Danach war er Freund oder tot. Man kann davon ausgehen, dass Gastfreundschaft in einer Teerunde heute anders gehandhabt wird. Aber mindestens drei Tassen Tee sind immer noch Ostfriesenrecht.
„Genuss verlangt Zeit“, sagt Uda von der Nahmer. TeetrinkerInnen begeben sich auf eine Reise zu sich selbst. Dazu brauchen sie das Stövche. Das ist ein aus Messing geschlagenes Podest mit einem Teelicht. Die Kanne ist idealerweise aus weißem, geriffeltem Porzellan, bemalt mit einer zarten roten Rose. Die dazu passenden Tässchen sind hauchdünn. Dazu gibt es ein Kännchen mit Rohm (Sahne) von frischer Milch und ein Töpfchen mit Kluntjes, groben Kandisstücken.
Das Geschirr heißt zwar so, ist aber nicht ostfriesisch. Es kommt ursprünglich aus China, dort war Tee schon lange vor Christi Geburt eine Allerwelts-Handelsware. Aus Marketinggründen schufen die Chinesen immer neue Geschirrmoden. Als der Tee und die aktuelle Geschirrmode im 17. Jahrhundert nach Europa kamen, dachten die Ostfriesen, Tee und Geschirr gehörten unverbrüchlich als Einheit zusammen.
Zurück zum Hier und Jetzt, zur Teezeremonie: Man legt so viele Kluntjes in sein Tässchen wie man möchte (mehr als zwei passen eh nicht rein) und gibt den heißen Tee darüber. Ommm, die Meditation beginnt. Wir lauschen auf das Knistern des Zuckers. Mit einem feinen Kellchen „legt“ man den Rohm sacht über den Tee. Die Sahne explodiert zum Wulkje (Wolke).
Das zierliche Löffelchen neben dem Tässchen beweist nur die Vollständigkeit des Services im Haushalt. Nicht damit rühren! Legen Sie das Löffelchen ins Tässchen, signalisiert das ihre Unmöglichkeit, weiter Tee in sich hineinzuschütten. Zum Tee gibt es trockenes Gebäck – niemals Kuchen oder gar Torte.
Da die Teeblätter lose in der Kanne aufgebrüht werden, wird das Getränk mit der Zeit immer herber. Mindestens dreimal ist Ostfriesenrecht, die dritte Tasse kann schon recht kräftig sein. Trotzdem zündet der Geschmack immer in drei Stufen auf der Zunge. Zuerst der fette Milchgeschmack der Sahne, dann das Aroma des leicht bitteren Tees, der wiederum vom süßen Schmeicheln des Zuckers abgerundet wird.
Wer glaubt, dieses Zeremoniell zu Tages- und Nachtzeiten sei abgefahren, dem sei gesagt: Die Sehnsucht, dies so zu zelebrieren, zieht sich durch alle Schichten und Altersklassen!
Sollten Sie in einem Café Tee bestellen, bedenken Sie: Auch hinter dem Deich ist die Globalisierung angekommen. Selbst in Aurich, Wittmund oder Reepsholt könnte Ihnen ein Glas mit Teebeutel und heißem Wasser serviert werden. Für echte Friesen ist das Verrat. Vergewissern Sie sich vorsichtshalber mit einem Blick durchs Fenster, ob Sie nicht doch in England sind!