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Kommentar Produkte aus JapanGeigerzähler im Einkaufskorb

Manfred Kriener
Kommentar von Manfred Kriener

Japan droht nach den Katastrophen Erdbeben, Tsunami und GAU ein weiteres Unheil: Niemand will mehr japanische Produkte kaufen, es droht der wirtschaftliche Absturz.

S chon an Tag eins der Katastrophe wurde hartnäckig nachgebohrt, ob der Atom-GAU von Fukushima nicht auch uns gefährden könne. Von beruhigenden Statements ließ man sich kaum beruhigen. Am zweiten Tag begannen die Hamsterkäufe von Grüntee aus Japan. Inzwischen sind die Restbestände der alten Ernte in einigen Fachgeschäften fast ausverkauft. Die Prognose, was mit der neuen Ernte passiert, fällt nicht schwer: Sie wird wie Blei im Regal liegen.

So groß die Solidarität mit Japan sein mag - beim eigenen Einkaufskorb hört sie auf. Gnadenlos konsequent bereiten sich Lebensmittelhändler und Importeure darauf vor, japanische Waren auszusortieren. Schon in den Häfen sollen die Frachter aufgehalten werden. So hartleibig die Menschen über Jahrzehnte die nuklearen Zeitbomben der AKWs ignoriert haben, so panisch reagieren sie jetzt auf alles Japanische. Die Magenwächter von Foodwatch fordern sogar einen kompletten Importstopp, um das "Vertrauen der Bürger zu gewinnen". Radioaktivität kennt kein Erbarmen.

Keine Frage: Auf Japan kommt zusätzlich zur Katastrophentrias Erdbeben, Tsunami, Super-GAU als viertes Unheil der wirtschaftliche Sturz und eine "radioaktive Diskriminierung" zu. Egal, wie hoch die Belastung von Fischen, Tee und anderen Lebensmitteln tatsächlich sein wird - niemand wird sie kaufen.

MANFRED KRIENER

ist taz-Autor.

In Thailand hat man schon tonnenweise japanische Süßkartoffeln vorsichtshalber "vernichtet", obwohl die gemessene Radioaktivität dafür keinerlei Rechtfertigung bot. In Südkorea laufen Kontrolleure mit Geigerzählern über den Fischmarkt, bei deutschen Händlern meiden die Käufer alles Getier, bei dem "Pazifik" als Fanggebiet vermerkt ist. Und die EU schürt das Misstrauen, indem sie die Grenzwerte für Lebensmittel anhebt - ein Relikt der Tschernobyl-Zeit. An der Börse haussieren VW, BMW und Co., weil Toyota nicht produziert. Börsianer sehen "gute Chancen", die japanische Lücke mit deutscher Wertarbeit zu schließen.

Widerlich? Nein, so funktioniert globale Wirtschaft.

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Manfred Kriener
Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Umweltjournalist und Autor in Berlin. Themenschwerpunkte: Klima, Umwelt, Landwirtschaft sowie Essen & Trinken. Kriener war elf Jahre lang taz-Ökologieredakteur, danach Gründungschefredakteur des Slow-Food-Magazins und des Umweltmagazins zeozwei.. Zuletzt erschienen: "Leckerland ist abgebrannt - Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur". Das Buch schaffte es in die Spiegel-Bestsellerliste und wurde von Umweltministerin Svenja Schulze in der taz vorgestellt. Kriener arbeitet im Journalistenbüro www.textetage.com in Kreuzberg.
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5 Kommentare

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  • K
    Kirsten

    also ich habe auch gegen akws in den siebzigern protestiert und mich auf demos verpruegeln lassen. ich kann mich auch noch daran erinnern,,wie nach chernobyl auf jeder milchpackung neben haltbarkeitsdatum auch die becquerel erwaehnt waren und man keine wildpilze essen sollte. glaubt ihr wirklich, dass sich an deren belastung mittlerweile etwas geaendert hat?? ich denke nicht bei den halbwertzeiten. wenn ich schon keinen gruenen tee oder nori algen mehr zu mir nehmen will dann aber auch haende weg von gewissen europaeischen lebensmitteln (die damals auch sehr viel strenger von anderen importlaendern kontrolliert und teilweise abgelehnt wurden). alles andere waere doppelzuengig und schizophren.

  • F
    Frankfurterin

    So groß ist die Solidarität mit Japan bei mir nicht.

    Ich habe auch nicht über Jahrzehnte die AKWs ignoriert sondern habe dagegen protestiert.Und ich werde den Teufel zun und freiwillig strahlen !

  • F
    Florentine

    Ach kein Problem. Erstens ist sowieso nix gravierenes passiert in Fukushima, sagt die japanische Regierung quasi. Zweitens sind die Grenzwerte in japan und der EU offensichtlich mit einer nach oben offenen Harmlosigkeitsskala versehen, so dass sie Himmeljochjauchzend erhöht werden können. Also, wo ist das Problem? Nix passiert, die Grenzwerte sind flexibel..schon isses gut. Cäsium, Tritium, Strontium...war da was?

  • J
    Jen

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    Wundern Sie sich wirklich über das Verhalten der Verbraucher?

    Wer Tschernobyl mit erlebt hat und später erfahren hat, wie man verdummt wurde, beruhigt wurde und was uns allen nicht gesagt wurde, der hat schlicht und einfach das Vertrauen verloren zu Institutionen wie Tepco und Co.

    Wer heute dieses nicht vorhandene japanische Krisen Management und die Salami Taktik der scheibchenweisen Information der Öffentlichkeit sieht, der traut nur noch dem, was ihm sicher erscheint.

    Der will seinen Kindern und Enkeln keinen Fisch servieren der ihm suspekt ist. Das ist zu respektieren.

  • D
    Duffy

    Kaufe ich ein Produkt, dann auch immer - oder meistens - auf "Treu und Glauben". Da Japan sich auf allen offiziellen Ebenen zur Zeit größte Mühe gibt, jeden letzten Rest von Glaubwürdigkeit nachhaltig zu tilgen: keine japanischen Produkte mehr - auch wenn alles, selbst Plutonium ja "keine gefährdung für die Gesundheit" darstellt.